Die wichtigsten Ausstellungen in Berlin: Die Kunstwelt ist immer in Bewegung. Was es Neues gibt, was sich weiter lohnt und wo ihr noch unbedingt hin müsst, bevor es zu spät ist, lest ihr hier. Claudia Wahjudi und Ina Hildebrandt geben Tipps für neue Kunst und aktuelle Ausstellungen in Berlin – und für letzte Chancen, bevor es zu spät ist.
Neue Ausstellungen
Welche Ausstellungen sind gerade neu? Hier lest ihr, was in der Kunstwelt neu eröffnet wurde und was wir kürzlich besucht haben.
„ A World In Common“ in der C/O Berlin
Wem der Berliner Winter so richtig aufs Gemüt schlägt, also 99,9 Prozent von uns, muss zur Licht- und Farbkur in die C/O Berlin. „ A World In Common“ heißt die aktuelle Ausstellung und präsentiert wichtige Stimmen zeitgenössischer Fotografie aus Afrika und der afrikanischen Diaspora. In mehrere Themenfelder aufgeteilt kulturelles Erbe, Spiritualität, Selbstrepräsentation und Klimagerechtigkeit. Volle Präsenz zeigen die Porträtierten in den farbstark inszenierten Aufnahmen von etwa Atong Atem oder Hassan Hajjaj. Viel Vergangenheit, ob Projekten, bei denen Künstler:innen mit altem Archivmaterial arbeiteten oder in Rückbesinnungen auf vorkoloniale Zeiten - das kann zuweilen etwas stereotyp daherkommen. Überzeugend wird die Schau immer da, wo die Werke als Zuschreibungen und Kontexte hinter sich lassen wie bei den Aufnahmen von Kiripi Katembo, der in den fotografierten Pfützen die kongolesische Hauptstadt Kinshasa und die dort lebenden Menschen spiegelt. Verfremdete, gar traumartige Bilder, die wortwörtlich eine andere Perspektive anbieten auf eine durch mediale Bilder vermittelte Realität afrikanischen Lebens.
Nicht verpassen sollte man auch die Ausstellung von Sam Youkilis im Stockwerk obendrüber. Auf mehreren Bildschirmen laufen Videoaufnahmen des New Yorker Fotografen und Filmemachers, die er mal bei seinen morgendlichen Blick aus dem Fenster oder beim Flanieren durch die Gegend aufnahmen, alles an verschiedenen Orten. Eine stimmungsvolle Installation aus Instagram-Stories, die einen in die Ferne mitnimmt.
- C/O Berlin Hardenbergstr. 22–24, Charlottenburg, tgl. 11–20 Uhr, 12/6 €, bis 7.5.
Alex Müller, Matthias Beckmann und Axel Anklam im Zentrum für aktuelle Kunst Spandau
Gleich vier Ausstellungen haben Ende Januar auf der Zitadelle begonnen. Die zwei kleineren stellen neben Wettbewerbsentwürfen für Kunst an Spandauer Bauten die abgeräumten Berliner Denkmäler vor, die im Schaulager der Renaissance-Festung für ihre politische Agenda büßen: preußische Feldherren, Volkspolizisten und nationalsozialistische Heroen aus Stein. Matthias Beckmann hat sie gezeichnet und mit Aquarell akzentuiert und so die undemokratische Vergangenheit deutscher Staaten beziehungsreich auf Linien gebracht. Unter anderem mit deutsch-deutscher Geschichte ihrer Familie setzt sich das multidisziplinäre Werk (Abb.) der Berliner Künstlerin Alex Müller auseinander, das sich in Hallen und Gängen entfaltet. Und eine große Schau ist den luftigen, geradezu schwebenden Metallskulpturen des Berlin-Brandenburger Bildhauers Axel Anklam gewidmet, der 2022 im Alter von nur 50 Jahren starb. Die U-Bahn-Fahrt ans westliche Ende der Linie U7 lohnt absolut.
Zentrum für aktuelle Kunst Spandau ZAK Zitadelle Spandau, Am Juliusturm, U-Bhf Altstadt Spandau, Fr–Mi 10–17, Do 13–20 Uhr, 4,50/ 2,50 €, 1. So/ Monat frei, zitadelle-berlin.de, bis 30.4.
„Emilie200 - Ein Porträt der Frau Theodor Fontanes“ im Hugenottenmuseum
Allein der Weg zum Höhepunkt der Sonderausstellung ist ein Erlebnis: Durch die verwinkelte, abwechslungsreiche Dauerschau des Hugenottenmuseum über Reformation, Glaubenskriege und die Vertreibung der Hugenotten geht es um die halbe Rotunde des Französischen Doms herum und dann eine Treppe hinauf. Oben gastiert die Sonderausstellung, die das Theodor-Fontane-Archiv und die Theodor Fontane Gesellschaft ausrichten: zu Emilie Fontane, der Frau des Schriftstellers Theodor Fontane, die einen französischen Vater hatte. Für Kunstinteressierte aufschlussreich sind das Kapitel über das Motiv der lesenden Bürgerdame in der Malerei und selbstverständlich Adolf Menzels kleine Gouache im Herzen der Schau (Abb.). Das bezaubernde Bild zeigt eine Frau auf einem Ausflugsdampfer, vermutlich Emilie Fontane. Statt sich an den Wellen zu erfreuen, liest sie in einem Buch.
Hugenottenmuseum Berlin Französischer Dom, Gendarmenmarkt 5, Mitte, Di-So 11.30–16.30, 6/4 €, hugenottenmuseum-berlin.de, bis 18 J. + TLE frei, bis 8.3.
Gordon Matta-Clark in der Galerie Thomas Schulte, Potsdamer Straße
Gordon Matta-Clark (1943-1978) ist vor allem für zerlegt Häuser bekannt. Mit Schnitten durch Holz, Beton und ganze Etagen legte der US-amerikanische Künstler den Blick darauf frei, wie sich Geld, Stadtentwicklung und Architektur gegenseitig beeinflussen. Die Galerie Thomas Schulte zeigt jetzt stillere Arbeiten ihm zu Phänomenen, die auch in Berlin bekannt sind: Schwarzweiß-Fotos von verfallenen Wänden und Filme unter anderem zur Aneignung heruntergekommener Straßen durch junge Künstler:innen. Arrangiert hat die Arbeiten David Hartt. Der 1967 in Kanada geborene Künstler inszeniert sie zwischen Elementen seiner eigenen Kunst: zwischen Gerüsten, Spiegeln, Stühlen und Plakaten. Das ist einerseits schön, weil er damit Gordon Matta-Clark ehrt. Andererseits ist es nicht schön, weil das Arrangement die Arbeiten des Älteren zu überformen droht. Und weil es die Sicht auf die teils verwitterten, teils modernisierten Wände der Mercator-Höfe, die Matta-Clarks Ansichten berlinaktuell wirken lässt, fast versperrt.
Galerie Thomas Schulte Potsdamer Str. 81b, Tiergarten, Di–Sa 11–18 Uhr, thomasschulte.com, bis 1.3.
Unicef Foto des Jahres 2024 im Willy-Brandt-Haus
Über die stille Trauer, die von den Werbeplakaten für die UNICEF-Ausstellung spricht, sollte sich niemand wundern: Auf der Straße aufgehängt, sollen die Gewinneraufnahmen des Jahres 2024 niemanden erschrecken. Den Preis teilte die Jury des „Unicef Foto des Jahres“ dieses Mal auf: Fotos des Jahres sind „Das Trauma des kleinen Stav“ aus Israel von Avishag Shaar-Yashuv und „Das Drama von Dareen und Kinan“ aus Palästina von Samar Abu Elouf. Erst im Foyer des Willy-Brandt-Haus auf nüchternen Stellwänden wird dann das physische und psychische Ausmaß von Hamas-Anschlag und Gaza-Krieg sichtbar: auf Fotos, die seelische und körperliche Verletzungen der Porträtierten und eklatante Unterschiede bei Wohlstand und Armut zeigen – und Respekt vor den Abgebildeten. Mit weiteren Ehrungen ausgezeichnete Presse- und Dokumentarfotos entstanden unter anderem in Sudan, Äthiopien und im wohlhabenden Europa, wo Kinder und Jugendliche, wie hier zu sehen, viel zu lang vor und über digitalen Geräten hängen (Abb.). Am Ausgang liegt zum Mitnehmen ein Heft mit der „Konvention über die Rechte des Kindes“ aus. Von deren Erfüllung sind wir offenbar Lichtjahre entfernt.
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus Stresemannstr. 28, Kreuzberg, Di–So 12–18 Uhr, Ausweis erforderl., fkwbh.de, bis 27.4.
