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Umzug von München nach Berlin: Eine Liebe auf den zweiten Blick

Unsere Autorin hat vor vielen Jahren den wichtigsten Umzug ihres Lebens gewagt: von München nach Berlin. Ein Tapetenwechsel, wie er – zumindest unter den deutschen Großstädten – drastischer nicht sein könnte. Kein Wunder also, dass sie angekommen in der neuen Wahlheimat, Schwierigkeiten hatte, Fuß zu fassen. Weshalb sie bei ihrem Premieren-Besuch am Maybachufer oder der ersten Fahrt mit der U8 fast aus allen Wolken gefallen wäre und wie es die Stadt auf den letzten Metern doch noch geschafft hat, sich in ihr Herz zu schleichen, erzählt sie in diesem Artikel.

Blühende Kirschbäume an der Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin. Foto: Imago/Jürgen Held

Umzug von München nach Berlin: „Servus Berlin!“

Obwohl ich schon seit vielen Jahren in Berlin lebe, erinnere ich mich noch lebhaft an die zugegebenermaßen bescheidene Anfangszeit in meiner neuen Wahlheimat. Aufgewachsen bin ich nämlich nicht in Berlin, sondern in Bayern – was mich die Menschen aus der Hauptstadt auch nicht vergessen lassen. Denn die volle Berlin-Berechtigung zu erwerben und meinem München-Stempel ein für alle Mal „Auf Wiederschaun!“ sagen zu dürfen, habe ich bis heute nicht geschafft. Zuhause fühle ich mich in der Metropole an der Spree dennoch mehr als irgendwo sonst.

Doch das war bei Weitem nicht immer so. Denn Berlin und ich wollten zu Beginn unserer Lovestory einfach nicht warm miteinander werden. Ich war alles andere als schockverliebt, im Gegenteil. Da meine Vorstellung von Berlin nicht über Tagesschau-Aufnahmen des Bundestags und des Brandenburger Tors hinausging, wusste ich nicht, auf was ich mich eingelassen hatte, als ich mich das erste Mal in den Zug Richtung Norden setzte. Und ihr müsst wissen, für mich, die noch nie das ferne Gebiet oberhalb der Donau verlassen hatte und es gewohnt war, bei gutem Wetter die Alpen sehen zu können, gehörte Berlin bereits zum tiefsten Norddeutschland.

Panorama von München mit den bayrischen Alpen im Hintergrund. Foto: Imago/Christian Offenberg

Aus „Schickeria“ wurde „Arm aber sexy“

Angekommen in der Hauptstadt erlitt ich prompt einen kleinen Kulturschock. Denn hat man sich einmal an die penibel gepflegten und in Reih und Glied bepflanzten Straßen Münchens gewöhnt, kann einem so mancher Berliner Kiezspaziergang einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Überall war es laut, überfüllt und dreckig. Während in München selbst der Boden der U-Bahnhöfe blitz und blank ist, würde ich euch in Berlin dringend davon abraten, von der 5-Sekunden-Regel Gebrauch zu machen. Ebendiese frivole Prise Ranzigkeit, die an jedem Ort in Berlin, mehr oder weniger kräftig, verstreut wurde, kannte ich aus der hochpolierten und eitlen bayrischen Hauptstadt nicht.

Wer den glasklaren Eisbach oder die türkisblaue Isar kennt, wird ahnen können, wie enttäuscht ich war, als ich das erste Mal die Spree, geschweige denn den Landwehrkanal gesehen habe. Ich werde nie das schallende Lachen meiner Mitbewohnerin vergessen, als ich sie vor meinem ersten Maybachufer-Besuch fragte, ob ich für eine kleine Abkühlung meinen Bikini einpacken soll. „Klar, mach das! – Wenn du dir Parasiten einfangen willst.“

Überquellende Mülltonnen am Eingang des U-Bahnhofs Rathaus Neukölln in Berlin. Foto: Imago/Emmanuele Contini

Auch das viele Leid, das einem unweigerlich und unverblümt im Berliner Alltag begegnet, schockierte und überforderte mich. Ich war irritiert von den abgestumpften Berliner:innen, die nicht mal von ihrem Handy aufblickten, wenn jemand in der U-Bahn verzweifelt nach Kleingeld fragte. Allerdings brauchte es nicht viele U-Bahnfahrten und Stadtspaziergänge, um mir einzugestehen, dass mein anfänglicher Vorsatz jeder wohnungslosen Person, ein paar Münzen zu geben, ebenso edel wie auch an der Realität vorbei war.

Berlin kann einen verstören. Und ich rede nicht mal von den ganz besonders harten Orten. Aber um sich die Welt funkelnder zu reden, als sie in Wahrheit ist, müsste man in dieser Stadt schon mit übergroßen Scheuklappen durch die Straßen laufen. Geschenkt kriegt man hier gar nichts, stattdessen wird man von Berlin immer wieder aufs Neue herausgefordert. Das muss man wollen. Ansonsten hat man ziemlich schnell die Schnauze voll und zieht zurück in seine harmonische Kleinstadt oder in meinem Fall ins glatt gebügelte München, das 24/7 dafür arbeitet, alle Armut und alles Unglück vom Stadtbild fernzuhalten.

Wie man‘s macht, isset falsch

Alles in allem beherrschte vor allem ein Gefühl meine ersten Monate in Berlin: Enttäuschung. Den Mut meiner Frustration laut Ausdruck zu verleihen, hatte ich jedoch nicht. Schließlich wollte ich meine neu gewonnenen Berliner Freund:innen nicht in ihrem, tief in ihrer Persönlichkeit verankerten, Lokalpatriotismus verletzen.

Also litt ich schweigend, wenn mich mal wieder eine bissige Bemerkung von jemanden der mich als Zugezogene entlarvte, aus meinen Tagträumen vom müllbefreiten Englischen Garten, riss. Eine Situation, die nahezu inflationär vorkam, da ich als Neu-Berlinerin jedes Fettnäpfchen mitnahm, dass sich in greifbarer Nähe zu mir befand: Ich bestellte „Semmeln und Krapfen“ statt „Schrippen und Pfannkuchen“ beim Bäcker, animierte zu „Flunkyball“ statt zu „Bierball“, hängte an jede dritte Frage ein „Gell?“ statt ein „Wa?“ und jammerte, wie „madig“ und nicht „mau“ Mathe am Freitag in der 6. Stunde war. Ich war überzeugt davon, nicht hierher zu passen. Und das Schlimmste war, ich hatte das Gefühl, die Stadt sah das genauso.

Isar vs. Spree – Warum Berlin das Battle gewonnen hat

Konzert an der Spree im Rahmen des Musikfestivals „Fete de la Musique“ in Berlin. Foto: Imago/snapshot

Dennoch bin ich, anstatt zurück in den Süden zu fliehen, in Berlin geblieben – denn ebenso unverhofft wie unbemerkt hatte sich meine Antipathie für die Stadt in Neutralität und letztendlich sogar in Zuneigung verwandelt. Genau festmachen, wann es zu diesem Sinneswandel kam, kann ich bis heute nicht. An den Moment als mir das erste Mal bewusst wurde, dass sich Berlin leise in mein Herz geschlichen hat, erinnere ich mich dafür umso besser: Als ich nach langer Zeit wieder für ein Wochenende in München war und mit alten Freund:innen im idyllischen Hofgarten saß, wurde vehement gegen Berlin gewettert. Die Stadt sei hässlich, asi und alles in allem nichts weiter als überbewertet. (Ich muss zugeben, viele Gebäude in Berlin sind wirklich grässlich, absolute Bausünden.)

Doch daraufhin passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Ich fühlte mich gekränkt, ja nahezu persönlich angegriffen – da war er also der Lokalpatriotismus. Es war schließlich meine Stadt, über die hier gerade hergezogen wurde. Und das, obwohl sie so reich an Kunst, Kultur und Vielfalt ist. Nennt mir einen anderen Ort, an dem man so gut entdecken, tanzen, essen oder man selbst sein kann wie in Berlin, dachte ich eingeschnappt. Heute weiß ich, dass vor allem der letzte Punkt ausschlaggebend dafür war, dass mich die Stadt doch noch für sich gewinnen konnte. Auch auf die Gefahr hin pathetisch zu klingen: Durch diese Offenheit habe ich nicht nur ein zu Hause in einer einst fremden Stadt, sondern auch ein Stückchen näher zu mir selbst gefunden. Ich sag’s dir viel zu selten Berlin, aber dafür dank ich dir.

Berlin ick liebe dir, trotz Ecken und Kanten

Altweibersommer am Paul-Lincke-Ufer des Landwehrkanals in Kreuzberg, Berlin. Foto: Imago/Jürgen Held

Obwohl ich mir am Späti an der Ecke immer noch ein Augustiner und kein Berliner Pilsner hole, würde ich einen Sprung in die Isar, niemals einem lauen Sommerabend an der Spree vorziehen. Denn so lebendig und frei bin ich einzig und allein in Berlin. Ein Lebensgefühl, das ich nicht mal für eine funktionierende Verwaltung oder pünktlich kommende U- und S-Bahnen eintauschen würde. Auch wenn ich die Hoffnung nicht aufgebe, dass sich das irgendwann ändert. Das dauert eben nur noch ein bisschen – so wie alles in Berlin.

Trotz aller von Herzen kommender Verzückung für diese Stadt, wäre es gelogen zu behaupten, Berlin würde auch nur annähernd an der Schwelle zur Perfektion kratzen. Auch heute beklage ich mich noch leidenschaftlich und regelmäßig über überquellende Mülleimer, zu wenig Platz für zu viele Menschen (sagte die Zugezogene), zahlreiche Baustellen und allem voran den harten und niederschmetternd grauen Berliner Winter, der einer Mutprobe gleicht, und uns alle Jahr für Jahr erneut an den Rand der Verzweiflung treibt. Aber wegziehen? Niemals. Nennt mich eine Romantikerin, aber das zwischen mir und Berlin, das ist für immer.


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Ihr seid auch neu in Berlin? Glückwunsch. Dann müsst ihr euch erstmal an ein paar Dinge gewöhnen. Und Vorsicht: Es gibt einige Fettnäpfchen in die ihr besser nicht tretet, wenn ihr den alteingesessenen Berliner:innen nicht auf die Nerven gehen wollt. Denn die Berlin-Berechtigung müsst ihr euch erst verdienen. Das klingt hart? Ist es auch. Aber keine Sorge, bis es soweit ist könnt ihr euch an allem erfreuen was Zugezogene sofort an Berlin lieben. Ein paar Eigenschaften aus eurer Heimat solltet ihr euch aber beibehalten, denn es gibt so einiges was sich Zugezogene zu schnell von Berliner:innen abschauen.

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