Ausstellungen

Gundula Schulze Eldowy und eine Freundschaft über Systeme hinweg

Zwei Fotograf:innen dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs: Gundula Schulze Eldowy, ehemals DDR-Bürgerin, und den US-Amerikaner Robert Frank verband eine Kollegialität über Kontinente und politische Systeme hinweg. Die wird jetzt von der Akademie der Künste mit einer Schau unter dem Titel „Halt die Ohren steif!“ gewürdigt, und auch das Bröhan-Museum zeigt Werke der Fotografin. tipBerlin-Autorin Katrin Bettina Müller hat sich mit Schulze Eldowy getroffen.

Bekanntschaft aus Ost-Berliner Zeit: der New Yorker Fotograf Robert Frank und die Fotografin Gundula Schulze Eldowy, ehemals Bürgerin der DDR, in Leipzig 1993. Foto: Helfried Strauß

Gundula Schulze Eldowy stellt in der Akademie der Künste aus

Ein kleiner Engel, blond und rosa, ein Kind mit Flügeln, es scheint zu leuchten in einem Hinterhof, einer maroden Umgebung, der die Farben fehlen. Er begegnet mir gleich mehrfach in Abzügen auf einem Dachboden in Pankow. Hier in ihrem Studio empfängt mich die Fotografin Gundula Schulze Eldowy knapp zwei Monate vor ihrer Ausstellung in der Akademie der Künste.

Ihr 1987 in Dresden entstandenes Bild von dem Kind gehört zu jenen, mit denen sie Anfang der 1990er-Jahre als Fotografin aus Ostdeutschland bekannt wurde, nicht nur in Berlin, sondern auch in der Schweiz und in New York. 1992 stellten die noch jungen Kunst-Werke in der Auguststraße sie zusammen mit Aufnahmen der US-amerikanischen Künstlerin Nan Goldin aus. „Fotografie als Berührung und Fotografie als Herausforderung und von Aggressivität. Fotografie als Verführung und Begehren“, schrieb damals die Kunsthistorikerin Gabriele Muschter über das, was in den Bildern der beiden Künstlerinnen verwandt scheint.

Der Engel hat auf dem Pankower Dachboden Verwandtschaft von Heiligen gefunden. Große Bilder, die wie Gemälde wirken, lehnen an den umfangreichen Bilderstapeln. Tatsächlich sind es mit Gold übermalte C-Prints von Fotografien alter Fresken aus frühchristlichen Kirchen in Istanbul, die Gundula Schulze Eldowy 1997 dort in der Hagia Sophia und im Kloster Chora entdeckte, wo sie über Jahrhunderte unter Putz verborgen gewesen waren. Die neue Übermalung mit Gold hat ihnen eine unvermutete Strahlkraft zurückgegeben. Im Winter 2011/12 waren diese Bilder im Deutschen Bundestag ausgestellt.

Eine Eigenschaft, die mir zugeflogen ist, ist das Bewahren

Gundula Schulze Eldowy

„Eine Eigenschaft, die mir zugeflogen ist, ist das Bewahren“, meint Gundula Schulze Eldowy. Das trifft auf viele Arbeiten der 1954 geborenen Fotografin zu, ein Aspekt, den sie in der Rückschau hervorhebt, wie in dem Foto-Film „Im Herbstlaub des Vergessens“, 2009 aus Bildern ab 1983 zusammengestellt. 13 Jahre lang, bis 1985, wohnte sie in Berlins Mitte und erlebte ein gemischtes Berliner Milieu im Moment vor seinem Untergang. Dazu gehörten alte Wandschriften von Geschäften und von Verboten auf verwitternden Mauern, Spuren der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und alte Leute, die ihr von der Vergangenheit erzählten und Lieder sangen. Mit diesen O-Tönen ist der Foto-Film unterlegt.

ohne Titel, New York, 1990, aus der Serie „In einem Wind aus Sternenstaub“. Foto: Gundula Schulze Eldowy

Zu seinen Protagonisten gehören eine über 80-jährige, fast blinde Briefträgerin oder ein Mann, der die Zeitungen von gestern zu verkaufen suchte. Von drei weiteren Porträtierten hat die Schulze Eldowy, die für ihre Ausstellung in der Akademie der Künste ihr Archiv durchforstet, gerade Bilder gefunden, die noch nicht ausgestellt waren. Voller Sympathie erinnert sie sich an den originellen Charme und die etwas abgerissene Eleganz dieser Außenseiter, die nicht in die Ordnung der DDR passten.

Schulze Eldowy und Robert Frank: Bilderschmuggel von Ost-Berlin in die USA

Ihr Blick für das Unangepasste und für die dunklen Hinterlassenschaften der Geschichte, die so lange noch im Ost-Berliner Stadtbild präsent waren, weckte das Interesse des berühmten amerikanischen Fotografen Robert Frank, als er 1985 einmal Gast in der Ost-Berliner Fotografenszene war. Ihrer Freundschaft ist nun die Ausstellung in der Akademie der Künste mit dem Titel „Halt die Ohren steif!“ gewidmet. Auch im Bröhan-Museum sind seit Ende Januar Bilder von Schulze Eldowy zu sehen, „Berlin in einer Hundenacht“, die sie Frank schon damals zeigte. Er sorgte dafür, dass Fotos der jungen Künstlerin noch vor dem Fall der Mauer in einer New Yorker Galerie ausgestellt wurden, als sie noch auf für alle Beteiligten nicht ungefährlichen Wegen aus Ost-Berlin geschmuggelt werden mussten. Von ihrem Ost-Berliner Kollegen Thomas Florschuetz hat sie jüngst ein Bild aus dessen Archiv erhalten, das sie mit dem Bilderschmuggler zeigt. Und im eigenen Archiv jenen Bericht von der Stasi gefunden, als ihr Helfer mit ihren Bildern einmal verhaftet wurde.

Manche würden mich gerne lynchen oder als Hexe auf dem Marktplatz verbrennen

Gundula Schulze Eldowy

„Ich habe Dir ja schon geschrieben, wie mir Deine Bilder von den Fabrik-Arbeitern gefallen. Du hast so viel Sympathie für’s Leben und Leiden. Für die Menschen, welche vor Dir stehen und die ahnen, dass diese Photos, dieser Moment übrig bleiben wird – in der Mitte von all dem Chaos, mit dem alle leben“, schrieb ihr Robert Frank im Januar 1987. Auch diese Briefe mussten geschmuggelt werden. Sie schrieb ihm von den Anfeindungen, die sie als Künstlerin ertragen musste: „Manche würden mich gerne lynchen oder als Hexe auf dem Marktplatz verbrennen. Weil ich ihre Ideale kaputt mache. Sie haben so viele Bilder im Kopf, ich meine die geistigen, an denen sie sich festklammern, mit denen sie schon ihre ganze Kindheit verbracht haben. Und dann komme ich und will ihnen sagen, dass alles, woran sie bisher geglaubt haben, falsch ist. Ich kann sie verstehen, wenn sie sich wehren. Unendlich gerührt bin ich, wenn sie sie verstehen und das sind wenige.“

Gundula Schulze Eldowy spielte für den Blick des Westens auf den Osten eine große Rolle

Dass es Künstlerinnen wie Gundula Schulze Eldowy gab, spielte für den Blick des Westens auf den Osten Deutschlands in den Nachwendejahren eine große Rolle. Sie standen für die Nichteinverstandenen, die mit List und Mut eine Subkultur aufgebaut hatten. Ausstellungen fehlten, aber Gundula Schulze Eldwoy etwa tourte mit einer Dia-Schau ihrer Bilder durch Städte und kleinere Orte in der DDR.

„The beast in you is Germany“, auch das schrieb Robert Frank, der deutsche Vorfahren hatte und mit ihr Deutsch sprach, einmal an sie. Die beiden verband mehr als die Fotografie, zum Beispiel ein ähnlicher Blick auf die Dämonen der Geschichte. Sie konnte er auch in einem Bild erkennen, in dem Schulze Eldowy einen Fan deutscher Gartenzwerge porträtiert. Ihre Freundschaft wurde zu einer, die in Bildern stattfand, als Gundula Schulze Eldowy 1990 einer Einladung Franks nach New York folgen konnte und Teil seiner Familie wurde. In seiner Frau, der Künstlerin June Leaf, fand sie eine mütterliche Freundin, in seinem Sohn Pablo einen Freund. Einem Familienalbum aus dieser glücklichen Zeit gleicht ihre Serie „Halt die Ohren steif “.

Inspiration bei den Beatniks

Es war, denkt sie heute, auch ihre unbekümmerte Begeisterung über New York, die für Frank und seine Künstlerfreunde, darunter Allen Ginsberg, ansteckend war und ihr so viel Sympathie unter den Beatniks einbrachte. Deren Poesie wiederum steckte sie an, sie streute Gedichte in ihre Briefe ein. Und sie entwickelte eine eigene Poesie mit der Kamera, entdeckte New York nicht nur als eine Stadt voller Farben, sondern auch voller Geister. Spiegelungen in Schaufenstern und Doppelbelichtungen brachten malerische Effekte und Zitate aus der Malerei in ihre Fotografien: Die Serie „Spinning on my Heels“ entstand so 1990 bis 1993 in New York.

Stadt der Geister: ohne Titel, New York, 1992, aus der Serie „Spinning on my heels“. Foto: Gundula Schulze Eldowy

In jenen Aufnahmen verschmelzen mehrere Ebenen der Wirklichkeit. Das Licht scheint aus den Bildern hervorzubrechen, sie sprechen mit einem Leuchten. Aber auch die Fragilität des Sichtbaren, das nicht selten auch schon wieder auf dem Rückzug scheint, spielt eine Rolle.

Den Traum und andere Bewusstseinszustände als Realitäten anzuerkennen und ins Bild holen zu wollen, hat seitdem ihre Arbeit nicht wenig beeinflusst. Gundula Schulze Eldowy hat Ägypten, Südamerika und Japan bereist und sich dort auch mit anderen Denkweisen, die Welt zu erfassen, beschäftigt. Heute lebt sie hauptsächlich in Peru und ist dort mit Moche Javier A. Garcia Vásquez verheiratet, einem indigenen Keramikkünstler und Schamanen seines Stammes. Ihr Werk aber wohnt immer noch zu großen Teilen in ihrem Pankower Atelier. 

  • Akademie der Künste Pariser Platz 4, Mitte, Di–Fr 14–19, Sa + So 11–19 Uhr, 9/6 €, bis 18 J., Di + 1. So/Monat frei, 25.1.–1.4., Eintritt frei, online. Katalog, 304 S., ca. 300 Abbildungen, Spector Books, Leipzig 2024, 28 € in der AdK, 36 € im Buchhandel
  • Bröhan-Museum Schloßstr. 1a, Charlottenburg, Mitte, Di–So 10–18 Uhr, 8/5 €, bis 18 J. + 1. So/ Monat frei, 20.1.–4.4, online

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