Berliner Musikerin

Ilgen-Nur: Von der Hermannstraße in den Laurel Canyon

Auf ihrem zweiten Album „It’s All Happening“ nimmt uns die Berliner Indie-Musikerin Ilgen-Nur mit nach Los Angeles. Dort hat sie die schönste Zeit ihres Lebens verbracht. tip-Autorin Louise Zimmer hat mit der Newcomerin gesprochen.

Die Berliner Musikerin Ilgen-Nur. Foto: Miriam Marlene
Die Berliner Musikerin Ilgen-Nur. Foto: Miriam Marlene

Ein Konzert veränderte Ilgen-Nurs Leben

Es gibt Konzerte, die Leben verändern. Für die Berliner Musikerin Ilgen-Nur ermöglichte ein Abend in der Kantine am Berghain die Entstehung ihres zweiten Albums „It’s All Happening“. Im September 2019 ging sie alleine zum Konzert der amerikanischen Indie-Rockerin Sasami. Am nächsten Morgen war sie um einen Kater, drei neue Freundinnen und eine Einladung nach Los Angeles reicher. Das war kurz nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Power Nap“.

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Die Presse feierte Ilgen-Nur, die aus einer Kleinstadt nahe Stuttgart kommt, als neue Indie-Hoffnung. Ihr introspektiver und gitarrenlastiger Indie-Rock erinnert an Kate Nash und Courtney Barnett. Es folgte eine Solo-Tour mit Stopps in Paris, Amsterdam und London. Diese Zeit empfand Ilgen-Nur, die kurz vorher nach Berlin zog, als intensiv. „Wenn man als Anfang zwanzigjähriges Mädchen in die Musikindustrie hineingeworfen wird, wird man schneller erwachsen, als man vielleicht möchte, weil man an vielen Orten mit vielen verschiedenen Menschen Kontakt hat“, sagt sie. Anfang 2020, kurz nach der Albumtour, flog sie für eine Auszeit nach Los Angeles. Dort besuchte sie ihre Konzertfreundinnen und erkundete die Stadt. Schon vorher hatte sie einen Bezug zu L.A. und fühlte sich sofort heimisch. „Es war surreal und anderseits total familiär. Ich habe schon in meiner Jugend unfassbar viele Filme, Musikvideos, Künstler aus dieser Stadt gefeiert.“ 

Ilgen-Nur: „Die ersten paar Monate waren komisch“

Während ihrer Schulzeit im schwäbischen Wendlingen fühlte sie sich als Außenseiterin. Die Plattform Tumblr öffnete ihr die Welt der englischsprachigen Popkultur. In Los Angeles erkundete sie die Orte, die sie aus David-Lynch-Filmen und Lana-Del-Rey-Videos kannte. Die in Berlin gemachten Konzertbekanntschaften zeigten ihr ihre neue Nachbarschaft Highland Park. „Man muss wissen, wo man als Nächstes hinfährt. Man kann schon so rumfahren, das ist schön, aber man muss wissen, wo man hin will, sonst ist man verloren in L.A.“, sagt sie.  Mehrere Wochen blieb sie in Kalifornien, bis ihr die Pandemie in die Quere kam. Mit dem letzten Flieger flog sie zurück nach Berlin. „Ich bin zurück gekommen aus dem sonnigen Laurel Canyon in mein WG-Zimmer in Neukölln. Es war grau, keiner war auf den Straßen, so war’s dann auch ne ganze lange Weile. Ich weiß nicht mehr, was ich gemacht habe, außer im Körnerpark spazieren gehen und in meinem Zimmer chillen. Die ersten paar Monate waren komisch“, erinnert sie sich. Für Ilgen-Nur stand fest: Sie muss zurück nach L.A. Die langen Monate der Pandemie verbrachte sie aber erstmal in Berlin. In dieser Zeit fing sie an, neue Songs zu schreiben.

„Sweet Thing“ von Ilgen-Nur

Die Pläne für ihr zweites Album konkretisierten sich Anfang 2022. Erneut flog sie in die USA, um an neuen Songs zu arbeiten. Im Sommer nahm sie mit Musikern aus Kalifornien und Berlin im Studio in San Pedro auf. Während das Debütalbum live eingespielt wurde, wurden diesmal Gitarren, Piano, Synthies und Harfe einzeln aufgenommen. Die Instrumentation klingt dichter und wärmer als auf dem Vorgänger. Als Inspiration dienten ihr kalifornische Künstlerinnen der 70er Jahre wie Karen Dalton und Carole King. Viel wichtiger schienen jedoch ihre persönlichen Erfahrungen zu sein. Den Song „Sweet Thing“ widmete sie dem weißen Mercedes, mit dem sie L.A. erkundete. „Don’t look for me/ I’ll be walking under different trees“, singt sie sehnsüchtig. Die Songs verkörpern ein Gefühl des Unterwegsseins und Sich-Treiben-Lassens.

Während ihr Debütalbum im Inneren verankert war, projiziert Ilgen-Nur nun anhand der kalifornischen Landschaften ihre Gefühle. Sie zeigt sich weniger verletzlich als auf dem Debüt, persönlich sind die Songs dennoch. Auch wenn der Sound maßgeblich durch ihre Los-Angeles-Zeit geprägt worden ist, spielt ihre Wahlheimat Berlin eine wichtige Rolle. Die instrumentale Interlude „Der Stern“ schrieb sie in einer Jamsession mit dem befreundeten Musiker Nicolas Fehr auf dem Dach des Berliner Funkhauses. Trotz des deutschsprachigen Titels singt Ilgen-Nur wie auf dem Vorgänger ausschließlich in englischer Sprache.

Trotz des anhaltenden Fernwehs nach Los Angeles fühlt sie sich in Berlin Zuhause

Ihre Erfahrungen in Amerika bewegten sie dazu, über ihr Leben in Berlin zu reflektieren. Der Titel „Momentary Bliss“ beleuchtet die Schnelllebigkeit und den Party-Hedonismus der Stadt. „Momentary bliss/ Lasts longer if you wish/ These Walls feel heavy/ This place feels heavy too“, singt sie über den Akkorden einer Akustikgitarre. „Es geht darum, wie ich mich glücklich und verbunden in dieser Stadt fühlen kann, außerhalb der Partykultur“, erklärt sie.

Trotz des anhaltenden Fernwehs nach Los Angeles fühlt sie sich in Berlin Zuhause. „Ich mag Berlin richtig gerne, ich mag meine Freunde hier. Ich weiß aber nicht, ob mich die Stadt langfristig glücklich macht und inspiriert“, sagt sie. Bevor es wieder nach Kalifornien geht, tourt Ilgen-Nur mit „It’s All Happening“ durch Deutschland. Bei ihrem Auftritt am 22. November im Hole44 beamt sie uns von der Hermannstraße in den Laurel Canyon, zumindest für eine Nacht. 

  • Hole44 Hermannstr. 146, Neukölln, Mi 22.11., 20 Uhr, VVK 28 € (Tickets)
  • Ilgen-Nur „It’s All Happening“ (Power Nap Records)

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