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Rauschgift

Kokstaxi-Boom in Berlin: Lieferung von Kokain weiter enorm beliebt

Berlin bietet vieles, vor allem auch: Drogen. Kokain kommt in der Hauptstadt per Lieferant an die Haustür, die Koks-Taxis drehen im ganzen Stadtgebiet ihre Runden. Einige spezialisiert, haben andere eine ganze Rauschgiftpalette von Pillen bis Gras dabei. Für den verwöhnten Großstadtkunden natürlich ein Träumchen: statt schäbig zum Dealer zu fahren, kommt der Gorillas-Style einfach vorbei. Die Polizei beobachtet (und bekämpft) die Koks-Taxis natürlich. Kommt aber kaum gegen die Masse an Kurieren an.

"Koks-Taxis" bringen in Berlin Nachschub – 50 Euro pro Kapsel. Für die Polizei eine Herausforderung. Foto: Imago/Panthermedia/Jagamia
Das „Kokstaxi“ bringen in Berlin Nachschub – 50 Euro pro Kapsel mit einem halben Gramm Kokain. Für die Polizei eine Herausforderung. Foto: Imago/Panthermedia/Jagamia

Kokstaxi: Schnell dem Dealer schreiben, dann auf Lieferung warten

Für die Autofahrerin muss es ein höllischer Schock gewesen sein. Als plötzlich die Tür aufging und Gerdi sich auf den Beifahrersitz schwang. „Einmal bitte“, sagte er, den Fünfziger schon in der Hand. Erst dann schaute er überhaupt, wer da neben ihm saß, in dem Kleinwagen, der vor Gerdis WG an der Weserstraße gehalten hatte. Nicht der Fahrer vom Kokstaxi, bei dem der 29-Jährige Rauschgift kaufen wollte. Sondern eine Frau, die einfach zufällig vor dem Haus hielt, als Gerdi eine Nachricht bekam: „Kommst du bitte? Roter Fiat steht vor der Tür.“

Wer sich Berlin berauschen will, hat wenig Probleme, an Drogen zu kommen. Im Görlitzer Park, auf dem Club-Klo, an U-Bahn-Stationen, überall werden Pulver, Flüssigkeiten, Pillen verschachert. Zu Beginn der Corona-Krise war Klopapier schwieriger zu bekommen als Kokain. Einer der komfortabelsten Beschaffungs-Wege der Stadt? Der Lieferservice.

Kund*innen schicken ihren Standort per Nachricht an einen der Dienste. Gern über die App Telegram, weil die als sicher bekannt ist. Binnen Minuten kommt die Antwort, meist eine Zeitangabe. 10, 15, 20 Minuten. Nur zu Stoßzeiten dauert es meist länger, bis eins der Kokstaxis vor der Tür steht. Freitagnacht gern auch mal eine Stunde.

Kokstaxi: Nummern werden auch mal per Visitenkarte verteilt

Auch Gerdi hatte so geordert, die Nummer von einem Kumpel bekommen, so funktioniert die Szene. Die schüchternen Dienste bestehen auf Bestätigung durch bekannte Kund*innen, wenn sich neue Abnehmer*innen bei ihnen melden. Eine Vertrauensfrage, der nächste Cop könnte ja schon hinter der nächsten Straßenecke lauern. Die draufgängerischen Anbieter verteilen im Nachtleben offensiv Visitenkarten. Mal vorgeblich für Obst-Lieferdienste, mal für Pizza. Es geht dabei: um Drogen.

Als der Dealer schrieb, Gerdi solle runterkommen, stürzte dieser die Stufen hinab und ins beschriebene Auto hinein, wobei er eben zuerst den falschen Wagen erwischte. „Der Taxifahrer stand 100 Meter weiter, tut mir echt leid, die Frau hat sich ziemlich erschrocken“, erzählt er danach seinen Freunden. Die kleine Kapsel, die er dann beim zweiten Anlauf im richtigen Wagen (ein halbes Gramm des weißen Pulvers für 50 Euro) erhalten hatte, liegt bereits geöffnet auf dem Tisch. Ein anderer Freund legt auf einem ausrangierten Tablet Lines, die er, Gerdi und zwei Freundinnen mit Strohhalmen ziehen werden.

Drogenfahnder: „Kokainepidemie“ in Berlin – Koks besonders stark

„Das Phänomen der Kokain-Lieferservices ist nicht ganz neu“, sagt Olaf Schremm, Chef der Drogenfahndung des Berliner Landeskriminalamts. Schremm hatte im Juni 2019 im „Tagesspiegel“ von einer „Kokainepidemie“ in Berlin gesprochen und klingt auch fast ein Jahr später nicht so, als wäre das Problem vom Tisch. „In Hamburg wurden im letzten Quartal 2019 rund sechs Tonnen eingeschifftes Kokain sichergestellt – das ist eine erstaunliche Menge. Eine Auswirkung auf Qualität und Preis hatte dies nicht.“ Ein Beleg, wieviel des Stoffs im Umlauf sei. Und: dass der Nachschub gesichert ist. Anfang 2021 gab des den bisher größten Fund in Deutschland: 16 Tonnen Kokain fanden Fahnder im Hamburger Hafen. Auf einmal. Engpässe in Berlin? Abermals nicht. Die Hauptstadt habe den stärksten Stoff – heißt: am meisten Droge, am wenigsten Streckmittel.

