• Kultur
  • Ausstellungen
  • KW-Direktor Krist Gruijthuijsen: „Probleme werden nicht auf Social Media gelöst“

Interview

KW-Direktor Krist Gruijthuijsen: „Probleme werden nicht auf Social Media gelöst“

Krist Gruijthuijsen wird nach acht Jahren als Direktor das KW Institute for Contemporary Art Anfang Juli verlassen. Der Moment für eine Bilanz in fordernden Zeiten. Im Interview spricht er über Attacken auf Social Media, die umstrittene Antidiskriminierungsklausel und die neue Ausstellung „Poetics of Encryption“.

Krist Gruijthuijsen ist Direktor des KW Institute for Contemporary Art. Im Juli wird er die Führung abgeben. Foto: Frank Sperling

KW-Chef Krist Gruijthuijsen hört auf – und ist stolz auf seine Arbeit

tipBerlin Herr Gruijthuijsen, im Juli 2016 haben wir uns auch hier in Ihrem Büro zum Interview getroffen. Sie hatten gerade am KW Institute for Contemporary Art, den Kunst-Werken angefangen und wir haben über Ihre Pläne gesprochen. Sie wollten beispielsweise die Pogo Bar reaktivieren …

Krist Gruijthuijsen … und das hat super funktioniert, die Veranstaltungen sind immer ausverkauft. Die Pogo Bar ist wirklich ein Platz für Experimente und junge Communities.

tipBerlin Und Sie hatten damals gerade den Eingangsbereich des Gebäudes verlegt. Sollte der Umbau einen Neubeginn markieren?

Krist Gruijthuijsen Die KW sind weder ein großes noch ein kleines Haus. Das kann man positiv oder negativ sehen, ich sah es als einen Aufruf zur Optimierung. Das Gebäude ist eine ehemalige Margarinefabrik und kein White Cube, und ich wollte in meinem Programm mit den Gegebenheiten des Hauses arbeiten. Ob eine neue Direktion ein Statement machen muss, hängt davon ab, ob diese Person denkt, dass sie sonst nicht gehört wird. Mir war es wichtig, in den letzten acht Jahren intern und strukturell sehr viel zu verändern. Im Jahr 2016 habe ich mit nur wenigen Mitarbeiter:innen angefangen, zwischenzeitlich sind wir sehr gewachsen und ein großes Team geworden. Wir haben unser Budget verdoppelt, die Finanzierung ist solide. Wenn ich mir angucke, wie wir uns in den letzten Jahren weiterentwickelt haben, bin ich schon auch stolz.

tipBerlin Wie haben sich Ihre Aufgaben als Direktor über die Zeit verändert?

Krist Gruijthuijsen Das Direktor-Sein an sich hat sich stark verändert in den letzten fünf, sechs Jahren. Es ist so viel dazugekommen, alles ist viel komplexer geworden. Eine Institution wie die KW steht immer unter Strom. Man erwartet von Seiten der Künstler:innen und Produzierenden, aber auch von Seiten der Politiker:innen sehr viel von uns.  

tipBerlin Was zum Beispiel?

Krist Gruijthuijsen Man muss immer selbstkritisch sein. Sich immer hinterfragen: Wie funktionieren wir? Was sind unsere ethischen Richtlinien? Wie gehen wir mit Diversität, Inklusion, Barrierefreiheit um? All diese Punkte werden immer wichtiger – und das ist gut so!

Trevor Paglen: „Because Physcial Wounds Heal…“, 2023. Courtesy des Künstlers, Altman Siegel, San Francisco und Pace Gallery © der Künstler

tipBerlin So wie Sie Ihre Arbeit beschreiben, muss diese extrem fordernd sein.

Krist Gruijthuijsen Mein Team, aber auch ich selbst, sind sehr gefordert. In den Niederlanden gab es kürzlich eine große Untersuchung zur Mental-Health-Situation von Kulturschaffenden. Die Pandemie hat uns allen viel abverlangt. Und danach kam der Ukraine-Krieg, wir hatten Geflüchtete in Kooperation mit Artists at Risk bei uns untergebracht, und nun der Nahost-Konflikt. Man erwartet, dass wir mit all diesen Themen ununterbrochen und verantwortungsbewusst umgehen.

tipBerlin All diese Themen sind komplex und sorgen für Diskussion oder sogar für heftigen Streit.

Krist Gruijthuijsen Trotzdem müssen wir permanent reagieren und uns positionieren. Es braucht viel Kraft um all diese Anforderungen zu erfüllen: eine künstlerische Vision, Fundraising, Politik, moderne Mitarbeiter:innenführung, permanent zahlreiche ethische und moralische Wertvorstellungen im Blick haben und checken – die Liste ist schier endlos. Und dann kommt hinzu, dass in Berlin alles wie unter einer Lupe beäugt und kritisiert wird.

