Ravepunk

Der ewige Raver: Nachruf auf Torsun Burkhardt von der Band Egotronic

Thorsten „Torsun“ Burkhardt ist tot. Er brachte mit dem Sound seiner Band Egotronic Hardcorepunk und Techno zusammen und gilt als Wegbereiter des Ravepunk. Mit ihm stirbt einer der prägendsten Underground-Musiker der Nullerjahre – und hinterlässt einen Dancefloor, an dessen Politisierung er nachhaltig Teil hatte. 

Torsun Burkhardt beim Sound of Forest Festival, 2017. Foto: Imago/Dita Vollmond/HMB Media
Thorsten „Torsun“ Burkhardt beim Sound of Forest Festival, 2017. Foto: Imago/Dita Vollmond/HMB Media

Thorsten „Torsun“ Burkhardt, Gründer, Frontmann und einzige Konstante von Egotronic

Einen Nachruf zu schreiben ist nie leicht. Wie viel Leben passt in eine Handvoll Zeilen? Aber einen Nachruf auf jemanden zu schreiben, den man kannte, das ist noch viel schwieriger. Selbst wenn die letzte Begegnung viele, viele Jahre her ist.  

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Thorsten „Torsun“ Burkhardt, Gründer, Frontmann und einzige Konstante von Egotronic, Elektropunk-Tausendsassa, antideutscher Posterboy, Rausch- und Feierprofi und Buchautor, ist tot. Am Nachmittag des 30. Dezember 2023 verstarb er friedlich im Schlaf, wie seine Frau Selina auf Instagram mitteilte. Das letzte Foto und Caption, ein simples „Adieu“, suchte er sich noch selbst aus. Das Bild, vermutlich Scan eines analogen Fotos, zeigt ihn in jüngeren Jahren, irgendwo auf vor einer Tür sitzend. Zur schwarzen Bomberjacke trägt er eine knallgelbe Sonnenbrille in Herzform und lacht jemanden außerhalb des Bildes an. Es versprüht Lebensfreude. Und Freude am Leben, die hatte Burkhardt, den doch alle nur als Torsun kannten, perfektioniert. 

Wann wir uns das letzte Mal begegnet sind, weiß ich nicht mehr. Vielleicht war es irgendein Dancefloor, irgendwo im Osten der Stadt. Vielleicht freuten wir uns wieder darüber, dass wir beide aus der gleichen Gegend Deutschlands, dem Odenwald, stammten und machten Witze darüber. Dass er aber ein breites Grinsen im Gesicht hatte, das weiß ich noch. Denn das hatte er eigentlich meistens im Gesicht. 

Besser erinnere ich mich an unsere erste Begegnung: Es war 2010

Besser erinnere ich mich an unsere erste Begegnung: es war 2010, ich war 21 und noch grün hinter meinen Journalistinnenohren. Ein Musikmagazin, dass es heute längst nicht mehr gibt, schickte mich mit einer Band auf Tour – Egotronic. Ein paar Tage im Bus mitfahren, Konzerte in Autonomen- und Jugend- und Kulturzentren an Orten wie dem sächsischen Döbeln, sonst vor allem für rassistische Brandanschläge und den Widerstand dagegen bekannt, miterleben. „Dorfdisko Geiselfahrt“ hieß die Konzertreihe, es sollte Egotronics viertes Album, „Ausflug mit Freuden“, feiern. Auf dem Cover stellten Torsun und das damalige Bandmitglied Endi die Geiselnahme von Gladbeck nach, der mediale Aufschrei war natürlich einkalkuliert. Provozieren, das konnte Torsun ja mindestens genauso gut wie feiern.  

Mit Egotronic stand er Anfang der Nullerjahre zeitgleich mit seinen späteren Labelkollegen Saalschutz aus Zürich für Elektropunk auf Deutsch. Wobei, das was diese Bands produzierten, ging noch eine Stufe weiter – Ravepunk. Geboren irgendwo zwischen dem rohen Punk der Jugendzentren, dem Gefiepe von Videospielen und der Technoravekultur der damals noch so unfertigen Berliner Clubs. Radikal politisch und politisch radikal, und zwar links außen. Aber nie, und das war Torsun immer wichtig, ohne auch die eigene Szene kritisch zu betrachten. Insbesondere bis zuletzt auch was das Thema Antisemitismus anging, wie die von ihm 2021 mitbegründete Initiative „Artists against Antisemitism“, als Gegenpol zu BDS-Boykottaufrufen gedacht, wieder zeigte.  

„Mehr Bass“ vom 2010 erschienenem Egotronic-Album „Ausflug mit Freunden“

„Raven gegen Deutschland“

Statt aber Adorno-Vorlesungen von der Bühne aus zu halten, brachten Egotronic den Rave. Schiere Energie, absoluter Hedonismus, völlige Entgrenzung als kollektives Erlebnis. Aber eben nie unpolitisch. Es hieß ja auch nicht „Le Rave pour le Rave“ bei Egotronic, sondern „Raven gegen Deutschland“. Gegen den fruchtbaren Schoß, aus dem immer noch Antisemitismus und Rassismus krochen. Gegen den biederen Hass auf alles, was außerhalb der Norm markiert wird. Gegen den Radikalismus der Mitte, für den wir Mitte der Zweitausender noch gar keine Worte hatten. Gegen Deutschlandfahnen, gegen Geschichtsrevisionismus, gegen einen vermeintlich „entspannten Party-Patriotismus“, der zur WM 2006 ausgerufen wurde. 

