Der Ostbahnhof in Friedrichshain war mal lebendig und geschäftig. Er war Tor nach Osten, nach Europa und in den Rest der Welt. Zwar könnte man angesichts der verglasten Eingangshalle denken, dass davon noch etwas übrig ist. Doch im Bahnhof herrscht Totentanz. Das bricht unserer Autorin, die Berlin am Ostbahnhof zum ersten Mal betrat, das Herz.
Einer der Orte in Berlin, die mir das Herz brechen, ist der Ostbahnhof. Mit der Fahrplanänderung der Deutschen Bahn werden ab Dezember noch weniger Fernzüge am Ostbahnhof halten, als zurzeit — und das sind schon sehr wenige. Unter anderem fallen der RE7, der RE14 und die IC-Verbindungen nach Amsterdam weg. Schon jetzt macht der Ostbahnhof den Eindruck eines Museums, so leer ist die gläserne Eingangshalle, so leer sind die beiden Gleishallen immer, egal, ob die Sonne tief oder hoch oder gar nicht am Himmel steht, egal ob es Sommer oder Winter ist.
Jetzt, wo im Berghain kein Partybetrieb mehr herrscht und die Pandemie die Stadt im Griff hat, schleppen sich auch keine verschwitzten Raver*innen mit Augenringen mehr die Treppen zu den S-Bahn-Gleisen hoch. Außerdem dem Berghain ist in der Gegend um den Ostbahnhof nicht viel. Für junge Menschen oder sogar alle Menschen gibt es seit dem Ende des Partybetriebs eigentlich keinen Grund, zum Ostbahnhof zu fahren, außer sie wohnen in der Nähe. Oder müssen sonntags einkaufen. Oder wurden beim Fahren ohne Ticket in der S-Bahn erwischt. Dann laufen sie suchend durch den Gang Richtung Eingangshalle. Viele sind wahrscheinlich überrascht, dass der Ostbahnhof so etwas überhaupt hat.
Der Ostbahnhof war mal lebendig
Dabei war der Ostbahnhof mal lebendig und das ist gar nicht so lange her, wie man denken könnte. Als ich das erste Mal nach Berlin kam, stieg ich am Ostbahnhof aus. Von Westen kommend, war ich vorher mit dem ICE durch die ganze Stadt gefahren. Ich hatte zum Glück einen Fensterplatz und wandte den Blick nicht ab von der großen, wilden, ehrwürdigen, aber auch dreckigen Stadt, die an mir vorbeizog. Das war 2005, ich war 13 und das erste Mal ganz allein unterwegs. Ich habe Berlin vom ersten Augenblick an geliebt.
Auf den Plattformen zwischen den Gleisen tummelten sich Menschen, genau so wie in den Gängen darunter, die die Gleise kreuzen und in der Eingangshalle. Berlin und der Ostbahnhof empfingen mich Landpommeranze so, wie ich mir eine Metropole vorgestellt hatte: Mit einem Gewirr aus unterschiedlichen Sprachen, mit Punks, die auf dem Boden saßen und bunte Haare hatten und Menschen, die mit Koffern durch das Gewirr eilten. Wer heute am Ostbahnhof ankommt, muss denken, er ist nicht in Berlin, sondern in Stralsund oder Buxtehude gelandet. Der einst so geschäftige Bahnhof ist so leer, dass man die Schritte der wenigen Menschen hört, die hindurchgehen.
Die Geschichte des Bahnhofs in den letzten Jahren ist die eines stetigen Abstiegs. 2006, ein Jahr nach meinem ersten Besuch in Berlin und sechs Jahre, nachdem die gläserne Eingangshalle eingeweiht worden war, ordnete die Bahn den Berliner Bahnknoten neu. Statt 146 hielten auf einmal nur noch 98 Fernzüge am Ostbahnhof und auch die Zahl der Regionalzüge, verringerte sich drastisch. 2006 nahm außerdem der Hauptbahnhof den Betrieb auf und saugte mit den Jahren immer mehr Betrieb vom Ostbahnhof ab. Genauso wie das Ostkreuz, wo inzwischen zahlreiche Regionalbahnen und sogar einige Fernverkehrszüge halten.
Der Ostbahnhof als Tor nach Osten und in die Welt
Dabei war der Ostbahnhof einst einer der wichtigsten Berlins, gar Osteuropas. Er war Tor nach Osten, mit Fernzügen nach Budapest, Bukarest und Prag, Warschau, Riga, Danzig, Sankt Petersburg und Moskau. Sogar die gesamten Fahrscheine bis nach Tokio konnte man in den 1920er Jahren im Ostbahnhof kaufen. Zu DDR-Zeiten hielten hier die Ost-West-Züge, die die Sowjetunion mit Frankreich verbanden und und von Paris bis Moskau fuhren.
1987 ließen Verantwortlichen der DDR den Bahnhof noch umfangreich modernisieren, er bekam Fahrkartenschalter und elektronische Anzeigen, eine dreigeschossige Empfangshalle, Rolltreppen und Schließfächer. Und den Namen Hauptbahnhof. Den verlor er aber auch schnell wieder: zwar nicht direkt nach Wiedervereinigung, aber acht Jahre später. Er hieß auch mal Frankfurter Bahnhof und Schlesischer Bahnhof, die Schlesischen Jahre waren wohl die erfolgreichsten für den Ostbahnhof.
Am meisten leiden unter dem Abstieg des Bahnhofs wohl die Händler*innen. Denn, Tatsache, der Ostbahnhof ist ein Einkaufsbahnhof mit Geschäften. Aber auch an den anderen Berliner*innen dürfte der traurige Anblick nicht spurlos vorbeigehen, vor allem, wenn sie um die goldenen Zeiten des Bahnhofs wissen. Vielleicht könnte man ja bald über eine Umnutzung nachdenken? Vielleicht könnte der Ostbahnhof die neue Partylocation schlechthin werden oder wirklich ein Museum.
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