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Russland in Berlin: Zwischen Austausch und Auseinandersetzung

Russisch ist in Berlin keine seltene Sprache. Offiziellen Zahlen zufolge haben ungefähr 145.000 Menschen in Berlin Vorfahren aus der ehemaligen Sowjetunion. Nach Schätzungen leben sogar 200.000 russischstämmige Menschen in Berlin. In der Migrationsgeschichte war die Stadt aus unterschiedlichen Gründen das Ziel russischer Menschen. Grund genug einen Blick darauf zu werfen, was Berlin mit Russland verbindet.


Berlin: Der „Ostbahnhof Europas“

Die russische Botschaft steht in Berlin Unter den Linden. Aber nicht nur für russische Diplomaten ist Berlin ein Zufluchtsort. Foto: Imago/Itar-Tass

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich Europa im Umbruch, politisch wie kulturell. Bereits vor dem Erste Weltkrieg pulsierte in den Hauptstädten das kulturelle Leben. Künstler:innen experimentierten mit diversen Kunstformen und Stilen, was zu einem kulturellem Reichtum zur Folge hatte, der seinen Höhepunkt in den 1920er-Jahren fand. Berlin gilt in diesem Zeitraum im Rückblick betrachtet – trotz Armut und Elend – als eine der freisten und fortschrittlichsten Städte Europas. Anders in Russland: Die Revolution 1917 war der Anfang einer politischen und kulturellen Unterdrückung durch die Bolschewiki.

Spätestens seit dem Umsturz durch die Kommunist:innen wurde Berlin zu einem Zufluchtsort für Menschen aus Russland. So zum Beispiel auch für den symbolistischen Schriftsteller Andrei Bely, der 1921 nach Berlin emigrierte. Hier ergab sich – so der Literaturwissenschaftler Thomas R. Beyer – die „außergewöhnliche Gelegenheit, viel von dem zu publizieren, was er seit 1917 in Russland geschrieben hatte. Zudem konnte er hier, unabhängig von den
alltäglichen Überlebenskämpfen in Russland, öffentlich auftreten.“ Auch heute, zirka 100 Jahre später, in Zeiten der Unterdrückung durch Wladimir Putin, ist Berlin wieder ein Ziel für russische Auswanderer der kulturellen Szene geworden. Auch deshalb gilt Berlin als der „Ostbahnhof Europas“.


Russisches Essen in Berlin

Das Pasternak im Prenzlauer Berg ist eines der bekanntesten russischen Restaurants in Berlin. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Bekannterweise hat Berlin kulinarisch einiges zu bieten, wir berichten regelmäßig über das beste Essen und Trinken der Stadt. Kein Wunder also, dass es in der Stadt auch Restaurants und Cafés gibt, die russisches Essen anbieten. Teigtaschen in verschiedenen Varianten, russische Suppen oder Blini (russische Pfannkuchen) kann man in zahlreichen Restaurants in Berlin genießen. Einige Beispiele sind: Restaurant Pasternak im Prenzlauer Berg, Restaurant Samowar in Charlottenburg, Restuarant Matreshka in Friedrichshain und Restaurants Datscha in Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und dem Prenzlauer Berg. Wer neben russischen Spezialitäten und russischem Wodka auch Live-Musik genießen will, für den lohnt sich ein Ausflug ins Café Voland im Prenzlauer Berg.