„Berliner Salon“ in der Gemäldegalerie
Referenz an das 17. Jahrhundert in Jeans von der Moderdesignerin Silja Meise. Foto: Stefanie Dörre
Kann das gut gehen, wenn die Entwürfe junger Modemacherinnen vor den Gemälden von Cranach, Tizian und dem „Mann mit dem Goldhelm“ präsentiert werden? Es kann. Sehr gut sogar. Schon zum zweiten Mal präsentiert sich der Berliner Salon, eine Plattform zur Förderung des Mode-Nachwuchses, in Kunst-Kontext. Die Schau im Bode-Museum letzten Sommer war ein großer Erfolg, nun ist die Gemäldegalerie Ort für diese Veranstaltung im Rahmen der Berlin Fashion Week. Viele der jungen Modemacher:innen nehmen in ihren Präsentationen Bezug auf die Sammlung Alter Meister. Es werden opulente Umhänge gezeigt, Rüschen und Reifröcke, die dann allerdings nicht aus Seide, sondern schon mal aus getragenen Jeans zusammengesetzt sind (bei Silja Meise). Vor Jean Bellegambes Tiptychon mit dem Jüngsten Gericht hat Marlon Ferry feuerrote Kleider installiert, an denen Flammen hochzulodern scheinen. Adriane Lila Fecke zeigt Kreationen aus Nesselstoff, die sie mit Acrylfarben handbemalt hat. Neben diesen detaillierten Bezügen demonstrieren die Installationen aller 55 Modedesigner:innen aber vor allem eines: Wie besessen von Stoffen, Schnitten und Schmuck die Menschen schon früher waren und es immer noch sind. Kuratiert wurde die Ausstellung unter Leitung von Christiane Arp, Vorstandsvorsitzende des Fashion Council Germany und wichtigste Förderin der Mode in Deutschland. Sie hat es geschafft, dass Kunst- und Modefans hier gleichermaßen auf neue Gedanken kommen können. (sd)
- Gemäldegalerie Kulturforum Matthäikirchplatz, Tiergarten, Di–So 10–18 Uhr, 16/8 €, bis 24.2.
„Those who take care of us“ im Kunstraum Kreuzberg
Was wissen wir hier im Westen über orientalische Musik? Nicht viel, wenn es nach der Protagonisten in einem Dokumentarfilm von Silvina Der Meguerditchian. Die Musikerin spricht über die Kanun, eine Zither aus der arabischen und türkischen Musik. Mit der Kanun verbindet die armenisch-argentinische Künstlerin Silvina Der Meguerditchian Familien- und Identitätsgeschichte. Sie setzt sich in ihrer bislang umfangreichsten Ausstellung mit Erinnerung, Migration und Sprache auseinander und untersucht Musik als Ausdruck kultureller Verflechtungen in der Diaspora. In der Ausstellung kombiniert sie Alltagsgegenstände, traditionelle Textilien und persönliche Gegenstände zu verspielten, schönen Installationen, die Vertreibung, kulturelles Erbe und Widerstand thematisieren.
Kunstraum Kreuzberg Mariannenplatz 2, Kreuzberg, So–Mi 10–20, Do–Sa 10–22 Uhr, bis 6.4.
Esvin Alarcón Lam in der Daadgalerie und im Künstlerhaus Bethanien
Bambus ist aus Europa, wo es ursprünglich nicht vorkam, kaum fortzudenken. Es wächst in Vorgärten, auf Balkonen, in Kübeln vor Cafés. Der Künstler Esvin Alarcón Lam aus Guatemala, Nachfahre von Einwandernden aus China, untersucht die Pflanze mit den biegsamen verholzenden Stängeln genauer. In der Galerie des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), dessen Stipendiat er war, gibt er Beispiele für ihre wirtschaftliche und militärische Nutzung. Bambus dient Esvin Alarcón Lam als Metapher für Verpflanzung und Migration. Zwischen weiteren Arbeiten wie Flaggen, Aufnahmen von Straßenperformances und einem bezaubernden Video von raschelndem Herbstlaub, zeigt sich die verletzliche Schönheit der Pflanze, allen voran auf einer Wand mit getrockneten Blättern. Ins Detail geht Lam im Künstlerhaus Bethanien: Auf Zeichnungen und Fotos offenbart er eine geradezu intime Beziehung zu dem Süßgras, das sich über unterirdische Sprossen fortpflanzt. Und hier tut es fast weh, drei Fotos genauer anzusehen: Lam hat sich Haare transplantieren lassen. Auch das ein Kraftakt von Wurzeln.
- Künstlerhaus Bethanien Kottbusser Str. 10, Kreuzberg, Di–So 14–19 Uhr, www.bethanien.de, bis 16.2.
- Daadgalerie Oranienstr. 161, Kreuzberg, www.berliner-kuenstlerprogramm.de
Di–So 12–19 Uhr, 2.3.
Sa, 8.2., 16 Uhr Gespräch und Führung mit Esvin Alarcón Lam (auf Engl).
Lasse Müller und Konrad Friedländer in der Kommunalen Galerie Berlin
Wenn im März der Europäische Monat der Fotografie (EMOP Berlin) läuft, werden Berliner Ausstellungsräume voller Fotos sein. Aus der Fülle wird eine kleine, sparsam gehängte Schau in der Kommunalen Galerie Berlin herausstechen: zum 18. Preis für Photographie der IBB-Bank, Lasse Müller (Hauptpreis) und Konrad Friedländer (Anerkennungspreis) gewonnen haben. Müller und Friedländer studieren an der Universität der Künste. Beide lichten Reales ab, bauen aber aus den Fotos neue Tableaus oder dreidimensionale Objekte – mit einfallsreichen Aufnahmemethoden und handwerklichen Kniffs. Diese zeigen sich, wenn Besuchende nah herantreten, genau hinsehen und überlegen, was wie gemacht sein könnte. Fotografie ist hier kein Medium, sondern Präzisionswerkzeug, mehr sei nicht gespoilert. Man kann natürlich erörtern, ob der Aufwand gerechtfertigt ist, am besten, wenn die Künstler persönlich zugegen sind. Denn zuzuhören, wie sich die beiden – ungeachtet der überflüssigen Hierarchie ihrer Preise – kollegial ergänzen und fördern, bereitet Freude pur.
- Kommunale Galerie Berlin Hohenzollerndamm 176, Wilmersdorf, Di–Fr 10–17 Uhr, Mi 10–19 Uhr, Website, bis 30.3., Rundgang mit den Künstlern: Mi, 19.2, 18 Uhr
Natalia Stachon mit „Through the space where a window used to be” in der Stiftung Reinbeckhallen
Die Berliner Künstlerin Natalia Stachon stellt im ehemaligen Industriegebiet von Oberschöneweide aus: in einem Saal der Reinbeckhallen mit imposanten Stahlträgern, Metalltreppen und ochsenblutrotem Fußboden. Doch Blickfang ist Stachons rohhölzerne Kulisse, die auf die Fassade gekippt am Boden liegt, die Standfläche ragt in die Luft. Ein Stück verzinkter Stahl verschließt eine Öffnung, die ein Fenster sein könnte. Und verkörpert so den Ausstellungstitel, der auf eine Zeile in Kate Crawfords Sachbuch „Atlas of AI: Power, Politics, and the Planetary Costs of Artificial Intelligence“ über Ab- und Raubbau von Bodenschätzen zurückgeht: „Through the space where a window used to be”. Auf der Galerie, von der früher der Werksmeister die Transformatorenproduktion überwacht haben muss, hängen große Zeichnungen. Sie weiten den Blick, nicht nur, weil sie Horizont und Himmel haben. Die in tagelanger Arbeit filigran zu Papier gebrachten Landschaften mit fliederfarbenen Flächen zeigen Landstriche wie Feldwege, Grasland mit Strommast, ein endloses Maisfeld. Es sind Gegenden, wie sie zurückbleiben, wenn Menschen ihnen Ackerfrüchte entnommen haben oder Rohstoffe für Industrien – ausgelaugt und erschöpft. Bestürzend, sie hier so zu sehen.
- Stiftung Reinbeckhallen Reinbeckstr. 8-49, Oberschöneweide, Fr 16–20 Uhr, Sa+So 12–18 Uhr, bis 22.2.
Kilian Breier: „Abstrakt Konkret – Material Licht und Form“ in der
Bäume und Pflanzen bildeten den Ausgangspunkt für die Fotografie des 2011 gestorbenen Künstlers Kilian Breier (Foto rechts). Doch das Ziel des in Hamburg lehrenden Fotografen waren Aufnahmen, die ohne Kamera, nur mit Licht und Chemie in der Dunkelkammer entstehen: konkrete Fotografie und abstrakte Fotografie. Die Alfred Erhardt Stiftung zeigt 50 Arbeiten von Breier aus 30 Jahren.
- Alfred Ehrhardt Stiftung Auguststr. 75, Mitte, Di–So 11–18 Uhr, bis 11.5.
Ngozi Ajah Schommers: „I’m sorry, I Can’t help You“ bei Deutscher Künstlerbund
Preis der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, über den eine Jury aus Künstler:innen entscheidet, ist Ende 2024 an Ngozi Ajah Schommers gegangen. Die Künstlerin setzt sich mit heutigen und historischen Beziehungen zwischen Europa und Afrika auseinander. Und aktuell mit der Situation von schwarzen und afrikanischen Patientinnen im deutschen Gesundheitswesen: „I’m sorry, I can’t help you”, lautet der bittere Titel, unter dem die Bremer Künstlerin jetzt etwas sparsam in Berlin ausstellt.
