Auf der einen Seite: Tausende vor allem junge Menschen, die in Berlins Parks und Brandenburgs Bunkern geheime Partys feiern. Auf der anderen Seite ein Senat, der das Feiern auf Grünflächen ermöglichen will – um so der darbenden Clublandschaft zu helfen. Ein Spannungsverhältnis, das die Hauptstadt derzeit sehr beschäftigt. Und das ein aussichtsloser Kampf ist: Wegen der Ignoranz der Menschheit – und dem Ödnis-Faktor legaler Raves mit strikten Regeln. Ein Kommentar von Sebastian Scherer.
Am Wochenende erreichte die Party-Vehemenz in der Hasenheide einen neuen Höhepunkt. 5.000 Menschen zählte die Polizei, die laut und ausgelassen in dem dafür immer beliebter werdenden Park feierten. Nicht alle, aber viele ignorierten dabei jede Corona-Regulierung. Wer sich eine Flasche mit sieben Freunden teilt, kann danach auch eng tanzen, so die häufig dargebotene Logik. Die Polizei wollte dem Chaos etwas entgegensetzen, blieb dann mit ein paar Bußgeldbescheiden nach langem Hin und Her zurück. Das wirkt hilflos. Und ist es wahrscheinlich auch.
Senat und Club Commission wollen legale Raves möglich machen
Senat und Club Commission sind nun bemüht, den Hedonismus (oder einfacher ausgedrückt: Die Rücksichtslosigkeit) des Berliner Partyvolks in Bahnen zu leiten, die nicht nur in Zeiten einer Pandemie weniger gefährlich, sondern auch kontrollierbarer sind. Heißt: Senatorin Ramona Pop, die Club Commission als Lobby der (meisten) Berliner Clubs und die Bezirke suchen nun Freiflächen, auf denen mit guten Konzepten sicher gefeiert werden kann. Die ersten Clubs, etwa laut „taz“ das Kater Blau, versuchen, entsprechende Konzepte für ihre eigenen Außenanlagen zusammenzubauen. Andere winken ab – lohnt sich alles nicht.
Der Betrieb auf der grünen Wiese ist teuer – so ziemlich alles müsste herangekarrt werden. Und das mit einem großen Risiko: Kommen genug Menschen, um auch nur ansatzweise an Wirtschaftlichkeit denken zu können?
Fraglich, ohne Frage. Denn: Vom Hermannplatz durch ein, zwei Spätis in die Hasenheide zu stolpern und dort die Bluetooth-Boxen aufzureißen ist weniger aufwendig als nach Spandau zu gondeln, weil da irgendein Acker genug Platz für 500 Brandenburger*innen und Berliner*innen ohne Insider-Ticket zu den geheimen Partys bietet. Und wer schon rausfährt, der macht es gleich richtig. Denn Berlins Party-Crowd hat längst abgelegene Gutshäuser, die man mieten kann, gefunden, in denen 50 beste Freund*innen wilder Freiluftorgien feiern. Oder einen verlassenen Bunker, für den Hunderte für ein bisschen Berghain-Atmo auch mal eineinhalb Stunden Anreise in Kauf nehmen.
Längst ein naives Revolutions-Gefühl in der Party-Szene
Der Partywillen ist groß. Und in der Rave-Szene ist schon längst ein naives Revolutions-Gefühl vorherrschend. Nur, dass die derzeitigen Underground-Partys nicht viel des Aufstandes, des Andersseins in sich tragen. Sie begehren nicht gegen das System auf oder sind sonst irgendwie nennenswert anarchistisch, weil der Feind nicht die oben oder die Instanzen sind, sondern ein unsichtbarer Virus, der sich um die Freiheitsfantasien seiner Opfer wenig schert. Die Feste vermitteln den Gästen ein Gefühl der Exklusivität, eine Realitätsflucht. Und verdrängen die weiterhin reale Gefahr einer Pandemie.
Viele posten derzeit auf Instagram wackelige Videos von den verruchten Nächten, die sie erleben. Sie schicken die Standorte aus dem abgelegensten Brandenburg an ihren elitären Zirkel. Ihnen wird es weitestgehend egal sein, dass Berlin lange nach dem Erreichen der Halbzeit der üblichen Open-Air-Saison erlaubt, mit Abstand zu tanzen.
Aber, und das ist auch wichtig und richtig, dieses Angebot ermöglicht zumindest jenen, die achtsam mit sich und vor allem mit anderen sein wollen, vielleicht auch mal wieder ein bisschen Party-Feeling zu haben. Es löst nur das andere – und unter Pandemie-Gesichtspunkten – größere Problem einfach nicht.
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Dank tamtams Soundinstallation gibt es wenigstens wieder ein bisschen Berghain-Feeling. Und auch in der Wilden Renate wird es mit Overmorrow wieder etwas belebter. Grundsätzlich ist das Überleben der Berliner Clubs wichtig – denn es geht um mehr als Ballern und Bumsen.