Inklusion kann nur überzeugen, wenn diese Haltung von innen kommt.

Krist Gruijthuijsen, Direktor des KW Institute for Contemporary Art

tipBerlin Die KW sind schon lange divers aufgestellt, das gilt aber nicht für alle Berliner Kulturinstitutionen. 

Krist Gruijthuijsen Man hört schon von Kolleg:innen, die sich fragen, ob sie auch genügend People of Color in ihrem Programm haben. Aber so funktioniert das nicht. Inklusion kann nur überzeugen, wenn diese Haltung von innen kommt. Wir zeigen weibliche Positionen, Schwarze Künstler:innen, Transpersonen, Künstler:innen mit verschiedenen religiösen Hintergründen und viele andere ganz selbstverständlich in unserem Programm, weil wir die Welt als divers wahrnehmen. Das spürt man auch bei allen, die hier arbeiten. 

Zur Problematik der Antidiskriminierungsklausel: „Es war eine Katastrophe“

tipBerlin Zur Komplexität Ihrer Aufgaben ist noch die Antidiskriminierungsklausel hinzugekommen, die Kultursenator Joe Chialo im Dezember eingeführt und Ende Januar nach heftigen Protesten ausgesetzt hat.

Krist Gruijthuijsen Ich empfinde es eigentlich als eine Beleidigung, dass Politiker:innen denken, wir würden nicht auf Antidiskriminierung achten. Wenn man sich unser Programm anschaut, sieht man doch ganz klar, wo wir stehen und wie wir die Welt sehen. Wir kommunizieren schon seit Jahren auf unserer Website, dass wir für Antidiskriminierung einstehen; dies ist auch in unserem Haus tief verwurzelt. Die KW sind keine politische Entität. Seit 20 Jahren versuche ich, in meinem Programm Sichtbarkeit zu schaffen für marginalisierte Gruppen, für Künstler:innen, die zu Lebzeiten wenig beachtet wurden, und für ganz junge, radikale Positionen, die nicht gehört werden, weil viele Institutionen dies einfach nicht wagen.

tipBerlin Wie hat sich die Antidiskriminierungsklausel konkret auf Ihre Arbeit ausgewirkt? 

___STEADY_PAYWALL___

Krist Gruijthuijsen Es war eine Katastrophe, ich war tagelang ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt. Ich habe permanent versucht, Informationen zusammenzuführen, das Team und alle Künstler:innen, mit denen wir zusammenarbeiten, zu informieren sowie den Austausch mit anderen Institutionen gesucht. All das glich einer einzigen Schadensbegrenzung.

Warum wird die Kunst, warum werden Kunstkontexte immer wieder politisch instrumentalisiert wie ein Punchingball? 

Krist Gruijthuijsen, Direktor des KW Institute for Contemporary Art

tipBerlin Wie konnte es zu so einem Desaster kommen? 

Krist Gruijthuijsen Weil es im Vorfeld zu wenig Dialog gab zwischen den einzelnen Häusern und der Senatsverwaltung. Unsere Funktion ist nicht, ein politischer Ort zu sein, vielmehr sprechen wir als KW durch die Perspektiven der Künstler:innen. Und die Kunst braucht Freiheit. Diese Klausel ist nur ein kleines Beispiel für undemokratische, nicht im Dialog getroffene Entscheidungen, die wiederum neue Formen der Kontrolle nach sich ziehen. Warum wird die Kunst, warum werden Kunstkontexte immer wieder politisch instrumentalisiert wie ein Punchingball? 

tipBerlin Die Antidiskriminierungsklausel hat den mentalen Druck, von dem Sie vorher sprachen, demnach verstärkt?

Krist Gruijthuijsen Schon seit der letzten Documenta ist dies deutlich zu spüren. Wir befinden uns andauernd im Krisenmodus, müssen immer auf alles eingehen und werden permanent über Social Media attackiert. Social Media funktioniert oft wie ein Dauerangriff. Es ist nicht leicht für das Team und mich, das auszuhalten.

tipBerlin Wie erklären Sie sich diese Dauerattacken auf Social Media?

Krist Gruijthuijsen Die Diskussionen sind alle aktuell emotional sehr aufgeladen. Die Menschen erwarten auf Social Media schnelle, eindeutige und polarisierende Reaktionen.

tipBerlin Können die Leitungen der Berliner Kulturinstitutionen sich da gegenseitig unterstützen?

