Berliner Label

33 Jahre City Slang: Ein Berliner Label mit internationalem Einfluss

Eine Kreuzberger Erfolgsgeschichte: Christof Ellinghaus hat mit City Slang ein Berliner Label mit internationalem Einfluss gegründet. Mit uns blickt er auf 33 Jahre Labelgeschichte zurück – aber viel lieber nach vorne. Am 16. Juni feiert City Slang Geburtstag im Festsaal Kreuzberg mit Labelstars wie Gold Panda, Mckinley Dixon, Noga Erez und Roosevelt.

Christof Ellinghaus, Chef des berliner Labels City Slang. Foto: Waldemar Brzezinski
Christof Ellinghaus, Chef des Berliner Labels City Slang. Foto: Waldemar Brzezinski

Kreuzberg, wo Christof Ellinghaus City Slang einst gründete, sind sie aber treu geblieben.

___STEADY_PAYWALL___

„Eigentlich ist ja alles schon gesagt“, sagt Christof Ellinghaus, „die Geschichte wurde doch schon so oft erzählt.“ Es ist ein grauer Vormittag im Mai und Ellinghaus sitzt auf einem Sofa im Besprechungsraum des City Slang-Hauptquartiers. An einer Wand hängen ein paar Plattencover, an der anderen ein Regal, in dem sich Vinyl-Alben stapeln. Bis eben hat er sich noch mit dem Team besprochen, zumindest denen, die in Berlin sind – auch in Frankreich und den USA hat das Label mittlerweile Büros eröffnet. Die Homebase aber, die liegt weiter in Berlin. Nur umgezogen sind sie, aus einem Keller heraus in eine geräumige Fabriketage, aus dem „The Sky“ wirklich „The Limit“ ist.

Kreuzberg, wo Ellinghaus City Slang einst gründete, sind sie aber treu geblieben. Nur ein kleines bisschen größer ist alles geworden. Und die Kaffeemaschine besser. „Unsere Bands sagen uns, dass sie nur zu uns kommen, weil wir den besten Kaffee machen“, erzählt er und lacht. Der Stolz ist ihm aber trotzdem anzusehen. Es ist eben nicht alles nur schnödes Business, seine Bands sind gerne bei ihm. Und wenn’s wegen dem Kaffee ist.

„Ich wollte mit den Bands auf Tour gehen, ich war ja Fanboy“

Obwohl alles schon gesagt sein soll, hat Ellinghaus trotzdem eine Menge zu erzählen. In 33 Jahren Labelgeschichte häufen sich die Geschichten. Aber los geht es mit ihm: Christof Ellinghaus. Aufgewachsen in Beverungen an der Weser, gemeinsam mit den Gründern des befreundeten Musiklabels Glitterhouse. Auch die ersten Schritte im Musikbetrieb machte man zusammen: der Legende nach schrieb Ellinghaus im Glitterhouse-Punkzine. Denn eigentlich wollte er ja Journalist werden. Eigentlich. Aber wenn man irgendwann in den Achtzigern nach Berlin zieht und Musik liebt, dann kann es schon passieren, dass das Leben einige Umwege nimmt. Bei Ellinghaus über das Nachtleben – und ein abgebrochenes Studium.

Lieber wurde er stattdessen Booker und buchte Konzerte für US-amerikanische Bands, die durch Europa touren wollten. Aus Liebe zur Musik – und für den Zugang zu Konzerten. „Ich wollte mit den Bands auf Tour gehen, ich war ja Fanboy“, erinnert er sich, „für mich war es das schönste. Und die Bands fanden es auch ganz okay.“ Irgendwann schickte ihm einer dieser Künstler, Wayne Coyne von den Flaming Lips, ein Tape zu – mit der Frage, ob er ihnen helfen könne, ein Label in Europa zu finden, um das Album zu veröffentlichen. Konnte er. Und zwar indem er sein eigenes Label gründete, als Sublabel von Vielklang. Die hatten die ersten EPs der Ärzte veröffentlicht, daran gut verdient und unterstützten Ellinghaus bei der Labelgründung. Den Namen für das neue Projekt lieferte dann irgendeine Single in seiner Plattensammlung: „City Slang, das kannte keiner, es klang gut und man konnte es schnell überall hinschreiben.“ 

Christof Ellinghaus: „Die haben mir alle einfach ihre Platten zugeworfen“

Mittlerweile war es 1990, die Mauer war gefallen – und Ellinghaus hatte ein Musiklabel, von dem er auch den übrigen Bands erzählte, mit denen er zusammenarbeitete. Und plötzlich wurde er zum europäischen Zuhause für heute als so stilbildend bekannte US-amerikanische Indiebands wie Yo La Tengo oder The Lemonheads. „Die haben mir alle einfach ihre Platten zugeworfen“, erzählt Ellinghaus, und seine Augen leuchten immer noch auf, wenn er davon erzählt. Wie, einfach so aus dem Nichts arbeiteten die größten Namen des Indierocks mit einem deutschen Newcomer zusammen? Ellinghaus lacht: Damals hätten die Bands genauso am Anfang ihrer Karriere gestanden, genauso wie er selbst. Erst über die Jahre sind sie gewachsen – die Bands, aber auch das Label. 

