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Nachbarn Berlin und Polen: Gotzkowsky, Pierogi und die Versager

Die Beziehungen zwischen Berlin und Polen reichen Jahrhunderte zurück. Einige sagen, Berlin sei die am weitesten im Westen gelegene polnische Stadt. Schon um die Gründung Berlins herum, bewohnten Slawen die Gegend rund um die beiden Spreeufer. Später residierten polnische Adlige in der preußischen Metropole, aber auch Bürger, Handwerker und Arbeiter aus dem Nachbarland siedelten sich hier an. Davon zeugen bis heute die vielen polnisch-klingenden Familiennamen, die man im Branchenbuch, auf Straßenschildern oder an Wohnungstüren findet: Chodowiecki, Kowalski, Gotzkowsky oder Rogacki.

Deutsche, polnische und EU-Flagge vor dem Kanzleramt in Berlin. Die beiden Länder verbindet eine bei weitem nicht immer einfache Geschichte. Foto: Jürgen Heinrich

Der Zweite Weltkrieg und der Angriff Deutschlands auf Polen überschattete das ohnehin komplizierte Verhältnis von Berlin und Polen. In der geteilten Stadt entwickelten sich die Beziehungen zum Nachbarn auf sehr unterschiedliche Weise. Hüben aufgedrückte Freundschaft, drüben ein von Migration und Assimilation geprägtes Exil. Nach der Wende und einer Ära negativer Klischees und Vorurteile, begann so etwas wie Normalität einzukehren. Die Polen sind nach den Türken die größte Minderheit in Berlin, sie prägen die Stadt auf ihre Weise. Hier erzählen wir die Geschichte einer Nachbarschaft und geben Tipps, wo man das „polnische Berlin“ entdecken kann.


Gotzkowsky – Ein preußischer Patriot

Berlin und Polen: Bilderserie Theater Alt-Berlin: Johann Gotzkowsky wird 1762 von den Russen verhaftet, Illustration von 1896. Foto: Imago/H. Tschanz-Hofmann
Bilderserie Theater Alt-Berlin: Johann Gotzkowsky wird 1762 von den Russen verhaftet, Illustration von 1896. Foto: Imago/H. Tschanz-Hofmann

Im 18. Jahrhundert war Polen unter Preußen, Russland und Österreich-Ungarn aufgeteilt. Viele Polen, die nicht in ihrer unterjochten Heimat bleiben wollten, zog es nach Paris oder London, später auch in die USA. Doch auch in den Hauptstädten der Besatzer lebten polnische Minderheiten. Vor allem in Berlin. Das aus einer polnischen Kleinadelsfamilie stammende Ehepaar Gotzkowski zog es mit ihrem 1710 im pommerschen Konitz geborenen Sohn Johann Ernst an die Spree. Der Junge wuchs in Dresden auf und kam mit 14 zurück, er begann eine Kaufmannslehre und stieg bald zu einem bedeutenden Hoflieferanten und Kunstsammler auf. Unter seiner Ägide wurde auch die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) gegründet. Gotzkowskys Biografie ist ein Musterbeispiel der polnischen Assimilation und er galt schon zu Lebzeiten als patriotischer Preuße. Bis heute erinnern in Moabit die Gotzkowskystraße und die Gotzkowskybrücke an ihn.


Eine polnische Revolutionärin in Berlin

In Polen geboren, in Berlin politisch aktiv – Rosa Luxembourg, um 1908. Foto: Imago/Leemage
In Polen geboren, in Berlin politisch aktiv – Rosa Luxemburg, um 1908. Foto: Imago/Leemage

Weit weniger patriotisch als Gotzkowsky war Rosa Luxemburg. Als radikale Vertreterin des Sozialismus, harsche Kritikerin des Militarismus, als Rednerin, Redakteurin und Denkerin, wurde die polnische Jüdin zum Sinnbild einer selbstbestimmten Frau, zur linken Ikone und Märtyrerin des Kommunismus. Rosa Luxemburg zog Ende des 19. Jahrhunderts nach Berlin, die Stadt sollte bis zu ihrer Ermordung am 15. Januar 1919 ihr Lebensmittelpunkt bleiben.


Der Zweite Weltkrieg

Der Angriff Deutschlands auf Polen im September 1939 überschattet die Beziehungen beider Länder bis heute. Foto: Imago/Photo12/Ann Ronan Picture Library
Der Angriff Deutschlands auf Polen im September 1939 überschattet die Beziehungen beider Länder bis heute. Foto: Imago/Photo12/Ann Ronan Picture Library

Nach dem Ersten Weltkrieg erlangte Polen wieder die Unabhängigkeit und die junge Nation baute einen neuen Staat auf. Dem gegenüber stand das vom Krieg geschwächte Deutschland. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verschärfte sich ab 1933 der Ton in den bilateralen Beziehungen. Hitlers Drang nach Osten bedrohte Polen, der Führer sah in dem Land Lebensraum für die deutsche Bevölkerung. Die Polen selbst galten den Nazis als slawisches Hilfsvolk und Untermenschen. Im September 1939 griff Deutschland Polen an, der Zweite Weltkrieg wütete und nicht nur für die in Berlin lebende polnische Minderheit begannen Jahre des Terrors.


Flucht nach West-Berlin

Ein polnischer Major flüchtete 1957 mit einem Militärflugzeug nach West-Berlin. Foto: Imago/Zuma Wire
Ein polnischer Major flüchtete 1957 mit einem Militärflugzeug nach West-Berlin. Foto: Imago/Zuma Wire

Deutschland verlor den Krieg, Polen war zerstört, Warschau infolge des Aufstands polnischer Partisanen dem Erdboden gleichgemacht, die Opfer unter der Zivilbevölkerung gingen in die Millionen. Nach der wegweisenden Potsdamer Konferenz geriet Polen ins Einflussgebiet der Sowjetunion. Zwar waren kurz nach dem Kriegsende die Ressentiments gegenüber den Deutschen weit verbreitet, doch zugleich galt schon in den 1950er-Jahren das von westlichen Alliierten verwaltete West-Berlin als Insel der Freiheit. So floh ein polnischer Major 1957 in einer Militärmaschine aus dem Land und landete in Tempelhof. Wenige Jahre später wurde eine Maschine der polnischen Airline LOT entführt, auch hier war das Ziel West-Berlin. Die Beziehungen zwischen der BRD und West-Berlin zu der Volksrepublik Polen waren aber aufgrund des Kalten Krieges schwer belastet.


Es lebe die Deutsch-Polnische Freundschaft

Berlin und Polen: Aufmarsch beim Staatsbesuch des polnischen Ministerpräsidenten Jozef Cyrankiewicz und des Parteichefs der PVAP Wladyslaw Gomulka in Ost-Berlin am 26. Oktober 1962. Foto: Imago/Frank Sorge
Aufmarsch beim Staatsbesuch des polnischen Ministerpräsidenten Józef Cyrankiewicz und des Parteichefs der PVAP Wladyslaw Gomulka in Ost-Berlin am 26. Oktober 1962. Foto: Imago/Frank Sorge

In Ost-Berlin pflegte man ein anderes Verhältnis zu Polen, das als sozialistischer Bruderstaat galt. Doch die vermeintliche Freundschaft war aufgezwungen und Teil der SED-Propaganda. Als 1962 der polnische Ministerpräsidenten Józef Cyrankiewicz Ost-Berlin besuchte, defilierten parteitreue Genossen mit Transparenten über die Straßen und beschworen die Deutsch-Polnische Freundschaft. In Wirklichkeit waren die Beziehungen zwischen den beiden Staaten eher kühl. Zu DDR-Zeiten lebten nicht viele polnische Bürger in Ost-Berlin. Auf der anderen Seite galt Polen, dass zwar sozialistisch war, aber weniger strikt kontrolliert wurde, unter der Ost-Jugend als spannendes Land, in dem man etwas mehr am Duft der Freiheit schnuppern konnte als Zuhause.


Solidarność und der Fußball

Die polnische Nationalmannschaft bei der Fußball-WM 1982, im Hintergrund schwenken Fans Transparente mit dem Logo der Solidarność. Foto: Imago/Werek
Die polnische Nationalmannschaft bei der Fußball-WM 1982, im Hintergrund schwenken Fans Transparente mit dem Logo der Solidarność. Foto: Imago/Werek

In den 1970er-Jahren begann eine polnische Ära. Der Krakauer Kardinal Karol Wojtyła wurde Papst und lenkte jahrzehntelang als Johannes Paul II die Geschicke der katholischen Kirche. Die polnischen Fußballstars um Boniek, Smolarek und Lato sorgten 1974 und 1982 bei den Weltmeisterschaften für Furore und Anfang der 1980er-Jahre rüttelte die Solidarność-Bewegung an den Grundfesten des Ostblocks.

In West-Berlin sah man den Entwicklungen mit viel Sympathie zu. Während des Kriegsrechts in Polen in den Jahren 1981 bis 1983 wurden Care-Pakete verschickt und es kamen vermehrt politische Migranten in die Stadt. Eine neue Generation von polnischen Berlinern machte auf sich aufmerksam. Künstler, Musiker, Theatermacher und Intellektuelle beteiligten sich an der Kultur und den Diskursen und in der Schlesischen Straße in Kreuzberg öffnete die legendäre, von einem Exil-Polen betriebene Bar Mysliwska.


Der Polenmarkt

Der "Polenmarkt" im November 1989. Foto: Imago/Martin Wagner
Der „Polenmarkt“ im November 1989. Foto: Imago/Martin Wagner

Der Polenmarkt in Berlin ist eine Legende. In der Wendezeit reisten Tausende polnische Händler nach Berlin und bauten am Reichpietschufer, unweit der Brache, die einst der Potsdamer Platz war und heute wieder ist, ihre improvisierten Stände auf. Verkauft wurde alles, von Lebensmitteln und Kleidung über Gegenstände des täglichen Gebrauchs bis zu Alkohol und den obligatorischen Zigaretten. Wenn es geregnet hatte, sammelte sich das Wasser auf der sandigen Einöde in gewaltigen Lachen. Ein Unort, an dem der polnische Do-it-Yourself-Kapitalismus in der deutschen Metropole bizarre Ausmaße annahm und das Bild der Polen in Deutschland für lange Zeit prägte.


Club der Polnischen Versager

Szenetreff polnischer Intellektueller – Club der Polnischen Versager, 2002. Foto: Imago/gezett
Szenetreff polnischer Intellektueller – Club der Polnischen Versager, 2002. Foto: Imago/gezett

Nach der politischen Wende und dem Niedergang des Sozialismus normalisierte sich die Situation. Immer mehr Polen zogen nach Berlin, ab 2004 gehörte das Land zur EU. Die Ära der Schwarzarbeit ging zu Ende, die Polen waren nicht mehr nur die Bauarbeiter, Autodiebe oder Putzfrauen, auch wenn sich viele Vorurteile noch lange hielten. In dieser Zeit öffnete der Club der polnischen Versager in der Torstraße in Mitte seine Türen. Es war und ist bis heute ein einzigartiger Ort an dem sich eine junge polnische Kultur präsentieren konnte und wo selbstbewusst und ironisch mit Klischees gespielt wurde. Mittlerweile residieren die „Versager“ in Mitte direkt neben dem Schokoladen.

  • Club der polnischen Versager Ackerstraße 168, Mitte

Kulinarisches Polen

Die kulinarische Tradition Polens im tak tak - polish deli. Foto: Saskia Uppenkamp Photographer
Die kulinarische Tradition Polens im tak tak – polish deli. Foto: Saskia Uppenkamp Photographer

Polen gilt nicht als der hellste Stern am kulinarischen Himmel. Wodka, Wurst, braune Soße, das war es dann auch. So die gängige Annahme. Und obwohl die Polen in Berlin nach den Türken die zweitgrößte Minderheit stellen, sieht man im Stadtbild wenig davon. Man schweigt, passt sich an, Assimilation ist das Zauberwort. Die polnischstämmige Berliner Autorin Emilia Smechowski sprach über „Strebermigranten“. Und auch mit der traditionellen Landesküche gehen die Berliner Polen eher scheu um. Es gibt nur wenige Restaurants in Berlin in denen man traditionell Polnisch essen kann. Wer aber Lust auf den Geschmack des Nachbarlandes hat, ist im Restaurant Wawel, „tak tak – polish deli“ und im Café Katulki an der richtigen Adresse.

  • Restaurant Wawel Baumschulenstraße 1A, Treptow
  • tak tak – polish deli Brunnenstraße 5, Mitte
  • Café Katulki Friedelstraße 40, Neukölln

Bücher, Plakate und Design – Polnische Läden in Berlin

Berlin und Polen: Buchbund – die einzige deutsch-polnische Buchhandlung in Berlin. Foto: F. Anthea Schaap
Buchbund – die einzige deutsch-polnische Buchhandlung in Berlin. Foto: F. Anthea Schaap

Polnische Kunst und Kultur sind in Deutschland eher unbekannt. Hin und wieder kommt ein Film aus polnischer Produktion in die Kinos, doch Bands aus dem Nachbarland treten selten auf und im Radio hört man sie kaum. Aus der Theaterwelt kennen die West-Berliner vielleicht noch Andrzej Woran, ansonsten ist der Theaterregisseur Jan Klata einigen Auskennen ein Begriff. Die Literatur ist da keine Ausnahme. Jenseits von Stanisław Lem, Andrzej Szczypiorski und Andrzej Stasiuk haben wenige polnische Autoren größeren Erfolg auf dem deutschen Buchmarkt.