Es ist keine Überraschung, dass nach einigen Jahren radikalem DIY-Ethos mit seinem damals noch als „König Ego“ benannten Projekt, das Debütalbum von Egotronic ausgerechnet ebenfalls 2006 erscheinen sollte. Während sich Menschen selig schunkelnd auf der Fanmeile in den Armen lagen, lieferte Torsun eine Electro-Trash-Version des englischen Fußballklassikers „Ten German Bombers“ à la Scooter, dazu ein Musikvideo, das aus gefundenen Fotos und wunderbar dilettantischen Szenen mit Freunden in einem Park und im eigenen WG-Flur bestand. Das führte nicht nur zum vielleicht ersten Shitstorm Deutschlands (viele aufgeregte Blogbeiträge sollten geschrieben werden), sondern landete gleich auch neben Jürgen Drews und Co. auf dem Sampler „Ballermann: Die Weltmeister-Hits 2006“. Wie viele Hörer:innen der Track nachhaltig verstören sollte, wird nicht überliefert. 

Ein Schlüsselsong für die immerhin über zwanzig Jahre andauernde Geschichte Egotronics aber war „Exportschlager Leitkultur“, der auch heute wieder traurige Relevanz hat: „Mit der Mitte in die Zukunft heißt Tradition pur! Der Exportschlager aus Deutschland heißt für immer Leitkultur!“ Zeilen, die zwischen Merz’ bizarren Verlautbarungen zu Weihnachtsbäumen und Schulterschlüssen zwischen Konservativen und Figuren von ganz rechts außen wieder sehr aktuell wirken.  

Der politisierte Dancefloor: „Exportschlager Leitkultur“, Schlüsselsong von Egotronic

Auf Konzerten in Jugendzentren, in besetzten Häusern oder auf Partys feierten Kids dazu und schärften ihre eigene politische Positionierung damit quasi im Nebenbei auf dem Dancefloor. Seine Texte waren wütend, aber immer humorvoll, thematisierten radikal persönliche Themen wie seine Rheumatismuserkrankung ebenso wie linksradikale Politik – und sollten bei jedem einzelnen Auftritt das Publikum zur völligen Eskalation treiben. Wer einmal ein Egotronic-Konzert miterlebt hatte, vergaß das nicht mehr so schnell. Und landete vielleicht danach mit Torsun am Tresen. Der hatte zwar seine Bandprojekte vielleicht nicht ganz ohne Grund mit dem Wörtchen „Ego“ bedacht, aber seinem Gegenüber, solange es keine Antisemiten, Nazis oder Faschisten waren, begegnete er mit großer Herzlichkeit und ohne Allüren. Ob es nun verunsicherte, junge Journalistinnen wie ich waren, die als vielleicht einzige nüchterne Person im Tourbus mitfuhren, oder Jugendliche in irgendeinem Jukuz in einem Dorf in der hinterletzten Ecke des Landes, für die sich sonst kaum jemand interessierte und mit denen er bis zur Abfahrt am nächsten Morgen zusammensaß, ein Bier nach dem anderen trank, vielleicht das eine oder andere Rauschmittel konsumierte und über Gott und die Welt sprach.  

Ende 2022 wollte Torsun Egotronic in den Winterschlaf schicken

Ende 2022 wollte Torsun Burkhardt Egotronic in den Winterschlaf schicken, eine ausverkaufte Abschiedstour sollte nach zehn Alben das vorläufige Ende dieses Kapitels darstellen. Mit seiner Frau Selina und Musiker Christian Schilgen, der bei der letzten Iteration von Egotronic dabei gewesen war, wollte er mit „Torsun & The Stereotronics“ neu starten. Lo-Fi-Pop statt Elektropunk, neuer Sound, neues Leben. Anfang Januar letzten Jahres veröffentlichte das Trio seine Debütsingle „Alles Neu“, einen der vielleicht besten Songs, die Torsun je geschrieben hat: „Der Hype ist vorbei / Und das Leben normal / Und das ist voll okay / Ich wurde nicht reich und bin jetzt wieder arm / So einfach kann’s gehen“. Es wirkte, als zöge er damals schon ein Resümee seines Lebens, aber eines, das Lust auf das nächste, vielleicht ruhigere Kapitel machte. Mit einem Torsun, der mit dem Alkohol und Rauschmitteln Schluss gemacht hatte.  

Sogar ein neuer Song, „Bonusleben“, entstand

Doch die Gesundheit sollte ihm wieder einen Strich durch die Rechnung machen: im März 2023 veröffentlichte er seine Diagnose auf Instagram. Krebs, unheilbar, mittels palliativer Chemotherapie wollte er der Krankheit noch ein paar Monate abtrotzen. „Hey, harte Chemo-Kuren hab ich schließlich jahrelang trainiert“, schrieb er dazu. Ein paar Monate wurden es noch, sogar ein neuer Song, „Bonusleben“, entstand. Und kurz vor Weihnachten postet er noch einen „Last Christmas“-Remix. Seinen schwarzen Humor ließ sich Torsun vom Tod erst nicht nehmen.  

Auf das Leben, die Musik, den Rave. Auf dich, lieber Torsun.  


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