Fotografie

Eine untergegangene Welt: Fotografien von Stefan Moses im DHM

Ganz schön befremdlich, die alte Bundesrepublik. Das exotische Land nennt das DHM deshalb seine Ausstellung mit Fotografien von Stefan Moses, in den 1950ern und ’60ern einer der wichtigsten Reportagefotografen der BRD

Stefan Moses: „Geselligkeit am Buffet“, um 1964; (c) Else Bechteler-Moses

Die Bundesrepublik der 1950/60er Jahre als „das exotisches Land“ zu bezeichnen, das ist natürlich catchy als Titel einer Ausstellung – es ist aber auch sehr richtig. Denn was in der Schau im Deutschen Historischen Museum gezeigt wird, ist auch ein anderes, ein vergangenes Land – ein Land der Trockenhauben, Schmetterlingsbrillen, Kittelschürzen und Pelzkragen. Eines, in dem Männer Anzug und Frauen Kostüm trugen. Und eines, in dem die Religion das Leben vieler Menschen ordnete oder, weniger klerikal, der Kegelverein, der Vertriebenenverband oder die Burschenschaft.

Der Münchner Fotograf Stefan Moses, der zu Recht als Chronist dieser Bundesrepublik galt und letztes Jahr verstorben ist, hat das in vielen Reportagen vor allem für den „Stern“ festgehalten. Aber er hat mit diesen Schwarz-Weiß-Aufnahmen den Blick dieser Republik auch geweitet, und neben dem Schaulaufen in Bayreuth oder der Fronleichnamsprozession in Bonn noch ganz andere exotische Orte besucht. Großbritannien zum Beispiel, wo er vom Lord bis zum Hafenarbeiter alle Gesellschaftsschichten fotografiert hat und einen großartigen Eindruck eines auch in den Nachkriegsjahren noch schwer von Klassenunterschieden gezeichneten Landes vermittelt.

Moses beherrschte in seiner Fotografie ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Hatte er in Deutschland einen ganz eigenen Stil für Porträts verschiedener Berufsgruppen entwickelt, indem er sie in ihrer typischen Kleidung in freier Natur vor einem grauen Wachstuch abbildete, war er bei seinen Auslandsreisen oft nur mit seiner Rolleiflex unterwegs, um den Moment einzufangen.

Seine Israel-Reportage zum Beispiel zeigt, dass er, der 1928 im damaligen Niederschlesien Geborene jüdischer Herkunft, der die NS-Zeit im Zwangsarbeiterlager überlebte, ein sehr differenziertes Bild dieses neuen Staates zeichnete. Er zeigte die, gerade für bundesrepublikanische Verhältnisse, unglaubliche Modernität der in Cafés sitzenden bewaffneten israelischen Soldatinnen ebenso wie die bittere Armut arabischer Familien, und er fasste den bis heute andauernden Gegensatz zwischen säkularen, liberalen und orthodoxen Juden als einer der ersten in sehr starke Bilder.

Durch seine eigene Herkunft war Moses in seinem langen Fotografenleben immer an Themen wie Vertreibung und Heimatlosigkeit interessiert. Besonders deutlich wird das in seiner über Jahrzehnte hinweg verfolgten „Emigranten“-Porträtreihe. Adorno blickt einen dort an, Curt Bois, die Geschwister Spira aber auch ein unbekannter jüdischer Viehhändler, der vor den Nazis fliehen musste.

Diese Mischung aus gleichwertigen Porträts verschiedener Schichten, Intellektueller wie Arbeiter, israelischer Soldatinnen wie deutscher Kanzler, zeichnet die Ausstellung aus. Dem Kuratorenteam um Carola Jüllig ist es nicht nur gelungen, einen Überblick über die frühen Arbeiten von Stefan Moses zu vermitteln, sondern auch seinen Blick auf die Gesellschaft.

Deutsches Historisches Museum Unter den Linden 2, Mitte, bis 12.5., tgl. 10–18 Uhr, 8/ erm.4 €, bis 18 Jahre frei 3323

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