  • Pasternak Knaackstraße 22/24, Prenzlauer Berg, täglich 9-1 Uhr, Tel. 030/4413399, Website
  • Matreshka Boxhagener Straße 60, Friedrichshain, täglich 15-23 Uhr, Tel. 01639870767, Website
  • Datscha verschiedene Standorte, täglich 10-1 Uhr, Website
  • Samowar Luisenplatz 3, Charlottenburg, täglich 13-19 Uhr, Tel. 030/3414154, Website
  • Voland Wichertstraße 63, Prenzlauer Berg, Di-Sa ab 18Uhr, Tel. 030/4440422, Website

Deutsch-Russisches Museum in Berlin-Karlshorst

Im Gebäude des Deutsch-Russischen Museums unterzeichnete die Wehrmacht im Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Im Ostberliner Ortsteil Karlshorst liegt das Deutsch-Russische Museum. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, das Museum liegt deshalb so weit draußen, weil die Mietpreise in Mitte zu hoch sind. Dem ist aber nicht so. Das Museumsgebäude, in dem seit 2013 die Dauerausstellung „Deutschland und die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg 1941 -1945“ zu sehen ist, war Schauplatz eines weltgeschichtlichen Ereignisses. In der Nacht zum 8. Mai 1945 unterzeichneten Vertreter Frankreichs, Großbritanniens, der USA, der Sowjetunion und der Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation des NS-Regimes. Damit wurde der Krieg rechtlich und zeremoniell beendet.

Seit 1967 wird das Gebäude als Gedenkstätte genutzt. Während des Kalten Krieges diente das Museum allerdings nur der Erinnerung an die Verdienste und Opfer der Roten Armee. Mit einer Umbenennung in „Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg“ 1986 wurde der Sieg der Sowjetunion gegen Deutschland betont. Nach dem Mauerfall und dem Abzug sowjetischer Truppen war die Zukunft des Museums zunächst ungewiss, bevor es 1995 unter seinem jetzigen Namen eröffnet wurde. Heute ist das Deutsch-Russische Museum ein Gedenkort und ein Deutsch-Russisches Kooperationsprojekt.

  • Deutsch-Russisches Museum Zwieseler Straße 4, Berlin-Karlshorst, Di-So 10-18 Uhr, Tel. 030/50150810, Website

Berlin als Schauplatz diplomatischer Auseinandersetzungen

In den vergangen Jahren hatten russische Diplomaten wegen politischer Spannungen zwischen Deutschland und Russland viel zu tun. Foto: Imago/Shotshop

Die kulturellen Beziehungen zwischen Berlin und Russland sind vielfältig und kooperativ. Konfrontativer geht es seit einigen Jahren auf politischer Ebene zu. In verschiedenen Fällen wurde Berlin in jüngster Vergangenheit Schauplatz diplomatischer Auseinandersetzungen, einige davon erinnern an Agentenkrimis.

Im August 2019 wurde im Kleinen Tiergarten Selimchan Changoschwili erschossen. Der Georgier mit tschetschenischen Wurzeln lebte seit 2017 als Asylsuchender in Berlin. Seit seinem Einsatz im Zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2009) wurde Changoschwili von Russland politisch verfolgt, weil er auf georgischer Seite gegen Russland kämpfte. Die Russische Regierung warf Deutschland vor, „den Terroristen“ Changoschwili nicht auszuliefern. Der Attentäter aus dem Tiergarten wurde sofort verhaftet: Der Russe Wadim Krassikow. Seine Identität und Zugehörigkeit zum russischen Geheimdienst FSB wurde von Investigativjournalist:innen aufgedeckt. Im Dezember 2021 wurde Wadim Krassikow zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Deutsche Außenministerium wies daraufhin zwei russische Botschafter aus.

Ein weiterer politischer Eklat ereignete sich im Sommer 2020. Der russische Oppositionelle und Aktivist Alexei Nawalny wurde während eines Flugs von Tomsk nach Moskau vergiftet. Auch hier steht der russische Geheimdienst FSB unter Verdacht, auch weil die Vergiftung auf das in der Sowjetunion entwickelte Nervengift Nowitschok zurückzuführen ist. Nach einer ersten Behandlung im russischen Omsk wurde Nawalny am 22. August in die Berliner Charité verlegt, wo er mehrere Monate behandelt wurde. Mittlerweile ist Nawalny zurück in Russland, wo er festgenommen wurde. Der Fall führte zu starken Spannungen zwischen Deutschland und Russland, die deutsche Botschaft bestellte den russischen Botschafter ein. Die politischen Konflikte zwischen beiden Ländern sind also in der jüngsten Vergangenheit auch in Berlin zu spüren gewesen.