- Deutscher Künstlerbund Markgrafenstr. 67, Kreuzberg, Di–Fr 14–18 Uhr, bis 21.3.
Letzte Chance: Diese Ausstellungen enden bald
Diese aktuellen Ausstellungen in Berlin sind nicht mehr lange zu sehen. Nutzt die Chance, sie an den letzten Tagen zu besuchen.
„Salz. Ton. Granit” in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst
Wohin mit dem hochradioaktiven Müll, der noch in Jahrtausenden strahlen wird? Wie geht es den Menschen, die ihre Dörfer für den Uranabbau räumen mussten? Und wie hat der Widerstand gegen AKWs und Endlager Gesellschaften verändert? Große Fragen, auf die elf Künstler:innen aus Ungarn und Deutschland in einer großzügigen Ausstellung mit teils großartigen Arbeiten ernstzunehmende Antworten geben. Denn der Ausstellung “Salz. Ton. Granit” in der nGbK gingen zwei Jahre Recherchen, Workshops und Veranstaltungen voraus, gefördert von der Bundeskulturstiftung und ihrem „Zero”-Programm für klimaneutrale Kulturprojekte. Nun bilden museal arrangierte Alltagsobjekte aus Uranbergbau und Protestbewegungen den Hintergrund für punktgenau platzierte Filme, Gemälde, Installationen und Skulpturen. So hat Ana Alenso zwei womöglich noch immer leicht strahlende Bohrhämmer von der Wismuth AG aufgestellt, und zwar so, dass ihre aggressive Schönheit die Faszination ahnen lässt, die der Abbau der gefährlichen Pechblende auf Bergleute und Ingenieur:innen ausgeübt haben muss.
Marike Schreibers filigraner, multimedialer Wasserspender führt gedanklich zum Brandenburger Stechlinsee am stillgelegten Kraftwerk Rheinsberg und zur kirchlichen Umweltbewegung in der DDR. Und Csilla Nagy hat mit Rita Süveges und den Bewohner:innen eines Dorfes in Ungarn, neben dem womöglich ein Endlager entsteht, Keramik gebrannt (Abb.). Ihr Grubenbrand sollte schwer vorstellbare Größen wie radioaktive Hitze und die „Tiefenzeit” genannten geologischen Prozesse im Erdinnern anschaulich machen. Alles in allem: „Salz. Ton.Granit” ist informativ, ästhetisch gelungen und ein fundierter Beitrag zu Debatten um die Reaktivierung von Kernkraft in der Klimakrise.
- nGbK Karl-Liebknecht-Str 11-13 (1. Stock via Rolltreppe oder Aufzug), Mitte, Di-So 12-18 Uhr, Fr 12-20 Uhr, bis 9.2.
Rineke Dijkstra in der Berlinischen Galerie
Was für ein Wiedersehen: Rineke Dijkstra, 1998 Stipendiatin des Berliner Künstlerprogramms beim DAAD, zeigt im Museum Berlinische Galerie eine Auswahl ihrer Porträtserien. Prominent platziert hat Kurator Thomas Köhler die Porträts Jugendlicher, die die niederländische Fotografin während ihres Berlin-Aufenthaltes im Tiergarten aufnahm. Weiter hinten in der großzügig gehängten Schau geht es schmerzhafter zu: Dijkstra porträtierte auch junge Mütter direkt nach der Geburt mit dem Neugeborenen und portugiesische Stierkämpfernach dem Verlassen der Arena. Rineke Dijkstra interessiert sich für Menschen in Übergangssituationen. Sie wählt aber auch andere Themen wie in dem Video mit den britischen Schulkindern, die in einem Museum ein Gemälde von Picasso (das nicht zu sehen ist) beschreiben und deuten. Und so ihre Alltagserfahrungen preisgeben. Sehr berührend.
- Berlinische Galerie Alte Jakobstr. 124-128, Kreuzberg, Mi-Mo 10-18, 10/6 €, bis 18 J., Geflüchtete + 1.So/Monat frei, bis 10.2.2025
Tracey Snelling – „How We Live“ im Haus am Lützowplatz
Im Miniatur-Mäusebunker tanzt Mickey Mouse und in der Fassade eines trostlosen amerikanischen Gewerbegebäudes interviewt Borats Tochter Rudy Giuliani – eine Szene aus dem Kultfilm „Borat 2“. Die in Berlin arbeitende Künstlerin Tracey Snelling paart in „How We Live“ popkulturelle Referenzen mit äußerst detailverliebten Puppenstuben. Im Haus am Lützowplatz ist nun die bisher umfangreichste Solo-Schau ihrer Werke zu sehen, mit vielen Berliner Nachbauten – neben dem „Mäusebunker“ werden auch die „Südblöcke“ am Kottbusser Tor oder das Haus Badstraße/Ecke Pankstraße mit dem berühmten Boateng-Graffiti gezeigt – und Gebäuden aus den USA, Italien, China oder Japan. Meist sind es gigantische Wohnblöcke und in vielen der unzähligen kleinen Fenstern läuft ein Video – genauso wie in echt hinter jedem Fenster der Betondörfer ein Menschenleben steckt. Snelling möchte mit ihren dreidimensionalen Wimmelbildern so auf soziale Fragen des Zusammenlebens hinweisen und wirkt der Anonymisierung der riesigen Sozialwohnanlagen entgegen. Ein besonderer Fokus liegt neben Berliner Gebäuden übrigens auf Tokio – dort entführt uns Snelling in einem lebensgroßen Nachbau in ein "Love Hotel".
- Haus am Lützowplatz Lützowpl. 9, Tiergarten, Di-So 11-18 Uhr, kostenlos, bis 9.2.2025
Aktuelle Ausstellungen: Diese Schauen laufen gerade
Hier kommt der große Überblick über alles, was wir derzeit in der Berliner Kunstwelt empfehlen: die Ausstellungen, die noch eine Weile laufen und sich lohnen.
„Young Birds from Strange Mountains – Queere Kunst aus Südostasien und seiner Diaspora“ im Schwulen Museum
Ein ehrgeiziger Ansatz: Im Schwulen Museum sollen Arbeiten von 15 Künstler:innen queeres Leben in Ländern Südostasiens und deren Diasporen vorstellen. Doch auch wenn das Museum dafür nur wenig Platz bietet: Über Strecken klappt es. Viel Dokumentarmaterial erleichtert den Einstieg in die Ausstellung „Young Birds from Strange Mountains“ – der Titel ist einem Gedicht des Lyrikers Ngô Xuân Diệu (1916-1985) entlehnt. Und mit Installationen, Zeichnungen, Filmen sowie Gemälden setzt das dreiköpfige Kurator:innenteam einen Schwerpunkt auf Arbeiten, die Emanzipationsbewegungen genauso thematisieren wie die Einbettung von Queerness in Religionen und Traditionen. Das Spektrum reicht von Suriya Sam Khuths zarten Mixed-Media-Bildern (Abb.) über Tamarras Selbstporträts in Trachten und Bewegungen, die verschiedene religiöse Praktiken lebendig halte. Und von heutigen Stoffinstallationen bis zurück zu den filmisch festgehaltenen Erinnerungen eines Mitglieds des Ensembles Wax Follies. Das parodierte im malaysischen Penang westliche Stars wie Cher und Marylin Monroe. Mit der Ausstellung ist ein sympathischer Anfang gemacht.
- Schwules Museum Lützowstr. 73, Tiergarten, Mo, Mi, Fr 12–18, Do 12–20 Uhr, Sa 14–19, So 14–18 Uhr, 10/ 5 €, www.schwulesmuseum.de, bis 4.8.
„ANIMA: Alisi Telengut“ bei rosalux
Alisi Telengut pendelt zwischen Kanada und Deutschland. In Montreal unterrichtet sie an der Concordia-Universität Filmanimation, an der Potsdamer Filmhochschule promoviert sie über Animismus und Animationen. Und in Berlin stellt sie jetzt aus: In „Becoming Air“, ihrem rund sechsminütigen, neuen Animationsfilm, den sie gemeinsam mit Diego Galafassi drehte, lässt sie erstmals reale Menschen auftreten. Es geht, kurz gesagt, darum, wie sich Menschen über ihren Atem mit Pflanzen, Tieren, Umwelt verbinden – dank der Moleküle, die von Stoffen in ihrer Umgebung freigesetzt werden und die auch nach dem Tod eines Lebewesens weiterwandern. Nach wir vor aber bleiben Telenguts Filmbilder, durch die sich keine Menschen, sondern allein Blüten, Gräser, Torf, Steine, Mineralien und Farbpigmente bewegen, die stärksten Momente.
- Rosalux Wriezener Str. 12, Wedding, Sa 14-18 Uhr, sowie während des Kolonie-Wedding-Wochenendes Fr, 31.1., 19-21 Uhr, Sa, 1.2., 14-18 Uhr, Finissage: 21.2. 15-18 Uhr, www.rosalux.com, bis 21.2.