Umfrage bei drei Dealern – einem Taxifahrer, einem Straßendealer und einem, der Zuhause sein Geschäft betreibt (und den Marktpreis von 40 Euro pro halbem Gramm nimmt – die Zustellung kostet Taxi-Nutzer in der Regel zehn Euro mehr). Engpässe wegen Corona und geschlossener Clubs? Alle drei sagen: Nein. Nachfragetief? „Bisschen ruhiger am Anfang, inzwischen koksen die Leute Zuhause“, sagt der Taxifahrer. „Bisschen weniger Touris, sonst alles wie immer“, sagt der Straßendealer. „Am Anfang wollten die Leute mehr Gras und sanftes Zeug, inzwischen ballern sie wieder“, sagt der Heimverkäufer über seine Stammkunden. Gerüchteweise hamsterten Berliner:innen ja zu Beginn der Pandemie auch Koks-Berge für Geheim-Raves.

Kokain ist quer durch alle Gesellschaftsschichten beliebt

Drogenfahnder Schremm weiß, dass Kokain inzwischen gesellschaftlich tief verankert ist. Nicht nur bei Party-Atzen oder in Chefetagen. „Das geht querbeet durch alle Schichten. Heroin ist verpönt, Kokain nicht – die Abnehmerbasis ist in den vergangenen Jahren wesentlich größer geworden.“ Kein Wunder eigentlich in einer stressgen Welt. Kokain gilt als Stimmungsaufheller, als Aufputschmittel. Müde? Nicht mit uns! Dass es massiv abhängig macht? Vielen egal. Dass es die Kraft hat, auch kerngesunde Menschen einfach umzuhauen – Herzstillstand? Das passiert doch maximal den anderen. Und dass das Zeug auch gern mal gestreckt ist und dadurch noch deutlich gefährlicher – geschenkt. Drug Checking ist in Berlin immer noch nur in der Planung, und wer am Wochenende nachts Ballern will, wird den Stoff auch weiterhin nicht erstmal durchs Labor jagen können.

Die Koks-Lieferdienste sind da ein Geschenk, niemand muss mehr weiter als bis zur Straße vor der Tür das Haus verlassen, um an den Stoff zu kommen. „Wir versuchen, nicht die Lieferanten festzunehmen, sondern die Hintermänner“, sagt Schremm. Nur wenige organisieren sich komplett selbst. Viele werden aus dem Hintergrund gelenkt. „Es gibt unzählige Lieferdienste, aber wir können nicht feststellen, dass einer alles steuert.“ Gerät ein Taxi unter Verdacht, sind die Beschattungsmaßnahmen enorm – und langwierig. Die Fahrer, so nicht vorbestraft und nicht mit kiloweise Koks unterwegs, kommen meist ohnehin mit einer Geldstrafe davon. „Das löst unser Problem nicht“, so Schremm.

Erst Kokstaxi, später die schwere Abhängigkeit

Im vergangenen Jahr hatte es einen größeren Ermittlungserfolg gegeben, „wir haben mehrere Verfahren erfolgreich abschließen können, die in mehrjährigen Haftstrafen endeten“, sagt Schremm. Die Folgen sind überschaubar, der Markt boomt weiter, der Fahnder spricht von Nummern, bei denen täglich mehrere Hundert Bestellungen aufliefen. Und sieht eine Parallelentwicklung, die die Umfänge des Kokainhandels in Berlin offenbart: Auch in den U-Bahnhöfen wird mehr Koks vertickt. „Dort kaufen die Menschen, die sich das Taxi nicht leisten können, die raus müssen ­– die oft schwer abhängig sind.“

Klaas Heufer-Umlauf machte in seiner Sendung „Late Night Berlin“ den Taxi-Fahrer – und verkaufte tatsächlich nur Obst. Viele Fahrer werben mit entsprechenden Visitenkarten.

Die Taxis dagegen, die nutzen viele, die vor allem Spaß haben wollen. Die darüber lachen, dass einige Dealer ihnen auch mal selbst schreiben – ein „schönes Wochenende“ wünschen oder Infos zu Corona geben: „Wir packen mit Handschuhen und Maske ab.“ Kein Scherz. So werden die potenziellen Käufer getriggert: Antworte mir, und du bekommst die Droge, die du liebst. Was Gerdi übrigens auch tut. Der mit seinen drei Bekannten die kleine Kapsel der ersten Lieferung schnell leer „gezogen“ hatte. Das Taxi kommt gern noch einmal. Immerhin: Dieses Mal erwischt der29-Jährige gleich das richtige Auto.


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