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Die Geschichte der Oderberger Straße: Idyll in Prenzlauer Berg

Die Oderberger Straße ist eine der schönsten Straßen im Prenzlauerberg. Heute bekannt durch zahlreiche Cafés und Geschäfte, war sie früher aus ganz anderen Gründen relevant: durch ihre Lage im Grenzgebiet, direkt an der Mauer. Die bunten Häuser und hippen Klamottenläden lassen heute jedoch kaum noch auf die wilden und aufständischen Zeiten der Oderberger schließen, anhand derer sich auch die Geschichte Berlins im 20. Jahrhundert nachverfolgen lässt. Deshalb informieren wir euch hier über die Entwicklung der Oderberger Straße in den letzten 150 Jahren.

Die Fassaden und Autos sind moderner, aber die Litfaßsäule bleibt – die Oderberger in den 1980er-Jahren und in 2023. Foto: Wikimedia Commons/Gerd Danigel CC BY-SA 4.0/Talja Blumenthal

Von der Gründung der Straße bis zum Mauerbau

Das Stadtbad der Oderberger Straße um 1903, kurz nach seiner Eröffnung. Foto: imago/piemags

Die Oderberger Straße ist mit eine der ältesten Straßen des Bezirks Prenzlauer Berg. Errichtet um 1871, sollte sie die Kastanienallee und die Schönhauserallee verbinden. Unter der Planung von James Hobrecht wurde der gesamte Bezirk in Zeiten der Industrialisierung zu einem der am dichtesten besiedelsten Berlins. Charakteristisch für die damalige Bebauung waren unter anderem auch die Hoflandschaften, die ab 1870 in der Hauptstadt entstanden. Sie wurden sowohl zum Wohnen als auch fürs Gewerbe genutzt, da sie zu Beginn des Jahrhunderts noch Vorstadthöfe und somit mit Ställen ausgestattet waren. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die beinahe gänzlich unzerstört gebliebene Straße Teil der sowjetischen Besatzungszone.


Nach dem Mauerbau

Blick auf den Todesstreifen und die Mauer an der Oderberger Straße Ecke Bernauer Straße. Foto: imago/sommer

Durch den Mauerbau 1961 befand sich die Oderberger Straße schlagartig direkt im Grenzgebiet und somit unter strenger Bewachung innerhalb der DDR. Am westlichen Ende von der Mauer blockiert, wurden die Oderberger und Eberswalderstraße somit zu Sackgassen oder (wie es der tagesspiegel formulierte) zum Blinddarm der Kastanienallee.

Nach und nach zog es die Künstlerszene innerhalb Ostberlins nach Prenzlauer Berg. So wurde vor allem die Oderberger Straße zu einer Art Kunsthotspot, kreativ und unangepasst. Vor allem junge und oppositionelle Menschen begannen, in die Gegend zu ziehen. Die Straße lockte unter anderem auch durch ihre ruhige Atmosphäre, denn durch die Lage der Mauer gab es in der Einbahnstraße kaum Verkehr.

Die Nähe der Straße zur Mauer prägte die Anwohnerschaft: In den ersten Jahren nach Mauerbau wurden noch verschiedene Fluchtgedanken von dort aus realisiert. Durch diverse Tunnel und sogar über die Kanalisation wurden Wege vorbereitet, um Personen aus dem Osten hinüber zu schmuggeln. Der letzte Versuch, einen Tunnel unter der Mauer zu bauen, wurde jedoch entdeckt, bevor ein Durchweg geschaffen wurde.


Plattform am Oderberger Eck

Spannender Blick in den Osten: Eine Exkursion auf das Podest am Oderberger Eck 1981. Foto: Wikimedia/ Hans Rasp CC BY-SA 4.0

Bekannt wurde die Oderberger Straße auch jenseits der Mauer: Bereits Anfang der 1960er-Jahre wurde im Westen ein Podest errichtet, von dem aus man über das Grenzgebiet und direkt auf die Oderbergerstraße schauen konnte. Der Osten Berlins reagierte daraufhin mit einer Erhöhung der Mauer durch eine Bretterwand, woraufhin die westliche Plattform ebenfalls erhöht wurde. Den Wettkampf gewann schließlich das Podest links der Mauer.

