Berlin-Fragen

Wieso ist ein BVG-Einzelfahrschein in Berlin richtungsgebunden?

So oft wir Berliner:innen auch über dreckige und volle U-Bahnen und verspätete Busse schimpfen: Die BVG ist uns in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt durch die „Weil-wir-dich-lieben“-Kampagne sympathischer geworden. Einige tägliche Ärgernisse und Unklarheiten bleiben trotzdem. Ein ungelöstes Rätsel lautet zum Beispiel: Wieso gilt ein BVG-Einzelfahrschein in Berlin nur für eine Richtung? Egoistische Preispolitik oder sinnvolle Regel? Wir bringen Licht ins Dunkel.

Einzelfahrschein Berlin Die BVG liebt uns, soviel ist klar. Doch schnell mal zum Alex und danach zurück zum Hermannplatz ist mit einem richtungsgebundenen Einzelfahrschein nicht drin. Wieso eigentlich nicht?
Die BVG liebt uns, soviel ist klar. Doch schnell mal zum Alex und danach zurück zum Hermannplatz ist mit einem richtungsgebundenen Einzelfahrschein nicht drin. Wieso eigentlich nicht? Foto: Imago/snapshot

Einzelfahrschein in Berlin: Wer sich als BVG-Gelegenheitsnutzer verfährt, lebt gefährlich

Müde und leicht verkatert vom Feierabendbier mit den Kolleg:innen sitze ich in der U-Bahn und drücke unkonzentriert auf meinem Smartphone herum. Plötzlich verlässt der Zug ruckartig den Bahnhof, ich blicke auf und realisiere: Mist, Ausstieg verpasst! Jetzt schnell an der nächsten Station raus und den Zug vom gegenüberliegenden Gleis in die andere Richtung nehmen. Beim Umstieg kommt zusätzlicher Stress auf: Normalerweise bin ich eher auf dem Fahrrad oder im Auto unterwegs, die Öffi-Nutzung heute stellt eine Ausnahme dar, als rechtschaffene Bürgerin habe ich mir selbstredend einen Einzelfahrschein gelöst, dieser gilt jedoch nur für eine Richtung. Jetzt nochmal drei Euro bezahlen? Ernsthaft? Bei mir kommen Zweifel auf, ob mich die BVG wirklich so liebt, wie sie mir weismachen will…

Für Monatskartenbesitzer:innen kein Problem, für Öffi-Gelegenheitsnutzer:innen wie mich aber einfach ungemütlich: Ein Einzelfahrschein der BVG und der S-Bahn gilt in Berlin nur „für eine Fahrt in Richtung des Fahrziels“. Umsteigen und Fahrtunterbrechungen sind erlaubt, solange diese im Zeitfenster von zwei Stunden liegen, Rück- und Rundfahrten hingegen ausgeschlossen.

Wer also spontan die Gleisrichtung wechselt, um wieder auf die richtige Bahn zu kommen, lebt gefährlich. Noch nervenaufreibender wird es, wenn man mehr als eine Station in die falsche Richtung gefahren ist. Dann wird die Fahrt zurück zum richtigen Umsteigebahnhof zu einer qualvollen Odyssee, alle einsteigenden Fahrgäste mit Gürteltaschen und ernstem Gesichtsausdruck werden nervös abgescannt. Hat man es ohne ein „Schönen guten Tag, die Fahrausweise bitte…“ zum Wunschziel geschafft und fühlt sich endlich nicht mehr kriminell, fällt der Stress ab. Was aber bleibt: Ärger über die eigene Verwirrtheit und die Tatsache, dass der ganze Stress auch noch drei Euro gekostet hat.

Selber schuld: Gibt ja die Vier-Fahrten-Karte, oder?

Die ganz Organisierten unter euch werden sich jetzt denken: wozu der Stress? Selber Schuld! Es gibt schließlich die Vier-Fahrten-Karte, die pro Fahrt, genau wie ein Einzelfahrschein, für „jeweils 120 Minuten in eine Richtung“ gültig ist, mit der man unterm Strich aber trotzdem flexibel ist und auf lange Sicht gesehen Geld spart. Ergibt alles Sinn, doch gerade selbstständigen, von der Pandemie angeschlagenen Berliner:innen, dürfte der Preis einer Vier-Fahrten-Karte (Tarifzone AB 9,40 Euro und für die Zone ABC 13,80 Euro) gar nicht schmecken. Wer die Öffis wirklich so gut wie nie nutzt, und eigentlich nur kurz vom Hermannplatz zur Jannowitzbrücke und zurück fahren will, um das Bußgeld vom letzten Mal Schwarzfahren zu bezahlen, der ärgert sich angesichts der Richtungsgebundenheit – zurecht. Oder?

Einzelfahrschein Berlin Berliner Kontrolleur:innen sind für das geübte Auge zum Glück leicht zu erkennen. Trotzdem: Wer morgens auf dem Weg zur Arbeit den Ausstieg verpennt und "schwarz" zurückfährt, ist schon gestresst, bevor der Tag richtig begonnen hat.
Berliner Kontrolleur:innen sind für das geübte Auge zum Glück leicht zu erkennen. Trotzdem: Wer morgens auf dem Weg zur Arbeit den Ausstieg verpennt und „schwarz“ zurückfährt, ist schon gestresst, bevor der Tag richtig begonnen hat. Foto: Imago/Ritter

Einzelfahrschein in Berlin: Früher war alles besser

Es ist an der Zeit, diejenigen zu befragen, die sich die Preise für Busse und Bahnen in Berlin ausdenken. Seitens der BVG-Pressestelle heißt es auf Anfrage zu der Beschaffenheit des Einzelfahrscheins, die Tarife würden vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) festgelegt. Der Verbund regele zudem, was in Bussen und Bahnen erlaubt sei, und was nicht. Bei Tarifverhandlungen könne die BVG zwar „Vorschläge einbringen“, das letzte Wort hätten aber der VBB und die Politik. Dies sieht Joachim Radünz, der Pressesprecher des VBB, nicht ganz so: Bei der Preisgestaltung würden alle Verkehrsunternehmen in Berlin und Brandenburg einbezogen. Letzten Endes würden dann wirtschaftliche Faktoren und die Bedürfnisse aller Fahrgäste gegeneinander abgewogen.

Wenn es auch um die Bedürfnisse der Fahrgäste geht, wieso dann die ständigen Preiserhöhungen und die eingeschränkte Gültigkeit des Einzelfahrscheins? Bis 2004 galt ein Einzelfahrschein im Zweistunden-Zeitfenster übrigens noch für jede Fahrtrichtung. Zwischen 2003 und 2004 sei laut Joachim Radünz der Preis für einen Einzelfahrschein sogar von 2,20 Euro auf 2 Euro gesenkt worden. Diese Preissenkung sei nur „durch die Aufhebung der Rück- und Rundfahrtmöglichkeit“ möglich gewesen. Und diese Änderung sei auch nicht über die Köpfe der Menschen hinweg passiert: Vielmehr hätten Marktforschungen und Fahrgastbefragungen zuvor ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Fahrgäste die Rück- und Rundfahrtregelung innerhalb der zwei Stunden nicht nutzt, so Radünz.

Neue Situation durch die Pandemie: Gibt es bald flexiblere Fahrtickets?

Einzelfahrschein Berlin Durch die Pandemie hat sich vieles verändert – auch im öffentlichen Nahverkehr. Auf die Bedürfnisse von Homeoffice-Pendler:innen will der VBB nun mit einem Flexiticket reagieren.
Durch die Pandemie hat sich vieles verändert – auch im öffentlichen Nahverkehr. Auf die Bedürfnisse von Homeoffice-Pendler:innen will der VBB nun mit einem Flexiticket reagieren. Foto: Imago/Segerer

Es liege somit im Ermessen jedes einzelnen Fahrgastes, den Einzelfahrausweis Berlin AB oder die hochgerechnet preisgünstigere Vier-Fahrten-Karte zu nutzen, sagt Joachim Radünz weiter. Der Preis für einen Abschnitt der Vier-Fahrten-Karte habe sich seit 2003 von 2,20 Euro auf 2,35 Euro erhöht. Dies entspreche einer Preiserhöhung von lediglich 6,8 Prozent in 18 Jahren. Laut Radünz können Fahrgäste in Berlin schon heute aus einem umfangreichen Sortiment an Fahrkarten wählen, das eine individuelle Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs erlaube. Ab 2022 will der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg zudem noch eine neue Ticketart einführen: Das Flexticket soll vor allem Pendler:innen zwischen Homeoffice und Büro das Leben erleichtern und günstiger machen. Das Ticket soll zu einem fairen Preis zu erwerben und an acht bis 13 Tagen im Monat gültig sein.

Bleibt abzuwarten, wie das neue Flexiticket bei den Berliner:innen ankommt, und vor allem, wie lange die Pandemie unsere Wirtschaft noch in Atem hält und unser Leben durcheinander wirbelt. Bis dahin haben wir die Wahl uns jeden Morgen und für kurze Erledigungen aufs Rad oder ins Auto zu schwingen oder, wenn es der Terminkalender zulässt, einen ausgedehnten Spaziergang zu machen. Eine Möglichkeit wäre es aber auch sich besser zu organisieren und so wenig zu trinken, dass man morgens unter keinen Umständen seinen Ausstieg verpasst. Trinkfreudigkeit durch den Pandemiefrust hin oder her: Letzteres bleibt eine ernstzunehmende Option.


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