Russische Medien: Radio Russkij Berlin und Gazeta Russkaja Germanija

In Berlin werden verschiedene russische Medien produziert. Ein Beispiel: Die Wochenzeitung Russkaja Germanija (deutsch: Russisches Deutschland). Foto: Imago/teutopress

Die russische Sprache ist nicht nur in U-Bahnen präsent, sondern auch im Radio zu hören und in der Zeitung zu lesen. In Berlin kann man zum einen den Radiosender Radio Russkij Berlin (deutsch: Russisches Berlin) empfangen, zum anderen wird in hier die russischsprachige Wochenzeitung Russkaja Germanija (deutsch: Russisches Deutschland) produziert. Beide Medien sind wichtig für die russischsprachige Community, aber auch eine gute Gelegenheit für Nicht-Russisch-Sprecher:innen sich mit der russischen Sprache zu beschäftigen.

Radio Russkij Berlin ging 2003 auf Sendung und ist seitdem der einzige russischsprachige Radiosender in Deutschland. Gesendet wird aus Schöneberg (Frequenz UKW 97,2). Themen sind Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt, Kultur, Sport und russische Musik. Russkaja Germanija erscheint wöchentlich jeden Mittwoch und behandelt, wie andere Wochenzeitungen, ein breites Themenspektrum. Im Fokus stehen Nachrichten aus Deutschland und Russland. Die Erstausgabe erschien bereits 1996, damals noch ausschließlich in Berlin unter dem Namen Russkij Berlin. Mittlerweile erscheint sie deutschlandweit und ist eine der größten russischsprachigen Zeitungen in Westeuropa.


Charlottengrad

Russische Exilant:innen prägten das kulturelle Leben in Charlottenburg der 1920er-Jahre. Foto: Imago/Arkivi

Während der 1920er-Jahre war Berlin ein Zufluchtsort für russische Intellektuelle, Künstler:innen und Verleger:innen. Auch aufgrund der politischen Verhältnisse in Russland nach der Revolution 1917, zog es viele Russ:innen damals gen Westen, genauer gesagt nach Berlin. Etwa 360.000 zogen damals in die Stadt, vor allem nach Charlottenburg. Hier blühte das kulturelle russische Leben auf, dank der vielen Exilant:innen aus Russland. In Charlottenburg entstanden etliche russische Restaurants, Theater, Kinos und Buchläden.

Der Stadtteil wurde für das Leben der Russ:innen im Berliner Exil so wichtig, dass sie ihn in „Charlottengrad“ umtauften. Ein Grad ist eine Ortsbezeichnung slawischen Ursprungs, die in etwas dem deutschen Wörtern Burg oder Stadt entspricht. Auch heute noch lassen sich die Spuren russischen Lebens in Charlottenburg nachverfolgen. Einen tieferen Einblick in das russische Leben in Berlin geben Führungen durch Charlottenburg.

  • Russisches Berlin: Stadtführung durch Charlottenburg Startpunkt am Hohenzollerndamm in Charlottenburg, Tel. 030/6891 5008, alle Infos hier
  • Charlottengrad – russisches Leben in Berlin Startpunkt am U-Bhf. Wittenbergplatz, Tel. 030/455 30 28, alle Infos hier

Russisch-Orthodoxe Kirche

Die Christi-Auferstehungs-Kathedrale in Wilmersdorf wurde 1938 eingeweiht. Heute ist sie einer der Sitze der Russisch-Orthodoxen Gemeinde in Berlin. Foto: Imago/Seeliger

