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Kommentar

Kennzeichen für Fahrräder in Berlin? Falsches Signal von Slowik

Die Polizeipräsidentin von Berlin, Barbara Slowik, denkt über eine Kennzeichnungspflicht für Radfahrer und Radfahrerinnen nach. Unsere Autorin findet: Kann man machen, aber vielleicht sollte man zuerst konsequent dafür sorgen, dass Radfahrer*innen ihre Wege auch benutzen können. Und die, die ganz oben in der Hackordnung stehen, nämlich die Autofahrer*innen, für ihr Fehlverhalten zur Rechenschaft ziehen.

Kennzeichnungspflicht für Radfahrer*innen in Berlin: Falsches Signal von Slowik
Immer wieder parken Autofahrer*innen die Radwege zu, ohne dass die Polizei etwas dagegen tut. Foto: imago images/Stefan Zeitz

Vorschlag der Kennzeichnung von Räder ist Populismus

Unter jedem Artikel über die Verkehrswende und den Radverkehr sind sie schnell dutzendweise zu finden: Kommentare von Menschen, die sich über Radfahrer*innen aufregen. Da steht dann sowas wie: „Heute erst wieder einen gesehen, der bei Rot gefahren ist“ oder „Rücksichtnahme ist ein Fremdwort für die meisten Radfahrer, die machen, was sie wollen“ oder „Radfahrer ignorieren alle Regeln“.

Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik ist nun auf diesen Zug aufgesprungen und fordert eine Kennzeichnungspflicht für Radfahrer*innen. Mit dieser populistischen Forderung biedert sie sich bei den Autofahrer*innen an, denen die Polizei in Berlin eh schon viel zu viel durchgehen lässt.

Radfahrer*innen werden zugeparkt, haben keinen Platz, müssen ausweichen

Es ist ein Fakt, dass der Verkehr in dieser Stadt auf Autos ausgerichtet ist und Radfahrer*innen prinzipiell das Nachsehen haben. Das ist die Wurzel des Problems und nicht selten Grund dafür, dass Radler*innen gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Autos und LKW nehmen den Großteil des Platzes auf den Straßen ein, ob parkend, fahrend oder an der Ampel stehend. Ihre Insassen parken die Radwege zu und bringen Radler*innen dadurch regelmäßig in Lebensgefahr. Die Polizei lässt sie gewähren.

Als die autofreie Friedrichstraße kam, räumten Autofahrer die Barken weg. Viele von ihnen haben kein Problem damit, Radfahrer*innen mit viel zu wenig Abstand zu überholen, anstatt zu warten, bis genug Platz zum Überholen ist. Autofahrer*innen waren 2019 auch für den Löwenanteil der Unfälle im Straßenverkehr verantwortlich, nämlich 75 Prozent — Radfahrer*innen dagegen waren an nur 3,9 Prozent der Unfälle beteiligt.

Der Verkehr ist auf Autos ausgelegt

Kennzeichnungspflicht für Radfahrer*innen in Berlin: Falsches Signal von Slowik
Die Radwege in Berlin sind oft zu voll. Foto: imago images/Jürgen Ritter

Wenn es zwischen Radfahrer*inne und Autos kracht, geht es für erstere nicht selten böse und oft sogar tödlich aus. 15 Menschen auf Fahrrädern sind 2019 bereits im Berliner Straßenverkehr gestorben — meistens, weil ihnen LKWs oder Autofahrer*innen beim Rechtsabbiegen die Vorfahrt genommen haben.

Diese Zahlen verändern ihre Botschaft auch dadurch nicht, dass Slowik betont, dass 52 Prozent der Unfälle mit Radfahrenden von Radfahrenden verursacht wurden. Denn die absolute Zahl dieser Unfälle ist mit 7854 immer noch verschwindend gering, wenn man sie mit den mehr als 110.000 Unfällen vergleicht, an denen Autofahrer*innen beteiligt waren.

Dazu kommt: Die Ampelphasen auf vielen Straßen sind auf Autos abgestimmt, so etwas wie eine grüne Welle gibt es dort für Radfahrende nicht. Das rechtfertigt natürlich nicht, dass Manche die roten Ampeln einfach überfahren Und auch sind zu schmale und überfüllte Radwege oder Kopfsteinpflaster keine Rechtfertigung dafür, dass manche Radler*innen auf die Gehwege ausweichen. Es sind aber Erklärungen. Und wahrhaftig gibt es unter den Radfahrenden genug Idioten. Aber die gibt es bei jeder Fortbewegungsform.

Abgesehen davon sind immer noch Autos die größte Gefahr für Menschen, die zu Fuß unterwegs sind: Bei Unfällen zwischen Radler*innen und Fußgänger*innen gab es 2019 insgesamt 43 Schwerverletzte, bei Autos und Radler*innen 285.

Radfahrer in Berlin: Die Zahlen sprechen für sich

Im Stadtverkehr sterben meist Fußgänger*innen und Radfahrer*innen — nicht diejenigen, die in Blechkutschen sitzen. Foto: imago images/Seeliger

Die Zahlen sprechen für sich. Und der gesunde Menschenverstand gegen zu viele Autos mit überbordenden Rechten in der Stadt. Obwohl Autofahrer*innen wissen, dass sie wegen ihrer eigenen Bequemlichkeit die Luft verpesten, die wir alle atmen und damit die Gesundheit aller Berliner*innen schmälern, schreien sie jedes Mal auf, wenn ihnen Platz genommen werden soll oder sie Privilegien abgeben sollen. Städte wie Amsterdam oder Kopenhagen zeigen, dass es anders geht.

Grundsätzlich spräche nichts gegen Nummernschilder an Fahrrädern. Aber wie soll die Polizei das kontrollieren, wenn sie es nicht mal schafft, Falschparker*innen von Radwegen fernzuhalten? Wenn die Ämter so schon nicht mit der Zulassung von Fahrzeugen hinterherkommen? Die Verkehrswende, die diese Stadt ohne Zweifel braucht, verlangt bessere Bedingungen für Radler*innen.

Wenn die Polizei es schafft, motorisierte Verkehrssünder zur Rechenschaft zu ziehen, wenn die Verkehrslenkung, inklusive die Ampeln, mehr die Bedürfnisse von Radfahrer*innen berücksichtigen, könnte man ernsthaft über Kennzeichnung für Fahrräder reden. Denn dann würden vielleicht auch so viele Menschen Rad fahren, dass die schwarzen Schafe unter ihnen relevant wären.


Immer wieder gibt es Diskussionen um die Pop-Up-Radwege, die im Sommer wegen der Pandemie entstanden sind. Unsere Autorin findet: Lasst die Pop-Up-Radwege in Ruhe, sie sind ein Hoffnungsschimmer. Der Radverkehr muss gestärkt werden.

Dass die Radwege in Berlin zu klein, zu schmal und zu wenig sind, ist besonders während der Pandemie ein Problem. Unser Autor berichtet von seiner Nah-Idiot-Erfahrung auf dem Rad und sagt: Bleibt auf Corona-Abstand, verdammt! Übrigens: Berlin informiert regelmäßig über alle neuen Regeln im Zusammenhang mit der Pandemie.

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