Das Oderbergereck, wie es bald genannt wurde, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer wahren Touristenattraktion. So war unter den westlichen Staatsgästen, die der Plattform einen Besuch abstatteten, auch der Bürgerrechtler Martin Luther King dabei, der sich von dort aus den Todesstreifen und das dahinterliegende Gebiet anschaute.

Besucher:innen hielten vom Oderbergereck aus Ausschau nach Freund:innen und Verwandten in der Ostberlinerstraße. Was sie nicht wussten, war, dass sie dabei stets beobachtet wurden: Die Stasi behielt fortlaufend ein Auge auf die Westberliner:innen. Aus einer Wohnung in der Oderberger Straße heraus wurden von den Personen auf dem Podest Fotos aufgenommen.


Nach der Wende

Die Oderbergerstraße noch kurz vor der Wende, Sicht nach Süden. Foto: Wikimedia/ Gerd Daniel CC BY-SA 4.0

Nach dem Mauerfall entwickelte sich die Straße im Prenzlauer Berg rasch zu einem besonders unter jungen Menschen beliebten Wohngebiet. Mit der Sanierung der Wohngebäude gingen schnell auch steigende Mieten einher. Viele Vermieter:innen versuchten daraufhin, die Preise jedoch so gering zu halten, dass die bestehende Sozialstruktur mit alteingesessenen Mieter:innen noch erhalten werden konnte.


„Wir bleiben alle!“

Die grauen Fassaden der Häuser in der Oderberger Straße Ende der 1980er-Jahre. Foto: Wikimedia commons/ Aad van der Drift CC BY 2.0

Engagement und Einsatzbereitschaft innerhalb der Anwohnerschaft kamen auch später zum Einsatz: Mitte der 1980er-Jahre drohte vielen der Gründerzeithäuser ein Abriss, da sie aufgrund einer angeblich schlechten Bausubstanz einer Reihe von Plattenbauten weichen sollten. In Folge kam es zu offenem Widerstand innerhalb der Nachbarschaft. Unter dem Motto „Wir bleiben alle!“, kurz WBA, formten sich auf Basis des Wohnbezirksausschuss, einer Gliederungseinheit innerhalb der Nationalen Front der DDR, Proteste der Bewohner:innen. Deren Einsatz verhinderte das geplante Bauvorhaben schließlich erfolgreich.


Kieztreffpunkt Hirschhof

Der historische Hirschhof im Sommer 1986. Im Hintergrund ist die namensgebenden Statue zu sehen. Foto: Wikimedia/ Gerd Danigel, CC BY-SA 4.0

Die Forderungen der Bewohner:inneninitiative betrafen auch die Hinterhoffläche, die über Eingänge in der Oderberger Straße 15-17 und in der Kastanien Allee 10-12 erreichbar war. Dort formte sich der sogenannte Hirschhof, zuerst nur ein kleiner Park, den die Anwohnenden ab 1982 selbst gestalteten.

Nachdem der Rat des Stadtbezirkes mehr als eine Million D-Mark zur Sanierung der Fläche beigetragen hatte, wurde später neben den Kinderspielplätzen auch eine Theaterbühne in Form eines Amphitheaters errichtet, das über 100 Plätzen umfasste. Seinen Namen verdankte der im Sommer 1985 offiziell eingeweihte Hirschhof einer 3 Meter hohen, stählernen Hirschskulptur, die aus unterschiedlichen Schrottteilen zusammengeschweißt war.

Die über mehrere Hinterhöfe zugängliche Grünfläche entwickelte sich bald zu einem wahren Kieztreffpunkt, der Punkbands, Theatergruppen und oppositionelle Gruppierungen gleichermaßen anzog und zu einem Symbol der Ostberliner Künstlerszene wurde. Aufgrund des eher regimekritischen Klientel im Hirschhof wurden die Veranstaltungen dort häufig von der Stasi überwacht, die eine eigene Akte für den Hinterhof angelegt hatte.

