Kunst

Gert Neuhaus: Der Fassadenkünstler hat Berlin bunt gemacht

Gert Neuhaus ist einer der bekanntesten Fassadenkünstler Berlins. Auch wenn euch der Name nicht geläufig ist, sind euch bestimmt Werke von ihm in der Stadt aufgefallen. 1976 nahm er die Arbeit auf, 1979 entstand seine erste große Wandmalerei in Berlin. Seither zieren Neuhaus’ Kunstwerke Brandmauern und verschönern die Stadt. Viele Motive verschwanden durch Neubau und Wärmedämmung, manche sind jedoch unverändert geblieben. In einer Fotoausstellung der Kommunalen Galerie Berlin (21. Februar bis 21. April 2024) lassen sich die Fassadenbilder des Wilmersdorfer Künstlers bestaunen.

Drei berühmte Werke von Gert Neuhaus: „Preußengiebel“ (1983), Foto: OTFW, CC BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons; „Reißverschluss“ (1979), Foto: IMAGO / Günter Schneider; „Phoenix“ (1989), Foto: OTFW, CC BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons (v.l.n.r)

In den 1970er-Jahren, als viele Häuser Berlins noch grau waren, brachte ein junger Künstler seine Architekturfantasien ins Stadtbild: Gert Neuhaus, 1939 in Wilmersdorf geboren, studierte zunächst Bildende Kunst an der damaligen Hochschule der Künste. Mitte der 1970er-Jahre erhielt er seinen ersten Auftrag: die Hauswände einer Siedlung am Buckower Damm zu gestalten. Seitdem zeichnete er mit geschickten Pinselstrichen und einem besonderen Auge für Räumlichkeit eine Stadt in die Stadt. Optische Täuschungen, monumentale Motive und architekturhistorische Reminiszenzen machen sein Werk zu einem auffälligen Teil des Berliner Stadtbilds.


Die 1970er: Gert Neuhaus bringt Farbe ins graue Berlin

„Reißverschluss“ (1979), Zillestraße 100, Charlottenburg. Foto: Norbert Martins

„Der Reißverschluss“ ist eine der ersten und bekanntesten Fassadenmalereien von Gert Neuhaus. Die Idee für das Motiv in der Zillestraße 100 in Charlottenburg entstand eher notgedrungen: Eigentlich plante Neuhaus einen riesigen Reißverschluss vor einer nur geringen unbemalten Fläche, doch dem Auftraggeber, eine Wohnungsbaugesellschaft, war der Entwurf zu teuer. Also drehte Neuhaus den Spieß um – und bemalte nur die frei werdende Gründerzeitfassade. Mehr Altbaufassaden von mondän bis marode findet ihr hier.

Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: In den 1980er-Jahren wurde der Hinterhof gar zum Touristenmagnet. 40 Jahre später verschwand das Kunstwerk – die Hauswand bekam eine Wärmedämmung. 

„Verspannung“ (1980), Haubachstraße / Fritschestraße, Charlottenburg. Foto: Norbert Martins

Ein Jahr nach „Reißverschluss“ entstand „Verspannung“: Auf dem Wandbild in der Haubachstraße/Fritschestraße in Charlottenburg schienen sich die Grenzen von Bausubstanz und Umgebung aufzulösen. Gleichzeitig vermittelten die straff gespannten Fäden den Eindruck, als bräche das Gebäude in jedem Moment auseinander. Das Bild wurde später übermalt – ein Wermutstropfen, der sich durch das Schaffen von Neuhaus zieht: „Für meine Art der Kunst gibt es kein Copyright, und sie ist auch nicht übertragbar“, sagte Neuhaus einmal der „Welt am Sonntag“.


Die 1980er: Ein Überseeschiff in Charlottenburg

„Phoenix“ (1989), Wintersteinstraße 20, Charlottenburg. Foto: Fridolin Freudenfett (Peter Kuley) / CC BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons

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Vielleicht das Opus Magnum des Wilmersdorfers: Neuhaus malte das Wandbild „Phoenix“ an einem Gründerzeithaus in der Weintersteinstraße im Jahr des Mauerfalls. Und wie die Menschenmassen an den Grenzübergängen scheint auch der Überseedampfer die Mauer geradezu zu durchbrechen. Die Motive passt Neuhaus dabei immer sorgfältig dem städtebaulichen und soziokulturellen Kontext an – auch im Falle von „Phoenix“: So beeinflusste die Nähe zum Spreekanal und die Wassersehnsucht der Berliner die Auswahl des Motivs. Heute lässt sich das Bild in Charlottenburg nach wie vor bestaunen. Außerdem haben wir weitere Sehenswürdigkeiten in Charlottenburg für euch zusammengestellt.   


Die 1990er: Kunst-Konsum im Vorbeifahren

„Anflug auf Tempelhof“ (1991), Geneststraße 6-8, Schöneberg. Foto: IMAGO / Schöning

Das Besondere an Fassadenmalereien: Sie sind öffentlich zugänglich und lassen sich im Vorbeigehen konsumieren und rezipieren. So auch das Werk „Anflug auf Tempelhof“, das 1991 in Schöneberg in einem Gewerbeareal fertiggestellt wurde. Angesichts der schieren Menge an vorbeifahrenden Betrachtern auf der Stadtautobahn dürfte wohl manch anderer Künstler ziemlich neidisch gewesen sein. Das Gebäude samt Bild wich in den 2010er-Jahren einem Neubau.

„Kleinwagen-Museum“ (1995), Schönhauser Allee 146, Prenzlauer Berg. Foto: Norbert Martins

Das Fassadenbild „Kleinwagen-Museum“ aus dem Jahr 1995 gehört zu den unbekannteren Kunstwerken von Neuhaus. Fotografiert wurde es von Norbert Martins. Der mit Neuhaus befreundete Fotograf nahm sämtliche Werke des Wilmersdorfers, aber auch anderer Fassadenkünstler:innen, mit seiner Kamera auf. Sein Archiv umfasst mittlerweile rund 1500 Fotografien. Viele der Wandbilder sind längst verschwunden – vom „Kleinwagen-Museum“ ist nur noch die Hälfte übrig. Martins zufolge hat ein Fassadenbild eine durchschnittliche Lebensdauer von 15 Jahren.


Die 2000er-Jahre: Ein zweites Brandenburger Tor, gemalt von Gert Neuhaus

„Hommage an eine Platte“(2004), Robert-Rössle-Straße 22, Buch. Foto: OTFW, CC BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons

Obwohl die meisten Kunstwerke von Neuhaus Gründerzeitfassaden zieren – die freistehenden Brandmauern von hochgeschossigen Blockrandbebauungen bieten ideale Leinwände – wagte sich Neuhaus auch an den Plattenbau: Im Herbst 2004 wurde im Ortsteil Buch das Werk „Hommage an eine Platte“ eröffnet. Zu sehen ist das Brandenburger Tor vor einem Plattenbau in der Robert-Rössle-Straße 22. Mit Wolfgang Thierse war sogar Polit-Prominenz zu Gast. Wohl aber auch, weil der Ortsteil Buch zum Wahlkreis des ehemaligen Bundestagspräsidenten gehörte. 

„Wenn der Vater mit dem Sohne“ (2009), Stübbenstraße 7, Berlin-Schöneberg. Foto: Sebastian Rittau, CC BY 3.0 / Wikimedia Commons

Das Werk „Wie der Vater dem Sohne“ aus dem Jahr 2009 unterstreicht den Ruf von Neuhaus als „Meister der Illusion“: Der Anblick der beiden Menschen auf der schwebenden Terrasse ist schwindelerregend, die Treppenstufen scheinen geradezu aus der Hauswand in der Stübbenstraße herauszuführen. Inspiration für seine Fassadenkunst fand Neuhaus in den Werbetafeln, die in den USA der 1960er-Jahre auf Hauswänden, Tankstellen und sogar Wolkenkratzern prangten. Etwa 33 Fassadenbilder malte Neuhaus in Berlin, rund 40 in ganz Deutschland.


Die 2010er: Fassadenkunst und ihre soziale Kraft

„Hommage à Picasso“ (2016) von Gert Neuhas, Pallasstraße 28, Schöneberg. Foto: IMAGO / Jürgen Held

Wie Kunst im urbanen Raum auch zum Imagewandel von Wohnhäusern beitragen kann, zeigte das Beispiel des als „Sozialpalast“ verspotteten Wohnkomplexes an der Palassstraße in Schöneberg. Der Wohnkomplex galt lange sozialer Brennpunkt. Mit einem Namenswettbewerb – die Wohnanlage wurde auf den Namen „Pallasseum“ getauft – änderte sich langsam die öffentliche Wahrnehmung. Zum neuen Image eines lebenswerten, kultigen Wohnortes trug auch die Fassadengestaltung von Gert Neuhaus und seinem Sohn Daniel Neuhaus bei: Neben zwei großen Augen an der Straßenüberbauung gestaltete das Vater-Sohn-Duo den Schriftzug „Palasseum“.


Werkschau von Gert Neuhaus in der Kommunalen Galerie Berlin

Der Künstler Gert Neuhaus. Foto: Norbert Martins

Städte unterliegen einem permanenten Wandel – Gebäude werden abgerissen, Wände gedämmt, Brachflächen nachverdichtet: Ein hartes Pflaster für Fassadenmalerei. In einer zweimonatigen Ausstellung lassen sich nun Fotografien sowohl bereits verschwundener als auch noch bestehender Werke von Gert Neuhaus betrachten. Die Ausstellung trägt den Titel „Die gemalte Stadt“ und ist vom 21. Februar bis zum 21. April 2024 in der Kommunalen Galerie Berlin am Hohenzollerndamm zu sehen.

  • Kommunale Galerie Berlin Hohenzollerndamm 176, Wilmersdorf, Ausstellung „Die gemalte Stadt“: 21.2.–21.4.2024, Di, Do+Fr 10–17 Uhr, Mi 10–19 Uhr, Sa+So 11–17 Uhr, weitere Infos zur Ausstellung gibt es hier

Ein besonderer Dank gilt Norbert Martins, der uns einige seiner Fotografien zur Verfügung gestellt hat. Wer sich für mehr Fassadenkunst interessiert, sollte die Website von Martins besuchen.


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