„24-2=2022“ in der St. Matthäus Kirche
Zwei Künstlerinnen, ein Krieg: Anlässlich des dritten Jahrestages des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bespielen Alvetina Kakhidze und Renata Rara Kaminska mit der Ausstellung „24-2=2022“ die St. Matthäus Kirche am Kulturforum. Dem gemeinsam gewählten Thema „Grenzen“ widmen sie sich dabei sehr eigenwillig. Ein großer, trockener Bärenklau hängt an der Wand der Chorapsis hinter dem Altar. Was hübsch aussieht, hat eine hässliche Geschichte: der Riesenbärenklau wurde zu Zeiten der Sowjetunion auf ukrainisches Gebiet eingeschleppt und macht als invasive Pflanze bis heute Schaden an der Ökologie anrichtet. Die ukrainische Künstlerin Alvetina Kakhidze hat die Pflanzenskulptur an die Wand gehängt, ebenso wie große Papierbögen, auf denen skizzenhaft gezeichnete Menschen mit fehlenden Körpergliedern davon träumen, sich wie Pflanzen wieder regenerieren zu können oder von ihren neuen High-Tech-Prothesen aus der Lwiwer Rehabilitationsklinik „Superhumans Center“ erzählen. Bei der polnischen Künstlerin Renata Rara Kaminska blickt auf gewalttätige Grenzüberschreitungen aus imperialistischer Perspektive. Auch hier schlängelt sich ein zunächst schön anzusehendes Mahagoni-Furnierband durch den Kirchenraum. Für das Edelholz fielen Tropenwälder dem Raubbau zum Opfer, mittlerweile sind viele Mahagoni-Arten vom Aussterben bedroht. Eine subtile Schau über Gewalt, die keine Grenzen kennt.
- S.Matthäus Kirche Matthäikirchplatz, Schöneberg, Di–So 11–18 Uhr, bis 24.2.
„Like A Prayer“ bei Ebensperger
Ein silbernes Engelchen mit zwei Pistolen in den Händen, an den Wänden hängen Modelle von Kathedralenbauteilen aus Pappkarton und laut tönt Mozarts Requiem „Lacrimosa“. Alright! Als würde das Entree nicht schon Eindruck machen, wird es beim Weitergehen in den Rotundengang, in dem man auch einen Gruselfilm drehen könne, noch intensiver: Ein Raum reiht sich an den anderen, in jedem ein Kunstwerk, von Skulpturen über Videoarbeiten bis Soundinstallatronen. Konzentriert und eindringlich. „Like a Prayer“ in den Räumen der Galerie Ebensperger geht es um Gott und die Welt: acht Künstler:innen verschiedener Generationen setzen sich mit der Präsenz christlicher Symbole und Machtstrukturen in Popkultur und Kunst auseinander. Sie nehmen sich Körperkult und Gewalt, Päpste und Madonnen vor – neugierig, humorvoll und mit vollem Ernst.
- Fichtebunker Fichtebunker Fichtestr. 6, Di–Sa 12–18 Uhr, bis 29.3.
„Böse Blumen“ im Museum Sammlung Scharf-Gerstenberg
Eigentlich ein tolles Thema. Vor rund 170 Jahren veröffentlichte Charles Baudelaire seinen Lyrikband „Le Fleurs du Mal“ („Die Blumen des Bösen“), löste einen Skandal aus, und seitdem arbeiten sich Künstler daran ab. Baudelaire beschwört Lachen, Rausch und Eros, Krankheit, Verfall und Tod, und er adelt alte, arme Frauen im aufstrebenden bürgerlichen Paris. Gefundenes Futter für Künstler und Künstlerinnen des Symbolismus, DADA und Surrealismus, wie die rund 120 Ausstellungsstücke zeigen, die Direktorin Kyllikki Zacharias und ihr Team zusammengetragen haben. Deutlich wird in den Drucken, Zeichnungen und Gemälden des 19. Jahrhunderts auch, dass diese Baudelaire-Rezeption keinesfalls von einer Emanzipation des dritten und vierten Standes kündete. Das kam später.
Doch obwohl die Surrealist:innen angesichts des europäischen Faschismus sehr politisch wurden, fehlt Politik in der Schau. Stattdessen verfolgt sie die Spur der bösen Blumen bis in die Gegenwart. Und franst auf dem Weg dahin aus. Wunderbare Plastiken wie Oliver Baks „Poppyhead“ (2024), ein Totenschädel mit getrockneten Mohnkapseln, müssen mit Glanzbildchen für Poesiealben konkurrieren und sogar - völlig pietätlos - mit Dokumentarfotos von den Attentaten am 11. September 2001. Das stört auch formal: Es sind zu viele Objekte geworden, als dass sich alle in dem engen Rundgang ohne Spiegelung und Schattenwurf betrachten ließen.
- Sammlung Scharf-Gerstenberg Schloßstr. 70, Charlottenburg, Mi–So 11–18 Uhr, 12/ 6 €, bis 18 J. + TLE frei, www.smb.museum, bis 4.5.
„Access Kafka” im Jüdischen Museum
Am Ende des Gedenkjahres zum 100. Todestag von Franz Kafka 2024 hat das Jüdische Museum groß aufgeschlagen: mit „Access Kafka”, „Zugang zu Kafka“. Und tatsächlich schließt die große Sonderschau das Werk des Schriftstellers auf, das nicht leicht zu lesen ist. Denn die “kafkaesken” Inhalte sind ja manchmal schwer auszuhalten: aussichtlose Kämpfe eines Einzelnen gegen die Willkür von Ämtern, Gefängniswärtern und Folterern. Mit Kunst etwa von Hito Steyerl, Maria Lassnig (Abb.) und Trevor Paglen, mit Textausschnitten, mit Tafeln zu historischen Zusammenhängen sowie Manuskripten und Zeichnungen aus Kafkas Hand macht die große Schau Werk und Wirken des Autors anschaulich, in thematischen Kapiteln etwa zu „Körper“ und „Gesetz“. Zu den künstlerischen Höhepunkten zählen Fatoş İrwens filigrane Papierarbeiten, die die kurdische Künstlerin zwischen 2019 und 2022 in politischer Haft schuf, und Yael Bartanas „Mir Zaynen Do!“. In dem neuen Video der Künstlerin treffen in den Ruinen eines Theaters von Sao Paolo ein jüdisch-brasilianischer Chor und ein afro-brasilianisches Musikensemble aufeinander – sound- und bildgewaltig, wie bei Bartana üblich.
- Jüdisches Museum Lindenstr. 9-14, Kreuzberg, Mo-So 10-18 Uhr, 10/4 €, bis 18 J. frei, bis 4.5.
„Transformation Papier“ im Haus des Papiers
Was Papierkunst alles sein kann, zeigt das Haus des Papiers mit beeindruckenden Ausstellungen. neben einer dauerhaften Präsentation von Werken, werden immer wieder neue Sonderschauen gezeigt. Aktuell werden in „Transformation Papier“ die Ergebnisse der „Paper Residency !“-Teilnehmer:innen von 2024 gezeigt. Karolin Schwab, Katja Strunz, Joāo Freitas und Conrad überzeugen mit ihrem experimentellen, überraschenden und schönen Umgang mit dem scheinbar so banalen Werkstoff. Dazu gibt es weitere Werke von Papierkunstschaffenden der Sammlung wie Jorinde Voigt Leiko Ikemura, Leonie und Sheila Furlan.
- Haus des Papiers Seydelstr. 30, Kreuzberg, Fr–So 10-17 Uhr, Sonderöffnungszeiten: 27. - 29.12.2024 11-15 Uhr, 8,50| 6 €, bis 8.6.
„Semiha Berksoy: Singing in Full Colour” im Hamburger Bahnhof
Semiha Berksoy machte sich die Welt, wie sie ihr gefiel: Die 1920 in der Türkei geborene Opernsängerin wurde mit weltweiten Gastrauftritten als flamboyante Diva berühmt. In den 30er-Jahren kam sie für ein Studium an die Berliner an der Hochschule für Musik und blieb der Stadt auch nach ihrer Rückkehr an den Bosporus verbunden. In der Mitte ihres Lebens widmete sie sich der Malerei: expressiv farbenfroh und extrem persönlich. Von diesem reichhaltigen Leben der umtriebigen Künstlerin erzählt die Retrospektive „Singing in Full Colour- Singen in voller Farbe" mit Gemälden, Filmausschnitten und Archivmaterial. Die Schau vereint Berksoys musikalisches und malerisches Schaffen in einem ansprechenden Ausstellungsdesign aus Teppichboden und orangefarbenen Stellwänden. Obwohl Berksoys Malerei in ihrer rohen, teils kindlichen Art zwiespältig wirkt, inspiriert das Lebenswerk dieser ausdrucksstarken Künstlerin durch Leidenschaft und Freude an der Kunst.
- Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart Invalidenstr. 50/51, Mitte, Di, Mi, Fr 10–10, Do bis 20 Uhr, Sa+So 11–18 Uhr, 1.1.2025 12–18 Uhr, geschlossen 24.12.+31.12. 2024, 16/ 8 €, bis 18 J. + TLE frei, smb.museum, bis 11.5.
„Geschichte(n) Tansanias“ im Humboldt Forum
Sie ist fertig: die lang angekündigte Ausstellung, die Teams des deutschen Humboldt Forums und des Nationalmuseums Tansania, die Kurator:innen aus Dar es Salaam, Songea und Berlin gemeinsam erarbeitet haben. In zwei Räumen des Humboldt Forums berichtet sie exemplarisch von geraubten Kulturgütern, die während der Kolonialzeit aus dem damaligen Deutsch-Ostafrika in hiesige Museen verbracht wurden, Waffen und Schmuck etwa, eine Pfeife, ein „Medizinbeutel“. In Texten und Kurzfilmen kommentieren Expert:innen, Vertreter:innen von Communities und Nachfahren der Beraubten Verwendung und Geschichte der Objekte sowie den Rückgabeprozess – teils wissenschaftlich nüchtern, teils milde diplomatisch, teils wütend. Animierte Grafiken zu Handel und Geopolitik, Lese- und Fotostationen, zeitgenössische Kunst sowie ein Ausstellungdesign aus Holz und Bambus halten die aufschlussreichen Statements zusammen. Doch erst die tatsächliche Rückgabe der Objekte und eine Fortsetzung der Zusammenarbeit entscheiden über die Qualität dieser Ausstellung.
- Humboldt Forum Schloßplatz 1, Mitte, Mi–Mo 10–30–18.30 Uhr, Eintritt frei, www.humboldtforum.org, bis 24.11.
Rinko Kawauchi: „a faraway shining star, twinkling in hand“ im Fotografiska
Wer im Berliner Winter unter Lichtmangel leidet (also jede:r), sollte in der Ausstellung von Rinko Kawauchi ein ästhetisches Kurz-Retreat machen. Ihre Fotografien in der Ausstellung „a faraway shining star, twinkling in hand“ holen den Zauber des Alltäglichen, die Magie des Gewöhnlichen in unsere zuweilen chaotische und trist scheinende Gegenwart. Die Fotografien und Videokunstwerke der japanischer Künstlerin verbinden in poetischer Bildsprache Alltagsszenen mit Naturphänomenen und untersuchen Themen wie (die eigene)Vergänglichkeit und unseren Umgang mit dem Planeten, der zwischen Verbundenheit und Zerstörung oszilliert.
- Fotografiska Oranienburger Str. 54, Mitte, Mo–So 10–23 Uhr, Mo–Mi 14, Do + Fr 15/ Sa+So 16, erm. 8 €, bis 20.4.25
„Passing Data – Upcycling the Digital“ auf den Internetseiten der Prater Galerie
Die Eröffnung fand analog im Silent Green statt, mit Projektionen und Performances, doch für ihre Dauer ist die Ausstellung im Internet zu erleben. „Passing Data – Upcycling the Digital“ handelt von den Unmengen Datenmüll, die wir täglich produzieren (und die, so ließe sich ergänzen, Server blockieren, Strom fressen und zur Erderwärmung beitragen). Veneta Androva, Raphaël Bastide, Bruno Gola, Kathrin Hunze, Yehwan Song (Abb.) und Shinji Toya versuchen allerdings weniger, die Erzeugung des Mülls zu drosseln, als ihn zu recyceln und zu veredeln. Verglichen mit anderen digitalen Ausstellungen wirkt „Passing Data“, von Tobias Wenig and Karolina Pietrzyk gestaltet, ansprechend wenig gamifiziert. So thematisiert Kathrin Hunzes „Art Swap“ mit Veneta Androva Verbindungen zwischen digitalem und anlogem Raum in zurückhaltend pastellfarbener Maschinenästhetik und nutzt für das Voiceover eine filmreife Männerstimme. Das Team der kommunalen Prater Galerie des Bezirk Pankow betreut die Seiten vier Tage in der Woche – und hofft derweil, dass in real life der Berliner Prater an der Kastanienallee mit den analogen Ausstellungsräumen eines Tages fertig saniert ist.
- Prater Galerie digital Website, Betreuung der Seite Mo–Do 10–18 Uhr, bis 28.2.
„An den Rändern taumelt das Glück. Die späte DDR in der Fotografie“ in der Station urbaner Kulturen / NGBK Hellersdorf
Fünf Fußminuten hinter dem U-Bahnhof Cottbusser Platz beginnt eine Zeitreise: Die Station urbaner Kulturen der NGBK zeigt den zweiten Teil einer Ausstellung mit Fotografie unter anderem von Matthias Leupold, Wolfgang Gregor und Ute Mahler aus den letzten Jahren der DDR. Die Schau kommt aus der Galerie des ACC Kunstvereins in Weimar und wurde hervorragend in die Hellersdorfer Station der Kunstvereins NGBK eingepasst. In den zwei Räumen hängen, stehen, liegen und laufen Aufnahmen meist als analoger Abzug, teils als projizierte Dias, vor allem in Schwarz-weiß, manchmal farbig, mal konventionell an der Wand gereiht, mal unkonventionell über Eck geordnet. Sie zeigen Momente der Arbeit in Fabriken und auf Äckern, speziell Pausen und kollegiale Begegnungen. Kontrapunkte setzen Porträts rebellischer Punks, Stadtansichten und eine zeitgenössische Installation von Anke Heelemann und ihrer „Fotothek für vergessene Privatfotografien“. Letztere thematisiert die Möglichkeit, dass sich das Vergangene nur unscharf sehen lässt, egal, wie scharf die Fotos sind.
- Station urbaner Kulturen/ NGBK Hellersdorf Auerbacher Ring 41, Hellersdorf (U5 Cottbusser Platz), Do + Sa 14–19 Uhr, www.ngbk.de, bis 15.2.
Nan Goldin: „This Will Not End Well“ in der Neuen Nationalgalerie
Von den Rändern der Gesellschaft mitten hinein in ihre Kulturtempel: Nan Goldin (71) wird gefeiert als Fotografin, als Künstlerin, als streitbare Aktivistin. Dabei hat die US-Amerikanerin für ihre Kunst da hingeschaut, wo der Großteil der Gesellschaft, und noch mehr das Establishment, lange nur schiefe oder gar angewiderte Blicke übrig hatte. Queere Menschen, Transvestiten, Drag-Queens, Drogen-Party-People. Und Goldin hat da nicht nur hingeschaut, sondern sie hat da gelebt und alles, ja, wirklich alles, mit ihrer Kamera festgehalten. Ihr Lebenswerk tourt mit einer spektakulären Ausstellung durch Europa und macht Halt in Berlin in der Neuen Nationalgalerie. Endlich hat man die Möglichkeiten, ihre verschiedenen Werkreihen so zu erleben, wie Goldin das selber konzipiert und gezeigt hatte: als Diashows, unterlegt mit einem eklektischen Soundtrack. Alles sehr nah, alles sehr subjektiv, alles sehr emotional – und darin liegt auch die Kraft ihrer Arbeit.
- Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50, Tiergarten, Di–So 10–18 Uhr, 12/ 6 €, bis 6.4.
„Wertewirtschaft“ von Andrea Pichl im Hamburger Bahnhof
Kosten und Wertschöpfung der deutschen Vereinigung sind das Thema der Solo-Ausstellung, die die Berliner Künstlerin Andrea Pichl im Hamburger Bahnhof zeigt. Die Schau ist etwas Besonderes, nicht nur, weil Pichl die erste in der DDR geborene Künstlerin ist, die in diesem Haus der Nationalgalerie eine Einzelpräsentarion hat. Sondern auch, weil sie mit ihrer Kritik an Architektur und Gestaltung in der DDR die Funktionsweise einer Diktatur offenlegt. Das macht sie unter anderem, indem sie die nebenan ausliegenden Arbeiten von Joseph Beuys und deren didaktisch-individuelle Selbstgewissheit konterkariert: mit genormten Ornamenten und Bauformen aus der sozialistischen Produktion. Das weckt Aufmerksamkeit für all jene Details aus Wirtschaft und Gesellschaft, die Pichl recherchiert, gezeichnet und fotografiert hat. Und hier in beklemmenden Pavillons präsentiert.
- Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart Invalidenstr. 50/51, Mitte, Di, Mi, Fr 10–10, Do bis 20 Uhr, Sa+So 11–18 Uhr, bis 18 J., TLE + 1.So im Monat frei, smb.museum, bis 4.5.