Lesungen, Filmvorführungen und Konzerte sorgten dafür, dass der Hirschhof stets belebt und mit (vor allem jungen) Menschen gefüllt war. Foto: imago/Frank Sorge

Der Hirschhof sollte ein Ort weiterer Bürger:inneninitiativen werden: 1992 fanden dort mit über 20.000 Teilnehmenden die beiden größten Demonstrationen gegen Mietserhöhungen statt, die es bis dahin in Berlin gab. Die Aktion, ebenfalls unter dem Titel „Wir bleiben Alle“, sorgte nicht nur dafür, dass die Sanierungspläne, die unter anderem auch den Hirschhof betroffen hätten, vorerst abgewehrt wurden; Der Hinterhofpark wurde schließlich vom Bezirk durch Kosten in Höhe von 50.000 € saniert.

Heute existiert an Stelle des wohl kultigsten Berliner Hinterhofs eine neue, seit 2011 errichtete Grünfläche mit Kinderspielplatz und einem angekündigten Café. Der alte Hirschhof ist bereits seit 2006 unter Druck der Hausbesitzer nicht mehr öffentlich zugängig, stattdessen wurden dort private Hinterhöfe errichtet.

Blick von der Kastanienallee 12 auf den ehemaligen Hirschhof, der heute der Öffentlichkeit nicht mehr zugängig ist. Foto: imago/Jürgen Ritter

Kampf um die Begrünung

2007 plante der Bezirk eine weitere Umgestaltung der Oderberger Straße. Gehwege sollten begradigt werden, parallel dazu wurde auch eine Reduzierung der Begrünung anvisiert. Die Grünflächen der Straße waren bis dahin größtenteils privat angepflanzt und stellten laut Bezirk eine Beeinträchtigung des Verkehrs dar.

Ein Schild an einem Blumenkasten wirbt gegen den geplanten Umbau der Oderberger Straße 2007. Foto: imago/PEMAX

Aus Sorge davor, dass die geplante Sanierung den einzigartigen Straßencharakter und den grünen Charme der Oderberger zerstören würde, formte sich vor Ort, beinahe schon in der Tradition stehend, eine Bürger:inneninitiative. Der Protest der Anwohner:innen, die durch Flugblätter über ihr Anliegen informierten, sorgte dafür, dass im Oktober 2007 schließlich eine Befragung durchgeführt wurde. Resultat dieser Initiative war, dass die bis heute charakteristische Begrünung größtenteils erhalten bleiben konnte und der Umbau der Straße nur in rücksichtsvollem Maße gestaltet wurde.

Die Umgestaltung der Oderberger Straße ging schließlich unter Berücksichtigung der Begrünung einher. Foto: Wikimedia Commons/ Franz Richter CC BY-SA 3.0

Die Oderberger Straße heute

Der Charme der Oderberger Straße heute kommt vornehmlich durch ihre gemütlichen Gehwege mit rund 36 Metern Breite, und den schönen, noch aus Gründerzeit stammenden Wohnhäusern. Waren diese zu Zeiten der DDR noch grau und fade, schmücken sich die Häuser heute mit Fassaden von rot bis blau.

Die bunten Fassaden der Häuser sind heute charakteristisch für die Oderberger Straße. Foto: imago/Jürgen Ritter

Eine persönliche Note bekommt die Straße auch durch die immer noch vorhandenen, von den Anwohner:innen persönlich angelegten Beete und Blumenkübel, zwischen denen die ein oder andere Bank zum Verweilen einlädt. Umgangssprachlich werden die Hochbeete auch „Kommunistenkübel“ genannt, da die Steinplatten, die sie umfassen, noch von den ehemaligen Grenzanlagen stammen.

Auch die Oderberger Straße konnte der zunehmenden Mieterhöhung und Gentrifizierung nur bedingt entgehen. Viele ehemalige oder alteingesessene Anwohner:innen beklagen sich über die hohe Zahl an Airbnb Wohnungen, die in der Straße eingerichtet wurden.

