Das Familienbild wandelt sich. Auch, wenn die Politik mitunter nur träge auf die verschiedenen Lebensrealitäten der Menschen reagiert: Mutter, Vater, Kind ist zwar die häufigste Lebensform in Deutschland (und wird es auch bleiben). Alternative Modelle finden aber endlich auch rechtlich immer häufiger Rückhalt.
Gerade ist der erste umfassende Ratgeber für Regenbogenfamilien erschienen. Vorrangig geht es um Homosexuelle in „Das Regenbogenväterbuch – Ratgeber für schwule Papas (und alle, die es werden wollen)“. In Porträts, Erfahrungsberichten, aber auch in einem Kapitel zu Rechtsfragen erklären Alexander Schug, Sören Kittel, Uli Heissig und Gianni Bettucci, was es heißt, die klassischen Familienmotive zu durchbrechen.
Im Buch kommen Trans*-Väter zu Wort, es geht um schwere Kämpfe, die ausbrechen, weil sich Lesben und Schwule für gemeinsame Kinder entschieden haben – sich aber vorher nicht ausreichend absicherten. Es geht um Wege zum Kind, aber auch Irrwege. Denn abgesehen davon, dass schwule Paare eben nicht einfach so schwanger werden können, stehen sie oft auch unter einem ganz anderem Druck, begegnen ganz anderen Herausforderungen.
Wir haben mit dem Autoren Sören Kittel über das Buch gesprochen. Der 41-Jährige lebt in Berlin, arbeitet als Journalist – und ist Vater einer vierjährigen Tochter.
tipBerlin Sie haben mit anderen den ersten Ratgeber über Regenbogenväter geschrieben. Sie haben selbst eine Tochter – waren Sie unzufrieden mit der Datenlage oder wie kam das?
Sören Kittel Vor ein paar Jahren war ich schon einmal dabei, mit zwei Frauen ein Kind zu zeugen. Die Planungen waren recht fortgeschritten. Wir saßen im Regenbogen-Familienzentrum damals, wo es jeden ersten Montag im Monat ein Treffen für Menschen gibt, die eine solche Familie gründen wollen. Dort fragte ich, ob es eine Art Handbuch gibt. Die Antwort war nein. Was unglücklich war, denn im Prinzip wurden jedes Mal die gleichen Fragen gestellt – weshalb meine Damen und ich gar nicht mehr dorthin gingen.
tipBerlin Auf was für Menschen trafen und treffen Sie dort?
Sören Kittel Ganz unterschiedlich. Verschiedene Geschlechter, verschiedene Vorstellungen. Da waren auch mal zwei Rechtsanwälte, die dachten, es würde irgendeine Drogenkranke geben, die ihr Kind schon abgeben wollte. Aber es gab auch uns, die zwei Frauen und mich – wobei es in der Konstellation nicht geklappt für mich. Dafür habe ich dort wiederum zwei Frauen kennengelernt, die letztlich die Mütter meiner Tochter wurden. Ich wurde dann auch Teil einer sich damals neu gegründeten Gruppe, „The Rainbow Daddys“, die sich zu viert oder fünft in einer Kneipe trafen anfangs – und inzwischen rund 70 Leute umfassen.
tipBerlin Und aus dieser Gruppe heraus entstand die Idee für das Buch?
Sören Kittel Ja, eine der Väter hat einen eigenen Verlag und vorgeschlagen, unsere Erfahrungen zu sammeln. Was nun mit etwas Verzögerung Realität geworden.
tipBerlin Im Buch heißt es, Regenbogenfamilien hätten wenige Traditionen und Vorbilder, die der Orientierung dienen. Wie geht man es an, wie einigt man sich und findet solche „Leitlinien“.
Sören Kittel Eine schwierige Frage, da das Spektrum ohnehin wahnsinnig weit ist. Wir haben einen Vater, der hat die Frau online kennengelernt, als sie schwanger war. Der leibliche Vater hatte kein Interesse, sie suchte einen Schwulen online – der jetzt auch eingetragener Vater ist, nachdem sie sich sofort hervorragend verstanden. Wir haben einen, der mit seiner Mitbewohnerin geschlafen hat, obwohl er sich als schwul definiert. Wir haben ein schwul-lesbisches Quartett, das zusammen Kinder bekam. Da Grundregeln abzuleiten, ist schwierig, weil erst einmal nichts falsch ist.
tipBerlin Das klingt doch ganz einfach.
