Das Ende von Tegel ist besiegelt. Leider! Denn bei allen Unzulänglichkeiten – am Ende hatten wir den Flughafen doch tief in unser Herz geschlossen. Und das nicht nur, weil wir in Berlin Kummer gewohnt sind und ohnehin nicht an den neuen BER glaubten. Sondern weil der wahre Charme manchmal einfach im Kleinen liegt.
Tegel war wie ein Familienmitglied, das man manchmal bei Festen traf: eigentlich nervig, aber irgendwie hat man es im Herzen. Und es gehört eben dazu. Am 8. November startet um 15 Uhr die letzte Maschine. Wir sind traurig. 12 Dinge, die uns fehlen werden.
Die Anreise zu Tegel war einfach
Im Alex in den TXL springen, der auch sonst an wichtigen Knotenpunkten hielt. Oder eben ins Taxi. Oder was auch immer. Wer aus dem Stadtgebiet nach Tegel wollte, fühlte sich nie wirklich, als würde er die Stadt verlassen. Brandenburg, das ist weit weg, wenn man in Mitte Koffer packt. Da ist keine Emotion, kein Heimatgefühl für Berliner*innen. Blöd war immer nur, wenn Streik war und die Straße zum Airport völlig dicht. Da musste man dann auch mal zwei Kilometer joggen mit dem Rolli, um den Flug noch zu kriegen.
Frankreich-Feeling vor dem Flug mit Air France? Na klar
Tegel, wie das schon klingt! Ein bisschen nach Topf oder Tiegel, nach großer weiter Welt aber ganz gewiss nicht. Zum Glück kam man schon bei der Anreise auf ganz andere Gedanken. Denn die Expressbusse zum Flughafen fuhren mitten durch den ehemaligen französischen Sektor der Stadt, und dort durch die Wohnsiedlungen für französische Soldaten. Diese Quartiere mit klangvollen Namen wie Cité Joffré erinnerten gleich an Paris, die Straßen heißen Charles-Corcelle-Ring, Rue Ambroise Pare oder Allée du Stade. Nach der Haltestelle Aristide-Briand-Brücke ging’s aber erst einmal wieder auf den Saatwinkler Damm und dann zum Terminal. Mehr französisches Berlin? Hier entlang.
Die Geschichte ist interessant
Der Flughafen wurde auf einem früheren Teil der Jungfernheide gebaut. Die so heißt, weil sie Nonnen des Klosters Spandau gehörte. Sie hat eine bewegte Geschichte hinter sich, die Heide: Anfang des 19. Jahrhunderts wurde hier noch ein Mensch verbrannt – Todesurteil; später wurde ein Schießplatz für König Friedrich Wilhelm III. angelegt. Anfang des 20. Jahrhunderts dann Ankunft des 1. Preußische Luftschiffer-Bataillon, das mit verschiedenen Luftschiff-Konstruktionen experimentierte. Nach dem Ersten Weltkrieg durfte Deutschland keine Luftstreitkräfte mehr haben. 1930 eröffnet der Raketenschießplatz Tegel. Später ist er Teil der Luftbrücke.
Raus und rein
Angeblich sind es, wenn man am richtigen Punkt aussteigt und am passenden Gate abfliegt, gerade einmal 28 Meter von Ankunft bis zu eben jenem. Die ideale Konstellation ist natürlich die Ausnahme. Aber während wir auf den Hauptstadtflughäfen der Welt gern gefühlte Stunden umhereilen, sind wir in Tegel immer zackig am Gate.
Kuschelfaktor!
Vereinsamt ist in Tegel noch niemand. Denn vor Corona standen wir gern kreuz und quer Schlange. Ja, der Flughafen war viel zu klein für seine mehr als 20 Millionen Fluggäste. Und so standen wir uns gegenseitig auf den Füßen. In einer Single-Metropole wie Berlin ist das doch aber positiv zu sehen: Schneller finden sich nirgendwo Reisebegleiter.
Promi-Alarm
Wer die Augen offen hielt, konnte in Tegel immer irgendeinen Prominenten entdecken. Denn die hatten ja auch keine Wahl: Ausgefuchstes VIP-Treatment war für die allermeisten aus Funk und Fernsehen bekannten Menschen eben auch nicht vorgesehen. Klar, die Politprominenz konnte den Tegel-Terror weiträumig umfahren – aber alle anderen mussten eben auch ins Getümmel des Winz-Flughafens. Irgendwie erdet das ja auch: In Tegel sind alle gleich. Der Berliner Entertainer Julian FM Stoeckel startete sogar eine Petition für den Erhalt – leider ohne Erfolg.
Immer schön per pedes
Andere Flughafen shuttlen uns gefühlt durchs halbe Land, wir müssen uns in Züge und Monorails setzen und von einem Gate zum nächsten fahren. Nicht so in Tegel. Die fünf Terminals erreichen wir easy per pedes – laufend eben.
Die Ikone haben, die Hannover nicht wollte
Das Architekturbüro gmp wollte die ikonische Sechseckform auch nach Hannover und Moskau bringen – dort entschied man sich anders. Architekt Meinhard von Gerkan (das G in gmp) schreib im Buch „Black Box BER“: „Das Konzept des Flughafens Berlin-Tegel – laut weltweit nahezu übereinstimmender Einschätzung noch heute der am besten funktionierende Airport – bestand die ersten Jahre aus reinen Aviation-Flächen. […] Von der Taxivorfahrt bis zum Check-in-Schalter waren es 20 m, vom Counter durch den Warteraum bis zur Flugzeugtür noch 15 m. Das ist für einen Vielflieger der einzig wahre Komfort.“
Keine Versuchung
Während andere große Flughafen wie Malls daherkommen, in denen wir angesichts der Fülle an Shops und Gastoangeboten eigentlich schon unseren Urlaub verbringen könnten, hat uns Tegel nie in Versuchung geführt, schon vor Abflug Unsummen zu versenken. Es gab zwar von Apotheke bis Herrenausstatter einiges für den Notfall, aber das auch nur zu sehr geregelten Öffnungszeiten – und bei spätem Abflug mussten wir uns regelmäßig mit Kaffee aus dem Automaten begnügen, weil selbst Starbucks schon dicht hatte. Eine willkommene Abwechslung in unserer Überflussgesellschaft.
Effizienz
Es klingt verrückt, einem Flughafen wie Tegel angesichts der Überlastungsmeldungen Effizienz zu unterstellen. Aber mal ehrlich: Aus der Not wurde oft eine Tugend gemacht: Alle Zahnräder griffen ineinander, und wenn es darauf ankam, waren wir schneller im Flieger als auf jedem anderen Flughafen. Weil alle die Unzulänglichkeiten kannten, arbeiteten alle gemeinsam gegen sie an. Irgendwie fühlte sich Tegel an wie ein Familienbetrieb, in dem alle wissen: Ohne uns geht es nicht.
Ankommen, zuhause sein
Ob nun die Currywurst-Bude in S-Bahn-Form, die gelben BVG-Busse, den Ferbnsehturm im Landeanflug sehen oder einfach der Fakt, dass wir schon in wenigen Minuten wieder mitten in der Stadt sein werden: Kaum ein Flughafen schreit einem so sehr „Du bist zuhause“ entgegen wie Tegel. Nicht nur, weil wir tatsächlich schnell zuhause sind. Sondern weil das ganze Chaos, die Überlastung, die Aufregung so gut zu Berlin passen. Wir sind ja aus gutem Grund noch nicht nach Brandenburg gezogen…
Die Erinnerungen
Über Jahrzehnte begannen und endeten unsere Reisen an diesem Ort, diesem Flughafen, für den wir uns international schämen sollten, aber ihn doch so sehr liebten. Berliner*innen werden schnell emotional, wenn es um Orte geht. die ihnen etwas bedeuten – siehe zum Beispiel Tempelhofer Feld. Und Tegel war eine Erinnerungsmaschine, an der unser Traumurlaube begannen, von der aus wir zu wichtigen Terminen flogen, zu Hochzeiten, zu Geburtstagen. Wenn wir sahen, dass wir in Brandenburg starten sollte, verdrehten wir kollektiv die Augen. Tegel war die erste Wahl, für wahnsinnig viele Menschen. Und auch, wenn wir uns – wie immer – an alles gewöhnen: Er wird uns immer fehlen.
Die Abschiedsflüge über das Tegel-Gelände waren umstritten. Wer weiterhin in die Richtung fahren will: Der Ortsteil Tegel hat viel zu bieten. Auch an der Strecke: Der Zentrale Festplatz Wedding, einer der absurdesten Orte Berlins.