Die Oderberger Straße ist als Fahrradstraße nun deutlich ruhiger geworden. Foto: imago/ Jürgen Ritter

Seit 2022 ist die Oderberger eine Fahrradstraße und somit Teil der Berliner Verkehrswende geworden. Konkret bedeutet das, dass Autos die Straße nicht mehr ohne ein triftiges Anliegen durchqueren dürfen, ansonsten wartet eine Bußgeldzahlung in Höhe von 15 € auf die Fahrer:innen.

Eine so geschichtsträchtige und einzigartige Straße zog im Laufe der Jahre auch diverse Berliner Berühmtheiten an: So wohnten hier in den 1980er-Jahren das Künstler und Schriftstellerin Paar Stephan Krawcyk und Freya Klier. (Über deren persönliche Geschichte in der Oderberger Straße wurde 2015 eigens eine Dokumentation von Nadja Klier gedreht.) Als Kind wohnte außerdem die Politikerin Sarah Wagenknecht einige Zeit dort.


Das Oderberger Stadtbad

Das alte Schwimmbecken im Stadtbad der Oderberger Straße. Foto: imago/Kai Horstmann

Das Oderberger Stadtbad ist schon lange Teil des Straßenbildes. Es wurde 1890 vom Architekten Ludwig Hoffmann gebaut, zu Zeiten des Baubooms im Bezirk Prenzlauer Berg, und sollte die schnell wachsende Bevölkerung mit öffentlichen Einrichtungen versorgen. Nach beinahe einem ganzen Jahrhundert Betriebsfähigkeit wurde es jedoch zunehmend baufällig. Risse im Becken und an den Decken sorgten dafür, dass das Bad 1986 schließen musste. Ab 2012 begann die Sanierung des Gebäudes, das inzwischen unter Denkmalschutz steht, und eröffnete 2016 als das Hotel Oderberger. Die Schwimmhalle sowie das mit Hubboden versehene Becken, bis dahin als Bühne für diverse Schauspiel- und Tanzaufführungen genutzt, eröffneten 2016 erneut als Schwimmbad. Heute wird das Bad weiterhin an manchen Tagen geschlossen und als Eventlocation vermietet.

Nicht nur das Oderberger Stadtbad hat eine beeindruckende Außenfassade. Andere Gebäude, die ebenfalls im Stil der Neorennaissance gebaut sind und ziemlichen imposant aussehen, findet ihr hier.

Ein Autor liest bei der Literaturnacht „Literaturvergnügen statt Badespaß“ im Oderberger Stadtbad. Foto: imago/gezett

Historische Feuerwache

Ein weiterer geschichtsträchtiger Ort in der Oderberger Straße ist die Feuerwache, die als eines der ersten Gebäude dort errichtet wurde. Bereits 1883 zog die Feuerwehr in das Gebäude ein, das heute die älteste, noch in Betrieb befindliche Wache der Berufsfeuerwehr Deutschland ist. Seit über einem Jahrhundert prägt die Wache nun die Geräuschkulisse der Straße durch den Sound der zum Einsatz fahrenden Feuerwehrwägen.

Die Oderberger Feuerwache ist eines der ältesten Gebäude der Straße. Foto: imago/Jürgen Ritter

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Die Oderberger ist nicht die einzige Straße im Prenzlauer Berg mit einer interessanten Geschichte: Hier erfahrt ihr alles über die Kastanienallee. Arbeiterpaläste und Aufstände: Die Geschichte der Karl-Marx-Allee in Bildern. Ein Pflaster mit viel Geschichte ist auch die Oranienstraße. Kreuzberger Zeitreise in 12 Fotos. Sie war einst Feldweg, heute ist sie Schmelztiegel: Die Entwicklung der Sonnenallee. Wenn ihr noch tiefer in die Vergangenheit abtauchen wollt: Berühmte Berliner Straßen und ihre Geschichte im Überblick.

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