Sören Kittel Ist es aber nicht. Denn oft merken die werdenden Väter dann auch, dass das doch alles eine Herausforderung ist – und man sich nicht mehr einfach aus der Verantwortung stehlen kann. Das muss klar sein vorab: Einmal die Woche reicht vielleicht dem Vater. Dem Kind aber nicht.
tipBerlin Was muss man für sich selbst klären, mit sich selbst im Reinen sein, bevor die Entscheidung für ein Kind gefällt wird?
Sören Kittel Aus meiner eigenen Erfahrung: Die rechtliche Ausgangslage muss klar sein. Mir wurde früher gesagt: Das findet sich alles, wenn das Kind da ist. Nein, tut es eben nicht. Es gibt diese Geschichten, sie sind aber nicht die Regel. Und sobald es zu Konflikten kommt – was immer wieder geschieht – ist es unglaublich wichtig, dass gewisse Dinge klar definiert wurden. Das Leben verändert sich. Und wir haben es oft genug erlebt, dass die Mutter oder Mütter, genauso wie auch schon Vater oder Väter, nach der Geburt auf Distanz gingen. Das ist nicht fair. Deshalb raten wir zu einer präzisen, auch schriftlichen Absprache – damit man auch rechtlich Handhabe hat. Zumal Kinder manipulierbar sind. Da kann man tatsächlich nicht zu klein denken: Wer macht was, wie werden Wochenenden/Feiertage aufgeteilt, auch im Fall eines Streits der Eltern. Dann natürlich und ganz besonders auch das Finanzielle. Wer zahlt was? Von Unterhalt bis Nachhilfe. Ein solches Dokument ist nicht rechtlich bindend vor dem Familiengericht, aber der Richter bezieht es in seine Abwägung mit ein.
tipBerlin Zumal die Konstellationen sicher fragiler sind – wenn sich bei zwei Paaren eins trennt, wenn neue Partner*innen das Feld betreten.
Sören Kittel Absolut. Wir hatten bei den Rainbow Daddys den Fall, da hat die Frau, die sich als hetero definierte, sich in eine Frau verliebt hat, die wiederum nicht mit dem Vater klarkommt – der zum Glück Sorgerecht hat. Ein Freund von mir zum Beispiel ist Vater geworden. Erst während der Schwangerschaft kam raus, dass sein Freund wiederum gar keine Lust auf das Kind hat. Und es drei Jahre lang nicht gesehen hat. Da macht man sich kein Vorstellung, was alles passieren kann.
tipBerlin Welche Möglichkeiten hat man denn, was ist die häufigste Variante?
Sören Kittel Ich habe da keine Statistik und weiß es auch nicht genau. Man geht von 7.000 Kindern in Regenbogenfamilien aus. Aber wegen der Erfahrung des dritten Reiches wird in Deutschland die Sexualität von Menschen nicht amtlich erfasst. Etwa 90 Prozent dieser Kinder leben mit ihren beiden Müttern, was noch nichts über die Position der Väter aussagt. Generell ist in unserer Gruppe die Kombination, in der Schwule und Lesben zusammen Kinder zeugen, sicher die häufigste.
Dann können Pflegekinder aufgenommen werden – dabei werden Homosexuelle in Berlin sogar bevorzugt, da die Behörden derart gute Erfahrungen gemacht haben. Inzwischen ist auch Adoption möglich. Leihmutterschaft ist verboten, auch wenn es vorkommt. Ich bin auch kein Fan davon, weil es viel Ausbeutung, viel finanzielle Abhängigkeit und deren Ausnutzung gibt. Und dann gibt es auch die Väter, die sich erst später ihrer Frau geöffnet haben.
tipBerlin Sie sind ausdrücklich nicht politisch in dem Buch. Trotzdem die Frage: Ist die Rechtslage für Regenbogenfamilien ausreichend?
Sören Kittel Nein. Das System ist auf Hetero-Eltern ausgerichtet und damit muss man umgehen. In den Niederlanden wird bereits die Mehrelternschaft diskutiert, das ist hier noch kein Thema. Dann das Adoptionsrecht zum Beispiel. Es kommt aus einer Zeit, in der Kinder wegen des Krieges Waisenkinder waren – das hat mit der heutigen Lebenswirklichkeit wenig zu tun. Das bedarf einer Reform.
So, wie die Mittel jetzt da sind, kann man sich aber als Regenbogenvater einbringen. Etwa mit einer Umgangsvereinbarung – wenn eine gewisse Regelmäßigkeit stattgefunden hat, kann man sich auch vor dem Gericht darauf beziehen. Das Leibliche-Väter-Gesetz ist diskriminierend für Regenbogenväter, da es uns auf Samenspender reduziert wollen. Solche Fälle haben wir auch – ich kenne zwei Mütter, die den Vater schnell darauf reduzierten und auch nur so von ihm sprechen. Was für ihn enorm schwer ist.
tipBerlin Für Trans*-Personen ist die Situation sicher noch einmal deutlich komplexer.
Sören Kittel Absolut. Ich habe im Buch über einen Vater geschrieben, der trans* ist und schwanger wurde. Er hatte in Berlin eine Hebamme gefunden, der ihn als Mann und Vater angesprochen hat, auch während der Geburt sollte dies der Fall sein. Dann kam das Kind in Mecklenburg zur Welt, wo er gerade in Urlaub war. Dann war dort ein Arzt, der ihn nicht als Vater anerkannte – weil er das Kind zur Welt gebracht hatte. Das ist komplex und hat für ihn, der ohnehin viel daran arbeiten musste, anzukommen, tiefe psychische Spuren hinterlassen.
tipBerlin Schwule, das steht auch im Buch, gelten oft als wenig monogam, als hedonistisch, als partyfreudig. Wie wird es wahrgenommen, wenn plötzlich Kinderwünsche auftauchen?
Sören Kittel Auch hier gilt, es gibt nicht den einen Schwulen und alle anderen sind genauso. Aber darüber sprechen wir in unserer Gruppe auch oft – die ja auch ein bisschen eine Dating-Plattform ist, zumal die Kinderfreundlichkeit hier schon vorausgesetzt ist. Aber natürlich gibt es auch die Lebensentwürfe, in denen der Vater weiter ausgeht und trotzdem die Zeit für die Kinder findet. Oder das Gegenteil – das jemand, der viel und exzessiv feierte, plötzlich völlig selbstverständlich zuhause bleibt. Wir haben sogar eine Familie, die sich im Berghain kennengelernt hat und nun zur Ruhe gekommen ist. Das muss jeder selbst entscheiden. Das Dating als Gay-Dad ist aber tatsächlich nicht so leicht. Wobei sich das kaum unterscheidet davon, wenn alleinerziehende Mütter daten.
tipBerlin Berlin gilt als offen. Stimmt das?
Sören Kittel Sicher ist die Stadt in der Hinsicht recht weit, aber lange nicht am Ziel. Die Probleme zeigen sich manchmal im Detail. So wurde ein lesbisches Paar mit Kindern bei einem Schwimmbad der Berliner Bäder nicht als Familie anerkannt – da entscheidet eine Person an der Kasse also, dass du nicht gleichwertig bist mit der stereotypen Heterofamilie. Solche Situationen sind schmerzhaft. Der Fall wurde weitergetragen bis in die Führungsebene. Am Ende bekamen auch sie ihre Familienkarte.
- Das Buch ist im Omnino-Verlag erschienen, hat 368 Seiten und kostet 22 Euro, für das Amazon Kindle kostet es 19,99 Euro.
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Der CSD ist in diesem Jahr nicht also Parade für Hunderttausende geplant. Dafür gab es bereits eine Pride-Parade, die sich politischer als der große Bruder gab. Die queere Szene leidet massiv unter den Einschränkungen. Denn Club-Kultur ist in Berlin mehr als Ballern, Bumsen und Berghain. Sie bietet vielen Gruppen wichtige Räume, um sich auszuleben. Darüber haben wir auch mit Berlins Drag-Star Bambi Mercury gesprochen – der übrigens selbst seit kurzem Vater ist.