Der große Durchbruch kam Mitte der Neunziger mit „Live Through This“, dem zweiten Album von Courtney Loves Band Hole. Gleichzeitig bedeute das Album auch einen Wendepunkt für das Label, nachdem Ellinghaus die ganz große Musikindustrierutsche in all ihren Höhen und vor allem ihren Tiefen erlebt hatte, wusste er zumindest eines: das will er nicht nochmal! Wenn Musik nur noch ein Produkt sein soll, ist er raus. Und so will er auch heute immer noch nicht City Slang führen. „Es muss gut sein“, sagt er. Ganz egal was für eine Musikrichtung und woher die Künstler:innen kommen. Eine algerische Band wie Imarhan, von der ihm ein französischer Kollege begeistert erzählt. Warum nicht? Eine israelische Rapperin, die sich noch gar nicht bewusst war, dass sie Rapperin ist, wie Noga Erez? Her damit! „Das ist für mich das spannendste, zu sehen, wie sich Künstler:innen entwickeln“, freut sich Ellinghaus. Der Blick in die Vergangenheit, das interessiere ihn gar nicht so sehr.  

33 Jahre City Slang: „Wir sehen uns als Kulturvermittler“

Lieber blickt er aufs Heute oder noch besser, in die Zukunft: „Wir sehen uns als Kulturvermittler“, als Label hat sich City Slang dem Aufbau von Künstler:innen verschrieben. Auch wenn das ein sehr undankbarer Job sein kann, bringe es ihm am meisten Freude. Zu sehen, wie sich die Künstler:innen verändern, ihre Sprache, ihren Sound und ihre Form finden. Mit Genres experimentieren oder gleich darüber hinwegfegen. Das war nicht immer so, lange fokussierte sich das Geschäftsmodell von City Slang darauf, Künstler:innen aus den USA in Europa zu vertreiben. Eine Nische, die gut funktioniert hat. Bis sie es nicht mehr tat. Spätestens im Zeitalter von Streaming hat sich das Thema der Territorien erledigt. Datenströme kennen wenige Grenzen. 

Vielleicht hat es ein wenig zu lang gedauert, bis er sich vom alten, liebgewonnen Geschäftsmodell gelöst hat, deutet Ellinghaus selbstkritisch an. Dafür hat das Label insbesondere in den letzten zehn Jahren eine beeindruckende Transformation durchgemacht und sich international als Heimat für wagemutige Künstler:innen mit Pop-Appeal einen Namen gemacht. Obwohl, wie der Labelmacher erzählt, der Berliner Standort im internationalen Musikmarkt fast schon ein Nachteil ist – die großen Player sitzen bis heute vor allem in den USA oder in England. Trotzdem finden noch genug Künstler:innen den Weg zu City Slang und wissen die familiäre Atmosphäre und die Musikbegeisterung im Haus zu schätzen. Neben Erez sind das etwa der Kölner Roosevelt oder die Hamburgerin Sophia Kennedy, aber auch Elektroproduzent Caribou, das Duo Coma und Newcomer:innen wie Pom Pom Squad und Los Bitchos. 

Von Tuareg-Rock über Bubblegum-Pop bis zu Indie-Electronica und Neoklassik

Die Genres, die City Slang abdeckt, sind breit gefächert: von Tuareg-Rock über Bubblegum-Pop bis zu Indie-Electronica und Neoklassik. Gibt es aber einen bestimmten City Slang-Sound, der sich über die Jahre herausgebildet hat? Ellinghaus schüttelt entschieden den Kopf, fast beleidigt: „Ich hoffe doch nicht!“

Ob dem so ist, kann man am 16. Juni im Festsaal Kreuzberg nachprüfen, wo das Label den, etwas schiefen, 33. Geburtstag feiern wird. Statt den Abend ausschließlich mit alten Held:innen zu bestücken, fährt City Slang einen Querschnitt seiner Labelgeschichte auf. Das sind etwa der in London lebende US-amerikanisch-sudanesische Produzent Sinkane, der Brite Gold Panda und die Israelin Noga Erez, neben einem DJ-Set von Roosevelt und neuen Gesichtern wie der irischen Punkband Sprints oder der New Yorkerin Softee. Und wer weiß, vielleicht klopft auch jemand von den alten Held:innen an. 

  • cityslang33 mit Gold Panda, Mckinley Dixon, Noga Erez, Roosevelt DJ-Set, Sen Morimoto, Sinkane, Softee, Sprints, Zouj u.a. im Festsaal Kreuzberg Am Flutgraben 2, Treptow, Fr 16.6., 20 Uhr, VVK ab 44,50 Euro, weitere Infos hier

Mehr Berlin

Ihr habt Lust auf noch mehr Live-Musik? Unsere Konzerte der Woche. Wer weniger Trubel haben möchte, ist in Museen und Galerien gut aufgehoben – wir haben Tipps. Ihr wollt euch ins Nachtleben stürzen? In unserer Club-Rubrik findet ihr Partys in Berlin. Immer auf dem Laufenden bleiben: Hier meldet ihr euch für den tipBerlin-Newsletter an. Was uns bewegt, erfahrt ihr in der Rubrik zum Berliner Stadtleben. Filme sehen: Hier ist das Kinoprogramm für Berlin. Die richtige Veranstaltung zu jedem Zeitpunkt: Unsere Veranstaltungs-Tagestipps für Berlin.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad