Berliner Original

Der König von Albanien: Vom Schausteller zum Herrscher

Der ehemalige König von Albanien lebte in Berlin. Zumindest behauptete der stadtbekannte Schausteller und Überlebenskünstler Otto Witte sein Leben lang, fünf Tage auf dem albanischen Thron verbracht zu haben. Die Geschichte seines legendären Coups klingt wie ein Märchen – doch hinter jedem Märchen steckt ein Fünkchen Wahrheit.

Otto Witte, der ehemalige König von Albanien, auf einer Schaustellerreise. Foto: Imago/ZUMA/Keystone

Der König von Albanien: Ein Leben wie ein Märchen

Der „ehemalige König von Albanien“ wohnte in Pankow. Die unglaubliche Geschichte des Schaustellers Otto Witte, die sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg zugetragen haben soll, liest sich wie ein Märchen. Und wie es sich für ein gutes Märchen gehört, dürfen Fiktion und Realität schon mal verschwimmen.

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Der Jahrmarktskünstler Witte, der viele Jahre in der Berliner Kattegatstraße lebte, war ein Meister der Mythen. An seiner Schaubude, mit der er quer durch die Stadt tingelte, erzählte er von Räubern, Spionen, Prinzen, Sultanen und dem größten Coup seines Lebens. In den 1920er-Jahren wurde er so zum stadtbekannten Original.

Hundert Jahre später würdigen wir den „ehemaligen König von Albanien“. Auch wenn seine Geschichte nie belegt wurde, wollen wir ihm glauben. Hinter jedem Märchen steckt ja bekanntlich ein Funken Wahrheit. Also weg mit dem Konjunktiv! Zeit für ein Abenteuer…

Otto Witte: Vom Schausteller zum Spion

Es war einmal ein Junge namens Otto. Der ging lieber auf den Jahrmarkt als zur Schule, lernte Zaubern und Wahrsagen statt Mathematik und Physik. Bald hatte er so tolle Tricks auf Lager, dass ihn der berühmte Zirkus Althoff mit auf eine Tournee durch halb Europa nahm. Doch in den Tiefen des Balkans lauerten Räuber und entführten den Schausteller. Durch eine List gelang ihm die Flucht nach Afrika. 1912 landete er in der Türkei, wo der Geheimdienst auf den jungen Deutschen aufmerksam wurde. Plötzlich war Otto ein Spion im Ersten Balkankrieg. Seine Zirkustricks hatten ihn gut vorbereitet.

In einem halsbrecherischen Streich gelang es ihm, die Aufmarschpläne der bulgarischen Armee zu stehlen. Dank ihm wussten die Osmanen nun bestens Bescheid. Trotzdem sah es schlecht aus für die Weltmacht. Der Balkanbund aus Serbien, Montenegro, Bulgarien und Griechenland war nicht mehr im Zaum zu halten. Diese Länder hatten nämlich keine Lust mehr, Teil des Osmanischen Reichs zu bleiben. Mitten in den Kriegswirren erklärte dann auch noch Albanien seine Unabhängigkeit.

Der Sultan stand kurz vor einer fatalen Niederlage, als ihm ein gewitzter Schachzug einfiel. Um wenigstens das kleine Albanien halten zu können, wollte er einen türkischen König entsenden, der das Land in seinem Sinne regieren, die albanische Unabhängigkeit allerdings respektieren sollte. Schnell fiel die Wahl auf seinen Neffen Prinz Halim ed-Din. Und Otto, der als Geheimagent natürlich bestens informiert war, sah dem Prinzen zum Verwechseln ähnlich. 

Otto Witte gelingt ein königlicher Coup

Eine solche Chance ließ sich der Lebenskünstler nicht entgehen. Mit einem Komplizen kleidete er sich königlich ein und folgte den Telegrammen des Sultans nach Tirana. Ottos Auftreten, seine Menschenkenntnis, die er sich durch das Wahrsagen angeeignet hatte, die Trickserei aus der Zauberkunst und fast perfektes Türkisch führten am 15. Februar 1913 tatsächlich zur Krönung. Der Hochstapler war nun Halim ed-Din, König von Albanien. 

