Verkehrspolitik

Autofreie Friedrichstraße: Ein Pilotprojekt in Berlin-Mitte

Am 4. September um 13 Uhr wurde die autofreie Friedrichstraße von Verkehrssenatorin Regine Günther und Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (beide Grüne) mit einer kleinen Eröffnungsrede eingeweiht. Auf 500 Metern, zwischen Französische Straße und Leipziger Straße, dürfen hier nun keine Autos mehr entlangfahren. Ein Pilotprojekt in Berlin-Mitte. Lest hier, wie die Eröffnung ablief – und was sich die Stadt von der autofreien Friedrichstraße verspricht.

autofreie Friedrichstraße
Fußgänger*innen flanieren gemütlich vor dem Einsteincafé. Radfahrer*innen genießen die autofreie Friedrichstraße. Foto: imago images/Bernd Friedel

Es ist eine ganz ungewohnte Atmosphäre in der Friedrichstraße. Durch die Mitte der Fahrbahn zieht sich ein breiter Fahrradweg, der durch neu aufgestellte Bäume sowie gelbe Streifen am Boden vom Fußgängerweg abgegrenzt ist. Autos müssen auf diesen 500 Metern draußen bleiben. An den Straßenseiten stehen kleine Cafétische und Stühle bis hin zum Radwegrand auf dem Gehweg. Fußgängerüberwege gibt es nicht. Doch damit kommen wir Berliner*innen ja sonst auch gut klar.

Die Friedrichstraße ist autofrei, aber noch längst nicht perfekt

Die Umgestaltung soll allerdings nicht nur der Ansehnlichkeit der Straße oder der Gemütlichkeit dienen. Es ist ein Pilotprojekt, das auf die Weiterentwicklung und Verbesserung der Stadt abzielt. Bis Januar bleibt der für Autos gesperrte Abschnitt der Friedrichstraße bestehen. Und soll sich dabei, so von Dassel, durch das Feedback der Stadtgesellschaft, der Gewerbetreibenden und der Politik stetig verschönern und verbessern.

In einer der zentralen Geschäftsstraßen in Berlin wird vier Monate lang – von Ende August 2020 bis Januar 2021 – der Autoverkehr eingestellt. Die erstmals autofreien Fläche soll vor allem Radfahr*innen und Fußgänger*innen dienen. Rechts und links: die Fußgänger*innen mit gemütlichen Sitzmöglichkeiten in kleinen Showrooms. Neu aufgestellte Bäume. Und in der Mitte: der Radweg. 

Kritik ist willkommen – und kommt auch nicht zu kurz

Nach einer Woche gibt es bereits Rückmeldungen. Diese sind einerseits sehr begeistert – und andererseits, wie für dieses Pilotprojekt zu erwarten war, durchaus kritisch. Die Kritik richtet sich nicht zuletzt gegen den Radweg: Dieser sei zu breit, die Radfahrer*innen wären zu schnell. Und diese Kritik und Anregungen seien, sagt Verkehrssenatorin Günther bei der Eröffnung, höchst willkommen. Denn gerade solche Anmerkungen sollten in den weiteren Prozess mit einfließen. Im Abgeordnetenhaus wurde bereits bemängelt, dass ein Fußgängerüberweg fehlt. 

Ein durchaus berechtigter Einwand. Allerdings ist es in Berlin typisch, nicht allzu breite, kleinere Straßen, auf denen lediglich Radfahrer*innen fahren, auch ohne extra Überweg zu überqueren. Gut wären an dieser Stelle zum Beispiel kleine Zebrastreifen – das wäre eine unkomplizierte Lösung. 

Kurz und aussagekräftig war die Rede zur Eröffnung der autofreien Friedrichstraße

In einer kleinen Einweihungsrede von insgesamt 15 Minuten wünschen Verkehrssenatorin Günther und Bezirksbürgermeister von Dassel den Berliner*innen eine freudige Zeit, in der sie die Ruhe und das Grüne genießen können. Und den Händler*innen bessere Geschäfte als während der Corona-Zeit.

Aber schon in den vergangenen Jahren mussten die Läden in der Friedrichstraße Umsatzeinbußen hinnehmen. Auch das soll sich mit der autofreien Friedrichstraße ändern. Und deshalb ist die Zusammenarbeit mit den Gewerbetreibenden auf der 500 Meter langen Strecke so wichtig. Dafür wird es in der Zeit regelmäßige Treffen geben, um auch ihre Gedanken in das Modellprojekt mit einfließen zu lassen. 

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Radfahrer*innen befahren gemütlich die autofreie Friedrichstraße. Foto: imago images/Stefan Zeitz

Am wichtigsten sei an diesem Projekt, betont von Dassel, dass die Friedrichstraße belebter, schöner und vor allem leiser als vorher wäre. Damit ist der Bezirksbürgermeister aber noch nicht zufrieden. Die Kontaktadresse für alles, was das Projekt betrifft, ist ganz bewusst auf wirtschaftsfö[email protected] gesetzt.

“Es geht hier auch um Wirtschaftsförderung und nicht nur, damit man sich auch mal, wenn man hier entlang läuft, unterhalten kann, was man vorher kaum konnte”, so von Dassel. Dabei waren es gerade Berliner Wirtschaftsverbände, die sich bereits im März auf Grund der Corona-Krise gegen das Projekt beziehungsweise für dessen Verschiebung aussprachen.

„Es wird schon schöner“, verspricht von Dassel

Das Projekt ist ein Prozess. Und den gesamten Prozess über wolle man kontinuierlich mit allen im Gespräch bleiben. Von den Radfahrer*innen über die Bewohner*innen und Gewerbetreibenden. „Es wird noch schöner“, verspricht Stephan von Dassel: mehr Gastronomie und mehr Schaufenster für die Fußgänger*innen. Eine weitere Hoffnung: Ein ansehnlicher Stadtraum könnte zu weniger Vandalismus führen.

Das Ziel ist es jedenfalls, Berlin gemeinsam mit der Stadtgesellschaft weiterzuentwickeln. Und deshalb – dies heben von Dassel und Günther in ihrer Eröffnungsrede besonders hervor – sei Kritik herzlich willkommen.

Investitionen statt Autos an der Friedrichstraße

Insgesamt herrscht während der Eröffnungsfeier eine positive, motivierte Stimmung. Auch ein Gewerbetreibender bedankt sich vor Publikum für die schöne, autofreie Straße. Seit vier Jahren, die er hier tätig ist, erlebt er – nachdem Nachbargeschäfte durch weniger Traffic weniger Mitarbeiter hatten oder auch schließen mussten – zum ersten Mal, dass wieder in die Friedrichstraße investiert wird. Mehr Personal, mehr Stühle und mehr Produkte werden wieder auf die Straße gebracht. Und für diese Motivation ist er dankbar.

Ein spannendes Pilotprojekt von Verkehrssenatorin Regine Günther und Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel. Für Radfahrer*innen, Fußgänger*innen, Gewerbetreibende und Wirtschaft. Wir sind gespannt, was hier in den kommenden vier Monaten noch so passiert. 


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