Mit der Ansiedlung vieler russischsprachiger Menschen in Charlottenburg entwickelte sich hier auch eine Russisch-Orthodoxe Gemeinde. Da die meisten Exilant:innen allerdings mit Armut zu kämpfen hatten, war der Bau von Kirchen zunächst nicht möglich. Das einzige neu eingerichtete Gotteshaus der Russisch-Orthodoxen Kirche blieb bis zum Zweiten Weltkrieg die Metropolit Antonij, die 1928 in einem Wohnkomplex am Fehrbelliner Platz eingerichtet wurde. Nach dem Krieg hat sich die Situation der Gemeinde verbessert. Seit 2011 besitzt sie die imposante die Christi-Auferstehungs-Kathedrale am Hohenzollerndamm, die sie bis dahin nur gepachtet hatte.

Während des Kalten Krieges standen Priester der Gemeinde unter Polizeischutz. In West-Berlin hatten russischsprachige Menschen wegen des Ost-West-Konflikts einen schweren Stand. Heute hat sich die Gemeinde erholt und zählt mehr als 200.000 Mitglieder. Ihren Sitz haben die Russisch-Orthodoxen Berliner:innen allerdings nicht in der Christi-Auferstehungskirche, sondern in der Maria-Schutz-Kirche an der Spree.


Russische Bücher und Filme in Berlin

Der Buchladen Gelikon in der Kantstraße hat sich auf russischsprachige Bücher spezialisiert. Foto: Imago/Itar-Tass

Ebenfalls in Charlottenburg, dem ehemaligen Zentrum russischer Exilant:innen, befindet sich der russische Buchladen Gelikon. Wer auf der Suche nach russischsprachiger Literatur ist, der wird hier in jedem Fall fündig. Auch russische Filme und Musik werden hier verkauft. Ein weiterer Tipp für russische Literatur ist die Fremdsprachenabteilung im Kulturkaufhaus Dussmann in Mitte. Dussmann hat eine eigene Abteilung für Literatur auf anderen Sprachen, weshalb auch eine Auswahl russischer Bücher zu finden ist.

Das Kino Krokodil nahe des S-Bhf. Schönhause Allee ist die erste Anlaufstelle für russischsprachige Filme. Hier sind ausschließlich Filme von Regisseur:innen aus Osteuropa zu sehen, meist in Originalsprache.

  • Gelikon „Russische Bücher“ Kantstraße 84, Charlottenburg, Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa 11-15 Uhr, Tel. 030/3234815, Online-Shop und weitere Infos hier
  • Kino Krokodil Greifenhagener Straße 32, Prenzlauer Berg, Tel. 030 44049298, das Programm findet ihr hier

Denkmäler, Denkmäler und noch mehr Denkmäler…

Sowjetische Ehrenmäler, wie dieses im Treptower Park, sind Erinnerungsorte an die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Relikte sowjetischer Erinnerungskultur sind die zahlreichen Denk- und Ehrenmäler, die Osteuropa durchziehen. Doch nicht nur in den ehemaligen Staaten der Sowjetunion wurden Ehrenmäler angelegt, auch in Berlin. Die drei größten und bekanntesten sind das Ehrenmal im Treptower Park, das in der Schönholzer Heide in Pankow und das am Tiergarten. Alle drei Anlagen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vom sowjetischen Architekten Jakow Belopolski, dem Bildhauer Jewgeni Wutschetitsch, dem Maler Alexander Gorpenko und der Ingenieurin Sarra Walerius konzeptioniert und umgesetzt. Die monumentalen Ehrenmäler erfüllen zum einen den Zweck der Erinnerung an die gefallenen Soldaten der Roten Armee, die auf den Anlagen begraben wurden, insgesamt sind es auf allen drei Ehrenmälern etwa 22.000 ehemalige Soldat:innen. Zum anderen dienen die Ehrenmäler als Gedenkort an den Zweiten Weltkrieg. Jedes Jahr findet eine Kranzniederlegung statt.


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