Krist Gruijthuijsen Da gibt es definitiv Potenzial. Ich hätte mir während meiner Zeit als Direktor der KW hier tatsächlich etwas mehr Dialog zwischen den Institutionen gewünscht, egal, ob vom Bund oder vom Land finanziert.

tipBerlin Was kann man gemeinsam erreichen? 

Krist Gruijthuijsen Auch dafür ist die sogenannte Antidiskriminierungsklausel ein gutes Beispiel. Die Ergänzung in Zuwendungsbescheiden und Förderanträgen verpflichtete Empfänger:innen öffentlicher Fördermittel, die Klausel einschließlich der umstrittenen IHRA-Definition von Antisemitismus zu unterzeichnen. Seit der Ankündigung der Klausel haben wir in den KW zusammen mit anderen Institutionen kontinuierlich daran gearbeitet, unsere Bedenken zu koordinieren, um uns beim Kultursenator gegen diese Maßnahme einzusetzen. Es ist sehr viel hinter den Kulissen passiert, vorsichtig und bedacht. Reaktionen wie boykottieren und canceln verhindern hingegen den Dialog. Konflikte sind wichtig, um Dinge zu verändern. Aber wir müssen im Gespräch miteinander bleiben.

tipBerlin Wie kommen wir denn in dieser aufgeheizten Lage wieder ins Gespräch?

Krist Gruijthuijsen Mit einem offenen Blick für eine Lösung und nicht, indem wir mit dem Finger auf andere zeigen. Und mit Geduld. Probleme werden eben nicht im Dauerangriffsmodus auf Social Media gelöst. Wir werden uns weiterhin auf dialogischer Ebene engagieren – gemeinsam mit dem Senat – um gegen Diskriminierung einzustehen und dies in unseren Prozessen noch verstärkter manifestieren.

Nächste Ausstellung in den KW: „Poetics of Encryption“

tipBerlin Ihre nächste Ausstellung beschäftigt sich mit der digitalen Welt und hat den Titel „Poetics of Encryption“. Worum geht es?

Mal sehen, wie lange wir Menschen in Sachen Schönheit mit Avataren noch mithalten können: Émilie Brout & Maxime Marion, IDLE (acts α and β), 2023, 4K Video, 25′, mit Unterstützung von CNAP und Fonds Culturel National, courtesy die Künstlerinnen und 22,48 m².

Krist Gruijthuijsen Es geht um eine kritische Auseinandersetzung mit der digitalen Landschaft – von Digitalisierung bis hin zur Artificial Intelligence. 2019 habe ich zusammen mit dem Senat die Position des Kurators für den Digitalen Raum geschaffen, das war die zweite Stelle dieser Art in Deutschland. Es geht nicht darum, irgendetwas mit Virtual Reality oder auf der Website zu machen, das wäre zu kurz gefasst. Das Projekt soll zu den analogen KW passen, auch, weil das Digitale und das Analoge jetzt immer mehr miteinander verschmelzen. Der Kurator Nadim Samman hat das Projekt bereits letztes Jahr mit einer Konferenz gelauncht. Es geht um die dunklen, gefährlichen Seiten der Technologie wie beispielsweise Überwachung. Nach der Konferenz letzten Oktober im Theater im Delphi folgt jetzt die Ausstellung mit 40 Künstlern und Künstlerinnen, die das gesamte Gebäude der KW bespielen wird.

tipBerlin Warum haben Sie das Wort „poetics“ mit in den Ausstellungstitel genommen?

Krist Gruijthuijsen Die Poesie der Visualisierung, die Qualität der Visualisierung eines Themas sind mir unglaublich wichtig. Das Programm ist politisch, es setzt sich mit den Gefahren der Digitalisierung aller Lebenswelten auseinander, aber am Ende geht es mir immer um die Übersetzung in Kunstwerke. Und diese Ausstellung wird keine nette Reise. Wir kommunizieren digital vorwiegend in anonymen, von Algorithmen gesteuerten Maschinen, die für uns Stimmen akkumulieren und auf die wir doch wenig Einfluss haben. All diese technologischen Apparate sind eigentlich Kontrollsysteme. „Poetics of Encryption“ zeigt die politischen Implikationen und Gefahren dieser Systeme auf, es geht um Authentizität, Duplizität, Realität und virtuelle Realität. Um die Frage, was man noch glauben kann und was nicht. Wir sehen alles mehr und mehr schwarzweiß: Ich bin dabei versus ich bin ausgeschlossen. Es ist alles ganz abstrakt und zugleich sehr direkt, was passiert. Das sieht man aktuell auch bei „Strike Germany“.

tipBerlin „Strike Germany“ ist ein Aufruf, Veranstaltungen deutscher Kultureinrichtungen zu boykottieren. Ihnen wird vorgeworfen, das Recht auf freie Meinungsäußerung und insbesondere die Solidarität mit Palästina zu unterdrücken. Inwieweit sind die KW von „Strike Germany“ betroffen?

Krist Gruijthuijsen Wir haben einige wenige Absagen von Künstler:innen für die Ausstellung „Poetics of Encryption“ erhalten. Wir respektieren diese Entscheidung und bleiben im direkten Gespräch mit den Künstler:innen. Wir werden die Namen in Absprache mit den Künstler:innen nennen, sie aber durchstreichen und erklären, warum sie sich aus der Ausstellung zurückgezogen haben, damit wir sichtbar machen, dass dies ein politischer Akt ist. Wir wollen die Arbeiten als Leerstellen offenlegen; wenn es beispielsweise eine Videoarbeit ist, dann bleibt der Bildschirm schwarz.

Deutschland ist eigentlich ein Leuchtturm der Freiheit und der freien Meinungsäußerung. Doch jetzt fühlen sich viele Leute nicht mehr sicher. Der Ruf von Berlin als offene internationale Stadt ist stark beschädigt.

Krist Gruijthuijsen, Direktor des KW Institute for Contemporary Art

tipBerlin Bis eben galt Berlin noch als eine Stadt, die allen alle Freiheiten lässt…

Krist Gruijthuijsen Deutschland ist eigentlich ein Leuchtturm der Freiheit und der freien Meinungsäußerung. Doch jetzt fühlen sich viele Leute nicht mehr sicher. Der Ruf von Berlin als offene internationale Stadt ist stark beschädigt.

tipBerlin Wir sind gerade aus unser Komfortzone „Berlin-Hype“ vertrieben worden. Und Berlin ist eigentlich eine eher raue Stadt.

Krist Gruijthuijsen Udo Kittelmann hat einmal zu mir gesagt: “If you can survive as a director in Berlin, you can survive anywhere.” Das stimmt. Auch wenn sie sehr bereichernd ist, ist es eine harte und schonungslose Stadt für die Leitung einer Kulturinstitution. 

tipBerlin Was werden Sie nach den KW machen?

Krist Gruijthuijsen Ich gehe nicht gleich wieder an ein anderes Haus, ich brauche eine kleine Pause. Ich fange ein großes, über drei Jahre laufendes Projekt für das Kunsthaus Zürich an, eine Retrospektive zu dem 1988 verstorbenen amerikanischen Künstler Paul Thek.

tipBerlin Werden Sie in Berlin bleiben?

Krist Gruijthuijsen Das weiß ich noch nicht. Meine Beziehung zu Berlin wird sich sicher verändern, wenn ich hier keine Kunstinstitution mehr leite. Und ehrlich gesagt, freue ich mich auch darauf, die Stadt wieder anonym zu erleben und in ihrem Strudel abzutauchen.

  • KW Institute for Contemporary Art Auguststr. 69, Mitte; „Poetics of Encryption“, 17.2.–26.5., Mi–Mo 11–19, Do 11–21 Uhr, 10/6 €, bis 18 Jahre und Transferleistungsempfangende frei, Website, Eröffnung: 16.2., 19 Uhr

Zu den Personen

Emma Enderby folgt als KW-Direktorin auf Krist Gruijthuijsen. Foto: Manuel Nieberle

Gruijthuijsen hat als scheidender Direktor der KW Institute for Contemporary Art die Übergabe für seine Nachfolgerin Emma Enderby sorgfältig vorbereitet. Am 5. Juli eröffnet seine letzte Ausstellung. Wenn sie im Oktober endet, wird das Haus erst einmal saniert. Enderby fängt am 1. Mai als Direktorin der KW an. Das von ihr verantwortete Programm startet im Februar 2025. Enderby leitet zurzeit als Hauptkuratorin die Abteilung Programm und Forschung am Haus der Kunst in München. Gruijthuijsen war vom Grazer Kunstverein in die KW gekommen


Mehr zum Thema

Was lohnt sich wirklich? Hier ist der Überblick über aktuelle Ausstellungen in Berlin und letzte Kunst-Chancen. Blick nach vorn: Die wichtigsten Ausstellungen im Kunstjahr 2024. Geht immer: Wir zeigen euch wichtige Ausstellungshäuser, Galerien und Museen für Kunst in Berlin. Einblicke ins Werk einer Ikone: „Viva Frida Kahlo“ im Napoleon Komplex. Gut zu wissen: Am Museumssonntag ist der Eintritt kostenlos, jeden ersten Sonntag im Monat. Immer gut über das Leben in Berlin informiert: Abonniert jetzt unseren tipBerlin-Newsletter.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad