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Tierschutz

Flausch-WG: Wie eine Berliner Tierärztin Waschbären rettet

Mathilde Laininger führt eine Tierarztpraxis für Waschbären und wohnt mit einer ganzen Bande von ihnen zusammen – „eher ungeplant“, wie sie sagt. Sie nimmt die Tiere nicht nur bei sich auf, sondern setzt sich auch mit dem Verein „Hauptsache Waschbär“ für einen anderen Umgang mit ihnen ein. Wir haben die Berlinerin und ihre putzigen Mitbewohner getroffen.

Mathilde Laininger mit Waschbär Kerstin: Die Tierärztin setzt sich für die putzigen Tiere ein. Foto: Makar Artemev

Diese Berlinerin rettet Waschbärenleben

Mathilde Laininger hat einen Waschbären im Genick, der Kerstin heißt. Kerstin ist vier Monate alt, und während Laininger durch ihren Vorgarten schlendert, erkundet Kerstin die Welt. Sie stellt sich mit den Hinterpfoten auf Lainingers Schulter und stützt sich mit den Vorderpfoten auf ihrem Kopf ab. So aufgestellt riecht sie an einer Blüte, greift nach einem Blatt, dann klettert sie Laininger einmal um den Hals und versucht, sich in ihre Achselhöhle zu schieben. Kerstins Vorderpfoten sind permanent aktiv. Sie ertastet Stoff, Knöpfe, Haare, Haut. Sie hat spitze Krallen, doch die Haut der Pfoten ist wahnsinnig weich.

„Das Tasten ist ihr Haupt-Sinn, sie sieht quasi mit den Pfoten“, sagt Mathilde Laininger. Kerstin kuschelt sich in ihre Arme und macht ein Geräusch, eine Mischung aus Knurren und Gurgeln, man könnte es gut in einem Kinofilm verwenden, um Aliens zu synchronisieren. Im Hintergrund spielen drei dreiwöchige Waschbärwelpen in einem Katzenauslauf mit Gitternetz. Sie purzeln wild übereinander.

Mathilde Laininger ist Tierärztin in Berlin-Zehlendorf. Früher war sie auf Hunde und Katzen spezialisiert. 2021 kam der erste Waschbär zu ihr, Jungs hatten ihn aus einem Fluss gefischt. Laininger hat seine Genesung mit einem Instagram-Account begleitet, ihre Waschbärenliebe ist inzwischen ziemlich bekannt.

Die Alternative: Waschbären erschießen oder einschläfern

Laininger ist deshalb oft der erste Anlaufpunkt, wenn die Berliner Feuerwehr, Polizei, Tierärzte oder Privatleute auf kranke oder verletzte oder verwaiste Tiere stoßen. Sie hat eine Sondergenehmigung zur Haltung von Waschbären. Das Problem: Laininger darf die Bären nicht wieder auswildern. Sie gelten seit 2016 als invasive Art. „Für Menschen, die hilfebedürftige Waschbären finden, gibt es von behördlicher Seite den Rat: Erschießen oder Einschläfern oder zum Sterben einfach liegen lassen“, sagt sie. Hunderte Waschbären würden in Berlin jedes Jahr so ums Leben kommen.

Waschbären: oft hungrig, immer neugierig. Foto: Makar Artemev

Laininger tut alles, damit möglichst viele Berliner Bären am Leben bleiben dürfen. Sie hat ihnen einen Großteil ihres Hauses freigeräumt und ein riesiges Gehege nicht in, sondern um ihren Garten bauen lassen – 100 Quadratmeter Grundfläche, voll mit Rutschen, Schaukeln, Trampolin, zwei riesigen Laufrädern, zwei wassergefüllten Plastikwannen, unendlich vielen Klettermöglichkeiten und einer Rennstrecke auf drei Metern Höhe, einmal rund ums Areal. Ihre Waschbären bekommen Nüsse, Obst, Müsli, auch in der Natur ist ihre Nahrung hauptsächlich pflanzlich. Der älteste Waschbär bei Laininger ist vier Jahre alt, bis zu 20 Jahre Lebensalter können sie erreichen.