Dem stellt sich die kleine aber exquisit geführte Buchhandlung Buchbund in Neukölln entgegen. Wer an literarischen Geheimtipps, großartigen Reportagebänden und wundervoll illustrierten Kinderbüchern Interesse hat, sollte dort vorbeischauen. Gelegentlich finden in den Räumlichkeiten auch Lesungen und Diskussionen mit (nicht nur) polnischen Autoren statt. Ein anderer wichtiger Laden, der sich der Tradition der polnischen Plakatkunst widmet und nebenher auch CD’s mit polnischer Musik vertreibt, ist die Pigasus Polish Poster Gallery.

  • Buchbund Sanderstraße 8, Neukölln
  • Pigasus Polish Poster Gallery Danziger Straße 52, Prenzlauer Berg

Spezialitäten aus Polen

Polnisches Lebensmittelgeschäft in Wedding. Foto: Imago/Steinach
Polnisches Lebensmittelgeschäft in Wedding. Foto: Imago/Steinach

Polnische Lebensmittelgeschäfte haben sich in Berlin mittlerweile etabliert. Das Angebot reicht von landestypischen Süßigkeiten, dem speziellen Hüttenkäse (Twaróg) über ein reichhaltiges Wurst- und Käsesortiment bis zu speziellen Zutaten für die polnischen Nationalgerichte wie Pierogi, Bigos, Żurek und Barszcz. Besonders empfehlenswert ist das kleine Geschäft Mały Książę – Polnische Lebensmittel & Café in der Kreuzberger Lilienthalstraße, direkt gegenüber der polnischen Kirche, die die größte katholische Gemeinde in Berlin vereint. Hier eine Auswahl von Adressen weiterer polnischer Lebensmittelgeschäfte:

  • Polnische Feinkost Häusler Albrechtstraße 120, Steglitz
  • Feinkost Bogocz Schlierbacher Weg 7, Buckow
  • Pyza Anzengruberstraße 24, Neukölln
  • Polnische Spezialitäten Polonia Kinzerallee 25, Köpenick
  • U Zosi Breite Straße 63, Spandau

Der lange Schatten des PiS-Regimes

Berlin und Polen: Proteste gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze in Polen vor dem Polnischen Institut in Berlin, 2016. Foto: Imago/Zuma Press
Proteste gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze in Polen vor dem Polnischen Institut in Berlin, 2016. Foto: Imago/Zuma Press

Seit die rechtskonservative PiS-Regierung die Macht in Polen übernommen hat, wirft die neue Situation auch einen Schatten bis nach Berlin. Die Polnische Botschaft, das Polnische Kulturinstitut und das neugegründete Pilecki Institut vertreten als staatliche Institutionen in Berlin vorwiegend die Parteilinie oder bewegen sich absichtlich auf neutralem Grund. Regierungskritische Stimmen wird man dort jedenfalls kaum hören. Auf der anderen Seite sind die in Berlin lebenden Polen ebenso gespalten, wie die polnische Gesellschaft selbst. Davon zeugen die vielen Demonstrationen der polnischen Community, die sich in den vergangenen Jahren unter anderem gegen die Vereinnahmung des Polnischen Verfassungsgerichts, eine Verschärfung des Abtreibungsrechts oder für freie Medien einsetzte. Doch zugleich existieren im polnischen Berlin auch rechtskonservative Zirkel, die als glühende Anhänger von Jarosław Kaczyńskis Partei gelten.


Mehr als Polen: Andere Länder in Berlin entdecken

Es gibt auch viel Frankreich in Berlin: Hugenotten, Galeries Lafayette, Restaurants und die Alliierten. Auch China hat Spuren in Berlin hinterlassen: Gärten, Restaurants und Pandas. Wie repräsentieren sich die Länder in Berlin? 12 Botschaftsgebäude in Berlin: Katar, USA, Saudi-Arabien, Tschechien & mehr. Und hier geht es zu den besten türkischen Restaurants in Berlin: Afiyet Olsun!

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