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Brandenburg

Warum hat der Spargel seinen natürlichen, bitteren Geschmack verloren?

Spargel wird buchstäblich von unserer Liebe erdrückt: Über die Felder erstrecken sich Folien anstelle von natürlichen Lebensräumen für Insekten und Vögel, der Spargel auf unseren Tellern hat seinen charakteristisch bitteren Geschmack verloren. Was ist mit dem Spargel passiert? Andreas Rieger ist Gemüseversteher der New Berlin Cuisine. Deshalb ist er im Michelberger Hotel nicht mehr nur Koch, sondern auch Gärtner – auf der Michelberger Farm bei Vetschau im Spreewald. Unser Autor Clemens Niedenthal hat aufgezeichnet, was der Berliner Koch über die Spargelzucht zu sagen hat.

Spargel frisch vom Feld. Foto: Imago/U. J. Alexander

Auf Spargel ist Verlass – das wird zum Nachteil

Spargelsaison, schwieriges Thema. Es ist eben ein stückweit auch eine Gemüsepropaganda, die da jedes Jahr aufs Neue auf uns zukommt. Der Spargel ist ja gerade in Deutschland ohnehin so beliebt ist, weil er so kontrollierbar geworden ist. Die Deutschen mögen ihre Sicherheit und ihre abgesteckten Zonen und haben halt gerne auch im Kalender stehen, wann es losgeht und wann es aufhört. Nur ist das natürlich alles fernab vom Realismus einer natürlichen saisonalen Landwirtschaft. Diese vermeintliche Saisonalität eines Gemüses wird also künstlich erzeugt, mit Folien, mit beheizten Feldern, mit ordentlich in den Boden reingepumpter Energie.

Auf Spargelfeldern herrscht bedrückende Stille

Wer verstehen will, was das mit der Landwirtschaft und mehr noch mit der Landschaft macht, muss sich nur mal in Brandenburg auf ein Spargelfolienfeld stellen und versuchen, irgendetwas zu hören. Man wird gar nichts hören. Da sind keine kleinen Pflanzen und somit keine Insekten und auch keine Vögel, das einzige, was da ist, ist der Spargel. Und da reden wir jetzt erstmal nur von Brandenburg. Dabei sind China und Peru längst die größten Spargelproduzenten auf einem radikal globalisierten Lebensmittelmarkt. Der Grüne Spargel beispielsweise kommt im konventionellen Einzelhandel eigentlich gar nicht mehr aus der Region, ja nicht einmal aus Deutschland.

Spargel wird meist unter Folien gezüchtet. Das macht die Ernte ertragsreicher – allerdings leidet darunter auch der Geschmack. Foto: Imago / Meike Engels

Spargel kann toll sein – wenn er natürlich angebaut wird

Was ich damit keineswegs gesagt haben will, ist, dass Spargel nicht auch toll sein kann. Ein gutes, aufrichtiges Produkt. Nur muss man sich dafür eben die richtigen Gedanken machen. Ich habe schon damals im Einsunternull etwa mit dem Demeterhof Havelsee bei Brandenburg an der Havel zusammengearbeitet. Im Bewusstsein, dass der ohne Folie angebaute Spargel zehn Tage oder zwei Wochen später erntereif war und dass man die tägliche Erntemenge nicht mit beinahe gespenstischer Präzision kontrollieren konnte. Ich weiß auch, dass Syring, einer der größeren Betriebe in Beelitz, inzwischen einige Felder ohne Folie bestellt.

Wenn der Spargel dann noch ökologisch angebaut wird, also dass er nur Mist und Dung bekommt und keine zusätzlichen Dünger, wäre doch schon alles richtig gemacht. Und ich glaube durchaus, dass das ein starkes Signal ist, bei seinem Spargelstand am Straßenrand bewusst nach diesem Spargel zu fragen und den auch zu kaufen.

Aber: Was bedeutet das überhaupt, ohne Folie anzubauen? Dreimal mehr Arbeit und bis zu 70 Prozent weniger Ertrag. Man muss etwa ständig auf der Hut sein, dass die Stangen nicht durch den Boden brechen und sich in der Sonne lila verfärben. Dann geht er nämlich nicht mehr in der gewünschten Handelsklasse durch. Ich persönlich finde das dabei gerade geschmacklich total spannend, spannend aber soll der Deutsche Spargel ja ganz offensichtlich nicht mehr schmecken.

Spargel mit foliertem Geschmack: Säure statt gesunden Bitterstoffen

Bei Nobelhart & Schmutzig in Kreuzberg gibt es erlesenes Gemüse vom Feld: Weißer Spargel mit Holunderblüte. Foto: Marko Seifert / Art Director Thamar Ette

In den vergangenen 50, 60 Jahren wurde nämlich vor allem Wert darauf gelegt, die Bitterstoffe aus dem Spargel herauszuzüchten, was ich bis zu einem gewissen Punkt ja sogar nachvollziehen konnte. Nur sind wir inzwischen an einem Punkt angekommen sind, an dem wir alle den Folienspargel als normierten Spargelgeschmack abgespeichert haben. Probiert man aber mal eine alte Sorte, die ohne Folie und viel langsamer gewachsen ist, merkt man texturell einen riesigen Unterschied. Das ist eine ganz andere Einbindung der Flüssigkeit und ein ganz anderer Knack.  Vor allem ist dieser typische Beigeschmack, eine Säure, aber im negativen Sinne, plötzlich nicht mehr da. Die kommt nämlich durch das zu schnelle Wachstum und ist wirklich etwas, auf das ich gerne verzichten kann.


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