Im Waschbären-Gehege

„Dann gehen wir mal zu den Vandalen“, sagt Laininger, bevor sie die Terrassentür zum Waschbärgehege öffnet. Sofort werden die Besuchenden erklommen und untersucht, inklusive Hosentascheninneninspektion. Die Waschbären sind permanent unterwegs und erklettern und erkunden. In jeder der wassergefüllten Plastikwannen sitzt ein Waschbär und tastet umher. Ein weiterer Waschbär steigt ins Laufrad und jagt hochaufgerichtet eine Runde über den Ring. Dann klettert er dahinter und schiebt das Laufrad ein bisschen umher. Einer setzt sich ins Katzenklo. „Das machen die von ganz allein, in der Natur haben die auch eine gemeinsame Latrine“, sagt Laininger. Ein Waschbär klettert auf Anouk, den Hund, der Laininger immer begleitet. Der erträgt es stoisch. 

In der Terrasse ist ein Loch, in Lainingers Kleid auch und ihr Handy sieht aus wie in den Schredder gekommen. „Die sind ausdauernd. Wenn die sich überlegt haben, irgendwo hinzukommen oder was auseinanderzunehmen, dann ziehen die das durch“, sagt Laininger.

Viele der Waschbären, die bei Mathilde Laininger abgegeben werden, sind verwaist, so wie dieses wenige Wochen alte Waschbären-Baby. Foto: Makar Artemev

Weil selbst für dieses Riesen-Gehege viel zu viele Waschbären zu Laininger gebracht werden, hat sie ein Netzwerk aus Freiwilligen aufgebaut, die zum Teil selbst Waschbären-Haltungsgenehmigungen besitzen und so einige Tiere zeitweise übernehmen können. Außerdem hat sie gerade ein Haus in Brandenburg gekauft, wo die Waschbären ein 1.000-Quadratmeter-Gehege mit großem Schwimmteich bekommen sollen.

„Die Leute gehen hier immer raus, als hätten sie Drogen genommen“

Weil auch das am Ende nicht reichen kann für all die Waschbären, die in Berlin alljährlich hilflos aufgefunden werden, hat sie mit ihren Mitstreiter:innen einen Verein gegründet, „Hauptsache Waschbär“ (zur Website), der sich dafür einsetzt, die Tiere von der Liste der invasiven Arten zu streichen. „Die Waschbären hier wieder auszurotten, ist sowieso illusorisch“, sagt Laininger.

Um Geld für ihren Verein zu sammeln, veranstaltet Laininger auch 90-minütige „Meet+Greet“ mit den Waschbären – gegen Spenden. „Die Leute gehen hier immer raus, als hätten sie Drogen genommen“, sagt sie.

Lainingers Waschbären bei der sportlichen Ertüchtigung. Foto: Makar Artemev

Um Menschen, die Waschbären dennoch für eine Bedrohung hiesiger Arten oder Dachböden halten, entgegenzukommen, beginnt ihr Verein im September ein mit Landesmitteln und Geldern des Deutschen Tierschutzbundes gefördertes Pilotprojekt zur Populationskontrolle per Sterilisierung und Kastration. Außerdem sollen bei der Gelegenheit auch Blutwerte und Genproben der Bären gesammelt werden, um mehr über ihre Verbreitung und Gesundheit zu erfahren. Um die Waschbären für das Projekt fangen zu dürfen, hat Laininger sogar extra einen Jagdschein gemacht. „Aber ich habe nur auf Scheiben geschossen!“, betont sie.

Ein paar von Lainingers Waschbären gehen sogar regelmäßig arbeiten. Laininger fährt dann mit ihnen zu einer Psychotherapeutin, wo die Kleinbären als Co-Therapeuten fungieren. „Gerade bei Angststörungen und Depressionen scheint der Waschbärenhändedruck eine magische Wirkung zu haben“, sagt Laininger.


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Wissenswertes zu den kleinen Ganoven: Warum Waschbären in Berlin leben, lest ihr hier. In Berlin kann man aber auch andere Tiere beobachten. Wem die zu bodenständig sind, der kann hier Vögeln zuschauen. Tiere beobachten – und manchmal sogar streicheln – kann man auch in Brandenburger Tierparks. Welche Tiere außer dem Waschbär noch in Berlin zugewandert sind, lest ihr in unserer Liste invasiver Arten. Mehr Texte aus dem Stadtleben findet ihr hier.

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