Und was machte der neue König? Er vergnügte sich erst mal in einem Harem, ernannte Freunde zu Kommandeuren und plante einen Überraschungsangriff gegen Serbien. Fünf Tage lang lebte er wortwörtlich wie ein König, bis plötzlich der echte Prinz vor den Toren Tiranas stand. Otto und sein Komplize reagierten blitzschnell und ergriffen die Flucht. Aber natürlich nicht, ohne vorher noch schnell die Schatzkammer zu besuchen. 

Der „ehemalige König von Albanien“ reiste zurück nach Deutschland und zog in eine Pankower Mietskaserne. Zwar kein Palast, aber er schien sich wohl zu fühlen. Immerhin sollte er viele Jahre dort verbringen. Die Berliner Bevölkerung liebte seine Abenteuergeschichten, die er den Rest seines Lebens aus seiner schlossförmigen Schaubude auf Jahrmärkten erzählte. Die alte Uniform trug er weiterhin mit Stolz. Seine Memoiren wurden in der Presse und Büchern veröffentlicht.

Bald kamen jedoch Zweifel auf. Widersprüche und historische Fehler zeichneten sich in seinen Geschichten ab, Ottos Schilderung stimmten nicht mit dem Kriegsgeschehen überein, Belege fehlten gänzlich. War der Schausteller seiner eigenen Fantasie verfallen? War er überhaupt jemals in Albanien gewesen? Womöglich gelang es dem armen Otto, der vehement darauf bestand, weiterhin als „ehemaliger König von Albanien“ angesprochen zu werden, nicht mehr zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Oder war die Wahrheit einfach zu verrückt, um geglaubt zu werden?

Der ehemalige König von Albanien: Otto verdient die Krone

Otto Wittes Grab auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Foto: Bernhard Diener, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Auf dem Jahrmarkt blieb er ein König. Und die Schaulustigen spielten mit, schlüpften in die Rolle seiner Untertanen und erfreuten sich an den Heldengeschichten. Kleine Fehler überhörte man einfach, weil Otto so begeistert erzählte. Die Berliner Polizei gestattete ihm sogar, den Titel „Ehem. König v. Albanien“ als Künstlername in seinem Pass zu tragen. Egal ob im Märchen oder in der Realität: Otto hat sich die Krone verdient. 

1958 starb die kleine Berühmtheit in Hamburg. Auch wenn sich heute kaum jemand an ihn erinnert, hat seine Geschichte ihren Weg in Romane und Theaterstücke gefunden. Seine Nachfahren führten das Schaustellererbe fort. Enkel Norbert Witte betrieb von 1991 bis 2001 den Berliner Spreepark. 2003 wurden der Rummel-König und sein Sohn Marcel wegen des Versuchs, 167 Kilo Kokain im Mast eines Fahrgeschäftes nach Deutschland zu schmuggeln, verhaftet. Seit 2008 ist Norbert Witte wieder auf freiem Fuß. Sein Sohn sitzt nach jahrelanger Haft in Peru noch immer im Gefängnis Moabit.  

So manches Märchen endet düster. Doch wer heute über den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg spaziert, findet vielleicht den alten Grabstein mit der Inschrift: „Otto Witte – Ehem. König v. Albanien“.

Otto Witte, Ex-König von Albanien. Illustration: Nathan D’Arcy

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Otto Wittes Straße in Pankow wurde nach der Reform zu Wedding gezählt: Der ehemalige König von Albanien gehört also zu den Berühmtheiten aus Wedding. Auch andere Charaktere bleiben unvergessen: Diese Berliner Originale prägten die Stadt. Mit Bildern und historischen Fotos spüren wir Berliner Bühnen nach: Theater und Opernhäuser, die es nicht mehr gibt. Die Fotogalerie mit Bildern vom Kriegsende zeigt 1945 und die Gegenwart – das zerstörte Berlin im Vergleich mit dem modernen Berlin. Ansichten aus der Zeit vor den Kriegszerstörungen zeigen wir hier: 12 Farbfotos aus Berlin in den 1940er-Jahren. Mehr zur Geschichte Berlins lest ihr in dieser Rubrik.

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