„Die Mauer: vorher, nachher, Ost und West“ bei der Stiftung Brandenburger Tor
Volksbank K1533, © Nachlass Ellen Fuhr, Foto: Peter Adamik
Darstellungen der deutsch-deutschen Grenze aus der Sammlung der Berliner Volksbank, Gemälde, Zeichnungen und Drucke von Annemirl Bauer, Rainer Fetting, Ellen Fuhr (Abb.) und vielen anderen. Die Arbeiten aus Ost und West unterschieden sich in Vielem, vor allem aber in einem: Im Osten war die Darstellung der tödlichen Grenze verboten. Mutige Künstler:innen taten es dennoch. Daher zeigt die Ausstellung Arbeiten, die vor 1989 entstanden, getrennt nach Ost und West. Doch auch im Nebeneinander der Arbeiten nach Mauerfall lassen sich Differenzen erkennen. Mit der Freiheit kam im Osten auch Unsicherheit, wie Wolfgang Mattheuers bereits 1988 entstandenes Tuschbild „Ausbruch“ vorwegnimmt. Da drängt eine Menge zu einer Öffnung, ohne sich hindurch zu wagen. In der ersten Reihe ist ein Mann gestürzt, dem niemand aufhilft. Informationen zur Mauer und Aufnahmen des Fotografen Michael Wesely von der Grenze in einem Seitenkabinett runden diese vorzügliche Schau ab.
- Max Liebermann Haus Stiftung Brandenburger Tor Pariser Platz 7, Mitte, Do–So 11–18 Uhr, 6/4 €, bis 18 Jahre frei, stiftungbrandenburgertor.de, 8.11.24–2.3.25
"Franek – The Spirits of Vanishing Animals. Die Rote Liste“ im Gutshaus Steglitz
Nashorn und Wiedehopf, Grauspecht und Gorilla, Kolkrabe und Faultier: Sabine Franek-Koch, kurz FRANEK, ehrt bedrohte und bereits ausgerottete Tierarten – in Gemälden, Zeichnungen, Künstlerbüchern und Radierungen. Drei Säle und ein Kabinett des Gutshauses Steglitz füllen sie, kombiniert mit früheren kleinen Skulpturen von Fabelwesen, die entfernt an Arbeiten Valérie Favres und Leiko Ikemuras denken lassen. FRANEK, 1939 in Potsdam geboren und (West-)Berlinerin, hat sich lange Motiven und Ideen aus indigenen Kulturen gewidmet. Hier ist sie ganz figürlich geworden. Ihre Enzyklopädie der aussterbenden Arten bezeugt einen langen Abschied von der Welt, wie wir sie kannten.
- Gutshaus Steglitz Schloßstr. 48, Steglitz, Mo–So 10–18 Uhr, Website, bis 2.3.25
„Was ist Aufklärung?“ im Deutschen Historischen Museum
Menschenrechte und Sklavenhandel, Rationalität und üppiger Barock: Die Großausstellung „Was ist Aufklärung?“ veranschaulicht auf zwei Etagen des Deutschen Historischen Museums Widersprüche einer Epoche. Bücher, Dokumente, Modelle, Spiele, Filme und immer wieder Kunst kommen zum Einsatz. Hier kontrastieren Gemälde halb vergessener Künstlerinnen mit einem Ölbild, auf dem ein Mann seiner Frau den Zugang zu Texten verwehrt, hier entlarvt eine Seekarte mit den Routen von Sklavenschiffen die blinden Flecken der amerikanischen Verfassung. Der Parcours wirkt so abwechslungsreich, dass trotz der Fülle niemand ermüden muss. Auch Kinder kommen gut hindurch: mit Hilfe eines Rätselheftes, das unter anderem ausgestellte Gemälde unter die Lupe nimmt. Mehr über die DHM-Ausstellung „Was ist Aufklärung?“ lest ihr hier.
- Deutsches Historisches Museum Hinter dem Gießhaus, Mitte, tgl. 10–18 Uhr, 7/3,50 €, bis 18 J. frei, dhm.de, 18.10.2024–6.4.2025
„FOTOGAGA. Max Ernst und die Fotografie“ im Museum für Fotografie
Augen, zunächst und überall Augen. Betritt man den Ausstellungsraum zu „FOTOGAGA. Max Ernst und die Fotografie“ im Museum für Fotografie, erblickt man viele Zeichnungen von Augen. Max Ernst, seines Zeichens einer der wichtigsten Künstler des Surrealismus und der Moderne überhaupt, war fasziniert vom Auge, natürlich. Denn über das Auge nehmen wir die Umgebung nicht nur war, das Auge konstruiert sie regelrecht für uns und dann kann man dieses Sinnesorgan auch noch schön austricksen. Und wirklich spannend wird es sowieso jenseits des Sichtbaren. Mit der Kamera kam quasi ein weiteres, technisches Auge dazu. Auch wenn Max Ernst selber nicht als Fotograf tätig war, posierte er doch gerne mal alleine oder mit Künstlerkollge:innen. Diese Dokumente der Kunstgeschichte im Backstage der Kunst machen diese Ausstellung unterhaltsam und nahbar. Ernsts Arbeit wurde stark durch die technischen und künstlerischen Entwicklungen der Fotografie beeinflusst, die ihm als Inspirationsquelle und Arbeitsmaterial für seine Collagen diente. Mit fotografischen Reproduktionstechniken wie Vergrößerungen und Fotopostkarten gelang es ihm, die Bildwirkung seiner Werke zu steigern und ihre Verbreitung zu fördern. Neben seinen Werken befinden sich unter den rund 270 Exponaten auch Arbeiten seiner surrealistischen Zeitgenoss:innen.
- Museum für Fotografie Jebensstr. 2, Tiergarten, Di–So 11–19/ Do bis 21 Uhr, 12/ 6 €, bis 27.4.
„Parrot Terristories: Hörner/ Antlfinger“ im Tieranatomischen Theater
Es hat sich im Kunstbetrieb herumgesprochen: Der Mensch ist – trotz seiner kulturellen Leistungen –keinesfalls Krönung der Schöpfung. Eher ihr Vernichter. Auch „Parrot Terristories“ greift diesen Topos auf. Im Tieranatomischen Theater auf dem Campus der Humboldt-Universität stellen Ute Hörner und Mathias Antlfinger Papierarbeiten, Klangaufnahmen, Installationen und Videos aus, die ihre beiden Graupapageien Karl (Foto) und Clara entweder angeregt oder sogar ausgeführt haben. Unterhaltsam ist das und ästhetisch anspruchsvoll. Ebenso erregt es Besorgnis. Denn Graupapageien waren nicht nur koloniales Handelsgut, heute stehen sie auf der Roten Liste vom Aussterben bedrohter Arten. Fang und Export sowie die Vernichtung von Wäldern gefährden ihr Überleben in freier Wildbahn. Wieder etwas gelernt.
- TA T – Tieranatomisches Theater Philippstr. 13/ Haus 3, Mitte, Di–Sa 14–18 Uhr, Eintritt frei, tieranatomisches-theater.de, bis 29.3.25
„Über Grenzen: Künstlerischer Internationalismus in der DDR“ im Humboldt Forum
Im dritten Stock des Humboldt Forums unterstreicht die kleine Sonderausstellung „Über Grenzen“, dass die Deutsche Demokratische Republik weniger deutsch war, als ihr Name und der Geschichtskanon vermuten lassen. Arbeiten der Künstler:innen Maithu Bùi, Seiichi Furuya, Mio Okido, Minh Duc Pham und Su-Ran Sichling (Abb.) sowie Dokumentarmaterial thematisieren Leben und Arbeit von Migrant:innen in der DDR sowie internationale Perspektiven auf das kleine Land. Etwas seelenlos abgestellt und aufgehängt, entfalten die Beiträge dennoch Wirkung: Fotografien, Plastiken und Videos beleuchten kollektiv ausgeführtes Design im Sozialismus und individuelle Perspektiven auf die Arbeit dahinter. So bildet „Über Grenzen“ eine schlüssige Fußnote zu den großen Ausstellungen über die Migrationsgeschichte der DDR, die seit 2022 in Dresden, Leipzig und Berlin stattgefunden haben.
- Humboldt Forum Schloßplatz 1, Mitte, 3. OG, Mi–Mo 10-30–18.30 Uhr, Eintritt frei, Website, bis 16.2.25
“Every Single Thing That Exists in This Infinite Universe Is Either…” in der Galerie im Körnerpark
„Zurück zur Natur”, soll es schon Ende des 19. Jahrhunderts geheißen haben. Doch ein Zurück gibt es nicht. Wenn Rußpartikel noch in den hintersten Winkel der Arktis fallen, ist alle Natur Kultur. Vor diesem Hintergrund positioniert sich die umständlich betitelte Ausstellung „Every Single Thing That Exist in This Infinite Universe is Either…“. Sieben Künstler:innen suchen – teils ins Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen – nach Wegen, sich mit Sphären und nichtmenschlichen Lebewesen zu verbinden. Viren, Bakterien und ganze Ökosysteme zählen zu ihren Wunschpartner:innen. Wie wir mit ihnen womöglich kooperieren können, ist das Thema der Arbeiten: etwa von ALEKsandra Sarnas kinetischer Installation zu Biosynthese oder Pei-Ying Lins humorvollen Brettspiel. Anregend und abwechslungsreich.
- Galerie im Körnerpark Schierker Str. 8, Neukölln, Mo-So 10-20 Uhr, galerie-im-koernerpark.de, bis 26.2.
Marco Brambilla
Was ist denn hier los? Irgendwie alles. Marco Brambilla verwurstet in seinen Collagen Gegenwart und Vergangenheit, Popkultur und Politik zu einem visuellen Overload. Ein Drunter und Drüber eines Zeitgeistes, in dem eh keiner mehr durchblickt. In seiner Ausstellung bei Fotografiska zeigt der Regisseur und Künstler mit den Videokollagen „Heaven's Gate“ (2022) und „Civilization“ (2008) eine opulente Kritik an der Unterhaltungsindustrie. Mit psychedelischen Bildwelten, die von Hollywoods goldenen Zeiten inspiriert sind, nimmt er Betrachter:innen mit auf eine Reise durch Himmel und Hölle und fordert dabei auf, die unhaltbaren Versprechen und den Exzess der Medienkultur neu zu hinterfragen.
- Fotografiska Berlin Oranienburger Str. 54, Mitte, Mo–So 10–23 Uhr, Mo–Mi 14, Do + Fr 15/ Sa+So 16, erm. 8 €, bis 2.3.25
Preisträgerin GASAG 2024: "Mariechen Danz. edge out“ in der Berlinischen Galerie
Fußspuren zieren die großen, weißen Wände der Eingangshalle der Berlinischen Galerie und führen zu handgefertigten Lehmziegeln, daneben hängen an Sternkarten erinnernde Schablonen, gläserne Organe und ein gigantisches Messinstrument – In der Grundzusammenstellung schon beeindruckend, bemerkenswert wird es aber vor allem durch die Nutzung des Lichtes und die daraus entstehenden Schatten in der hohen Halle. Die in Dublin geborene und in Berlin arbeitende Künstlerin Mariechen Danz ist diesjährige Preisträgerin des Kunstpreises GASAG, der künstlerische Positionen an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik auszeichnet. Zum Gewinn des Preises gehört eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie. „edge out“ erzählt mit futuristischen Fossilien von den (zukünftigen) Spuren des Menschen, von Danz geschaffen mit einer einzigartigen Mischung aus Anatomie und Kartographie.
- Berlinische Galerie Alte Jakobstr. 124-128, Kreuzberg, Mi-Mo 10-18 Uhr, 10/6€, bis 31.3.2025
Alfredo Jaar und Nina E. Schönfeld im Kindl
Der Ausstellungstitel verheißt nichts Gutes: „The End of the World“, das Ende der Welt, will man eigentlich nicht sehen, neugierig macht es aber schon, wie sich Künstler Alfredo so ausmalt. Und das überrascht. Warum? Wollen wir an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel:E geht um die wichtigsten kritischen Rohstoffe wie Lithium und Kobalt, ohne die unsere digitalisierte und umwelttechnologisierte Zukunt nicht aufgeht, was wiederum verheerende Auswirkung jetzt schon hat. Düstere Zukunftsaussichten präsentiert uns auch Nina E. Schönfeld in der Videoinstallation„RIDE OR DIE“: Im Jahr 2039 regiert ein totalitärer und undemokratischer Staat die Gesellschaft mit dem Schlagstock. Die Protagonist:innen sind ein Journalist:innen-Ehepaar und sind entschlossen, kompromisslos für einen freien Staat zu kämpfen.
- Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst Am Sudhaus 3, Neukölln, Mi 12–20/ Do–So 12–18 Uhr, 7/4 €, bis 1.6.25
Rohini Devasher :„Borrowed Light “ im Palais Populaire
Es gibt Menschen, die nehmen jeden Tag ein Foto von der Sonne auf und das seit 1904. Mitarbeiter:innen des Kodaikanal Solar Observatory in Südindien kennen ihre im wahrsten Sonne- als auch Schattenseiten und erzählen ihre Eindrücke, Empfindungen und Gedanken in der bezaubernden Vierkanal-Filminstallation „One Hundred Thousand Suns“ der Künstlerin Rohini Devasher. Die Stiftung Deutsche Bank ehrt ihre „Artist of the Year 2024“ mit einer Einzelausstellung. Devasher stammt aus Neu-Dehli und ist als Amateurastronomin war zu künstlerisch-forschenden Aufenthalten am Max-Planck-Institut und dem CERN. Im Zentrum der Schau steht ihre langjährige Auseinandersetzung mit Astronomie, bei der Licht und das Verhältnis zwischen Ort, Beobachter:in und Beobachtung zentrale Rollen spielen.
- Palais Populaire Unter den Linden 5, Mitte, Mi–Mo 11–18/ Do bis 21 Uhr, 5/3 €, bis 10.3.25
„After Image“ bei Julia Stoschek Foundation
Zur Eröffnung zur Berlin art Week konnte es die Warteschlange locker mit den belibtesten Clubs oder Bäckereien der Stadt aufnehmen: Wenn die Julia Stoschek Foundation ihre neue Jahresausstellung zeigt, kommen viele, sehr viele. Zu Recht, denn JFS hat nicht nur eine eindrucksvolle Videokunstsammlung, auch ist diese Kunst der sogenannten zeitbasierten Medien zugänglicher als andere Formen der Bildenen Kunst. Nun will die Ausstellung „After IMAGES“ mit über 30 Werken, darunter sechs neuen Auftragsarbeiten, selbst das bewegte Bild allein hinter sich lassen. Statt sich nur aufs Sehen zu konzentrieren, lädt die Schau zu einem multisensorischen Erlebnis ein, mit kinetischen Skulpturen, Klang- und Lichtinstallationen sowie Duftkunst. Dass Installationen, Sound- und Lichkunst sich länger einer größeren Beliebtheit erfreuen ist nichts neues, überrascht jedoch in diesen sonst sehr mit Videkunst verbundenen Räumen.
- Julia Stoschek Foundation Leipziger Str. 60, Mitte, Sa+So 12–18 Uhr, 5 €, jeden 1. Donnerstag im Monat von 18–22 Uhr Eintritt frei, bis 27.4.25
„Metakosmia“ von Nina Fischer & Maroan el Sani in der Schwartzschen Villa
Vom Überleben in der Klimakrise handelt die neue Arbeit von Nina Fischer und Maroan el Sani. Das Berliner Künstlerduo hatte während seines Stipendienaufenthalts an der Villa Aurora in Kalifornien Gelegenheit, in der Biosphere 2 zu drehen. In dem legendären, riesigen Gewächshaus (Filmstill), gelegen in der Wüste von Arizona, wurde im 20. Jahrhundert menschliches Überleben auf dem Mars simuliert – ein Versuch, der mehrmals Thema in der US-amerikanischen Literatur war, auch, weil er scheiterte. Heute forschen hier Geowissenschaftler:innen zum Überleben von Pflanzen im Klimawandel. Fischer und el Sani drehten einen fiktionalen Film über eine junge Frau, die allein in der Biosphere 2 überleben muss. Eindrücklich setzten sie Treibhaus und Protagonisten in einer 2-Kanal-Installation in Szene. Eine dokumentarische Arbeit dagegen, eine Sonification, lässt die heutigen Experimente hören: Sie verwandelt wissenschaftliche Grafiken zur Entwicklung der Gase in dem Treibhaus in verstörenden Klang. Größenwahn und Verzweiflung westlicher Zivilisation sind hier auf den Punkt gebracht.
- Schwartzsche Villa Grunewaldstr. 55, Steglitz, Mo–So 10–18 Uhr, kultur-steglitz-zehlendorf.de, bis 2.3.2025
„Punk in der Kirche“ bei der Stiftung Stadtmuseum im Humboldt Forum
„Was soll ich mit einer Weltanschauung, wenn ich mir die Welt nicht anschauen darf“: Bittere Sprüche konnten Punks gut, auch in der DDR, deren Bürger:innen keine Reisefreiheit genossen. Die Unzufriedenheit mit Staat und Regierung förderte ungewöhnliche Allianzen. Vor allem in Ost-Berlin und Leipzig gaben Kirchengemeinden Oppositionsgruppen ein Dach, darunter auch Punk-Bands, die in Gotteshäusern auftraten. Davon erzählt „Punk in der Kirche“, eine neue Wechselschau der Stiftung Stadtmuseum, mit historischen Fotos, Grafiken, Zitaten sowie Objekten wie Kassetten und Kleidung. „Punk in der Kirche“ ist Teil der interaktiven Dauerausstellung „Berlin Global“, die das Stadtmuseum im Humboldt Forum zeigt. Zu den Wechselschauen, die von Gastkurato:rinnen gestaltet werden, gehört seit Juni auch weitere Fläche zur Präsenz polnischer Freiheitskämpfe in Berlin und zur Solidarnosc-Bewegung.
