Politik

„Hygienedemo“ in Berlin: Was soll das und wer steckt dahinter?

Eine neu gegründete Gruppe namens „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ hat zu einer Demonstration am Rosa-Luxemburg-Platz auf. Am 28.3. um 15.30 Uhr soll die „Erste Hygienedemo für Verfassung, Grundrechte & transparente Gestaltung der neuen Wirtschaftsregeln durch die Menschen selbst“ starten. Sicherheitsabstand ist angekündigt, und angeblich ist sogar die Polizei für die Ausgabe von Mundschutz beauftragt.

Hygiene-Demo am Rosa-Luxemburg-Platz: hier soll die Demonstration starten
Am Rosa-Luxemburg-Platz soll die Demonstration starten – so sie denn wirklich stattfindet. Foto: imago images / Jürgen Ritter

Die Macher*innen betreiben die Webseite www.nichtohneuns.de, auf der sie schon nach „Kolleg*innen ohne parteipolitische Belastung“ suchen. Für eine zukünftige Wirtschaftsordnung sammeln sie Vorschläge per E-Mail. Und einige Forderungen notieren sie auch: „Wir bestehen auf die ersten 20 Artikel unserer Verfassung, auf die Würde der Alten & der Kranken, auf Verhinderung obrigkeitsstaatlicher Schikanen, auf Beendigung des Notstands-Regimes, auf Wahlen & umfassende Transparenz“ und „auf demokratische Regeln für unser künftiges Wirtschaftssystem.


Wer ruft zu dieser „Hygienedemo“ auf?

Dahinter stehen Anselm Lenz, Batseba N’Diaye und Hendrik Sodenkamp – keine Unbekannten in Berlin. Die drei gehörten zum „Haus Bartleby“, das 2014 als loser Zusammenschluss von Künstler*innen, Denker*innen und Autor*innen aus dem „Zentrum für Karriereverweigerung“ hervorging: ein kapitalismuskritisches Projekt, das sich mit Erschöpfung, Überlastung und dem allumfassenden Markt auseinandersetzte.

Die Antwort darauf: nicht mitmachen, absagen. „I would prefer not to“, wie ihr Namensgeber aus Herman Melvilles Erzählung „Bartleby the Scrivener“ stets wiederholte.

2015 richtete das „Haus Bartleby“ dann das „Kapitalismustribunal“ aus. Der Berliner Gipfel fand im Haus der Kulturen der Welt statt, eine Fortsetzung gab es in Wien. In Form eines Gerichtsprozesses wurde verhandelt, ob die kapitalistische Wirtschaftsordnung ein Verbrechen ist – und wer dafür verantwortlich gemacht werden kann.

Die Ergebnisse des „Kapitalismustribunals“ wurden auch in Buchform veröffentlicht. Von „Haus Bartleby“ liegt außerdem ein Band namens „Sag alles ab!“ vor – mit theoretischen Essays, Geschichten und Songtexten.

Um Anselm Lenz, Batseba N’Diaye und Hendrik Sodenkamp wurde es ruhiger. Die Webseiten von „Haus Bartleby“ und dem „Kapitalismustribunal“ sind mittlerweile offline.

Auf www.nichtohneuns.de notiert die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ nun in einer Chronologie: „Der deutsche Bundestag beschließt sein Ermächtigungsgesetz. Wir sollen ein Jahr lang in einer de-facto-Diktatur leben. Deren System ist derweil am Ende.“

Wir hätten da mal ein paar Fragen:

  • Ist es richtig, den Bundestag mit dem Reichstag gleichzusetzen? Ist die Antwort auf die Corona-Krise vergleichbar mit der Selbstabschaffung des Parlaments 1933?
  • Was wäre eine demokratische Alternative zum Wirtschaftssystem?
  • Wieso braucht es dafür bloß Menschen ohne Parteihintergrund?
  • Was haben Kontaktsperren mit Faschismus zu tun? Auf der Webseite schreiben die Macher*innen: „Polizeistaatliches Gebaren im Übergang zum Präfaschismus ist völlig indiskutabel.“ Sind Corona-Maßnahmen schon ein „Notstands-Regime“?
  • Kann man in der Corona-Krise überhaupt guten Gewissens zu einer Demonstration aufrufen?
  • Und vor allem: Ist das ernst gemeint?

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