- Stiftung Stadtmuseum im Humboldt Forum Schloßplatz, Mitte, Mi-Mo 10-30-18.30, regulär: 7/0 €, stadtmuseum.de, bis 2026
"Hin und weg – Der Palast der Republik ist Gegenwart" im Humboldt Forum
An keinen Berliner Gebäuden spiegelt sich deutsche Ideologiegeschichte so deutlich wie am Palast der Republik, seinem Vorgänger und seinem Nachfolger, Hohenzollern-Schloss und rekonstruiertes Hohenzollern-Schloss mit dem Humboldt Forum darin. Dessen Team arbeitet nun diese Geschichte in der Ausstellung „Hin und weg“ auf. Sie zeigt Architekturzeichnungen, Modelle, Kunst und Design aus dem Palast, Fotos und Plakate von Veranstaltungen und politischen Versammlungen sowie Audio- und Videointerviews mit Zeitzeug:innen. Die Kurator:innen haben sich um Distanz bemüht, lassen jeweils Pro und Contra zu Wort kommen. Doch eine gründliche Dokumentation der umstrittenen Spenden aus rechten Kreisen für die Fassadenteile des rekonstruierten Schlosses fehlt. „Hin und weg“ ist nicht schön, weil kleinteilig und sperrig, aber informativ und vor allem eines: bedrückend. Das Publikum hat zahlreiche Gelegenheiten, Erinnerungen und Meinungen zum Palast niederzuschreiben. Viele sind der Ansicht, dass Abriss (Foto) keine Lösung war, sondern eine kritische Aufarbeitung am bestehenden Gebäude gutgetan hätte. Aber zu spät.
- Humboldt Forum Schloßplatz 1, Mitte, Mi–Mo 10.30–18.30 Uhr, 12/ 6 €, bis 18 J. frei, online, bis 16.2.
„Profitopolis“ im Werkbundarchiv – Museum der Dinge an neuem Ort
Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge hat wiedereröffnet, in der Leipziger Straße gegenüber dem Spittelmarkt, in einem Gebäuderiegel aus sozialistischer Zeit. Die klaren Formen und die große Fensterfront passen gut zu einem Museum, das sich der Geschichte des Werkbunds widmet, jener 1907 gegründeten „Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen“, die eine Verbesserung von Wohnsituation und Gebrauchsdesign zum Ziel hatte.
Das Programm am neuen Ort hat mit der Wechselausstellung „Profitopolis“ begonnen. Modelle, Dokumente, Fotos, Bücher und künstlerische Arbeiten lassen rund 100 Jahre Mieterproteste lebendig werden, beleuchten deutsche Wohnpolitik und die Rolle des Werkbunds dabei, inklusive seiner Anpassung an das nationalsozialistische Regime. Die Beiträge der Gegenwartskünstler:innen bereiten Freude. Daniela Brahm hat Zeichnungen zum Thema Wohnungsnot im Stil einer Satirezeitschrift beigesteuert, Tracey Snellings beleuchtete Plastiken in Gestalt umstrittener Wohnviertel wie dem Neuen Kreuzberger Zentrum (Kotti. Und eine Filmdokumentation erinnert an die von Martin Kaltwasser mitinitiierte Demonstration, die 2018 unter dem satirischen Motto „Platz da für meinen SUV“ durch den Bezirk Mitte führte. Zur Ausstellung gehören Führungen, Workshops und Stadtspaziergänge.
- Werkbundarchiv – Museum der Dinge Leipziger Str. 54, Mitte, 6/ 4 €, TLE/bis 18 Jahre frei, Do-Mo 12-19 Uhr, Di+Mi geschlossen, Website, bis 28.2.2025
Neue Nationalgalerie: „Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft“
In der Neuen Nationalgalerie zeigt sich der nächste Teil der Sammlung neu sortiert: Die Ausstellung
„Zerreißprobe“ präsentiert Kunst nach 1945. Ost und West finden hier zusammen – genauso wie Kunst
und Politik. Unter den 170 Arbeiten der Ausstellung gibt es jede Menge bekannte Werke. Neben Werken der üblichen Verdächtigen von Marina Abramović bis Andy Warhol aus der ehemaligen Nationalgalerie-West an der Potsdamer Straße hängen jetzt Arbeiten bekannter Ostgrößen wie Wolfgang Mattheuer Harald Metzkes oder Werner Tübke, die die auf der Museumsinsel gelegene Nationalgalerie-Ost sammelte.
Verantwortlich für die Schau sind der für die Sammlung zuständige stellvertretende Direktor Joachim Jäger, die wissenschaftliche Mitarbeiterin Maike Steinkamp sowie die Kunsthistorikerin Marta Smolińska von der Universität der Künste in Poznań. „Zerreißprobe“ ist laut Joachim Jäger der Versuch einer Darstellung, die den Entwicklungen von Meinungen und Werten in der Gesellschaft folge. Die Gesellschaft entscheidet über die Kriterien der Kunst. Das war schon immer so, nur obsiegen nun offenbar Gesinnung, Moral und Geschlecht über Ästhetik.
Die Geschichte schreiben immer die Sieger. „Die Einfühlung in den Sieger kommt demnach den jeweils Herrschenden allemal zugut“, formulierte 1940 Walter Benjamin. Denn die im Dunkeln, die Ausgeschlossenen und Vergessenen, sieht man ja nicht – und sie sind auch in der Neuen Nationalgalerie nicht zu sehen, beispielsweise Werke der Art brut, Werke der oft autodidaktischen Kunst gesellschaftlicher Außenseiter, die, wie Jäger sagt, nicht in der Sammlung vertreten sind.
- Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50, Tiergarten, Di/ Mi, Fr–So 10–18, Do 10–20 Uhr, 14/ 7 €, bis 18 J. + 1. So/ Monat frei, bis 28.9.2025
Gerhard Richter – 100 Werke für Berlin
100 Arbeiten leiht der berühmte Maler Gerhard Richter der Neuen Nationalgalerie auf lange Zeit, und sie alle passen in das Grafikkabinett im Untergeschoss des Museums. Denn unter den Abstraktionen befinden sich viele kleine übermalte Fotos – Spitzenstücke, eine Wucht. Im Zentrum jedoch hängt der „Birkenau“-Zyklus, mit dem Richter die Grenzen der Kunst im Angesicht von Verbrechen der Nationalsozialist:innen thematisiert. Als Vorlage dienten Fotografien, die Häftlinge unter Lebensgefahr in Auschwitz-Birkenau aufgenommen und aus dem Konzentrationslager geschmuggelt hatten.
- Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50, Tiergarten, Di–Mi, Fr–So 10–18, Do bis 20 Uhr, 14/ 7 €, bis 18 J., Do ab 16 Uhr frei, Tickets hier, bis September 2026
Ts’ uu – Zeder. Von Bäumen und Menschen
Was länger währt, wird womöglich besser: Die Ausstellung „Ts̓ uu – Zeder“ des Ethnologischen Museums konnte pandemiebedingt nicht mit den Sälen eröffnen, die im Herbst das Humboldt Forum komplettiert haben. Doch nun ist die Schau über Regenwälder an der Westküste Kanadas fertig, eine Koproduktion mit dem hochmodernen Haida Gwaii Museum auf gleichnamigem Archipel vor der Küste British Columbias. Sie zeigt, wie erhellend und publikumsfreundlich transkontinentale und transdisziplinäre Zusammenarbeit sein kann. Nur einen Saal mit 130 Exponaten umfasst die Schau, die genauso Ruhe wie Abwechslung bietet, dank einer Sitzecke und des Einsatzes verschiedener Medien. Selbstverständlich gibt es klassische Objekte wie Wappenpfähle. Daneben aber hängen Reportagefotos und bedruckte T-Shirts. Sie bezeugen Proteste Indigener gegen die Abholzung der Regenwälder durch euro-kanadische Firmen.
- Humboldt Forum Schlossplatz 1, Mitte, Mi–Mo 10.30–18.30, Eintritt frei, bis 23.2.2026
Mehr Kunst und Ausstellungen in Berlin
Blick nach vorn: Das Kunstjahr 2025 in Berlin mit den wichtigsten Ausstellungen des Jahres. Überblick verloren? Sobald die Infos da sind, steht hier das Wichtigste zur Berlin Art Week. Geht immer: Wir zeigen euch wichtige Ausstellungshäuser, Galerien und Museen für Kunst in Berlin. Abschied: Der beliebte Museumssonntag wird eingespart. Eintauchen in andere Welten: Tipps für immersive Ausstellungen in Berlin.
Immer gut über das Leben in Berlin informiert: Abonniert jetzt unseren wöchentlichen tipBerlin-Newsletter. Ihr wollt wissen, was in der Food-Welt Berlins geschieht? Hier entlang. Unsere Empfehlungen für eure Ohren: Konzerte in Berlin. Tipps und News für Party in Berlin findet ihr in der Club-Rubrik. Nach Feierabend noch was unternehmen? Diese Museen in Berlin sind auch abends länger geöffnet. Immer neue Texte und Tipps findet ihr in unserer Rubrik "Ausstellungen". Noch nichts vor? Was heute los ist, lest ihr bei den Tageshighlights mit den besten Veranstaltungen in Berlin. Was läuft wann? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin.