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„Teaches of Peaches“ zeigt, was in Berlin einmal möglich war

Die Berliner Underground-Legende Peaches geht mit ihrem ersten Album „The Teaches of Peaches“ auf Jubiläumstour, ein Filmteam begleitet sie und stöbert in den Archiven. tipBerlin-Kritiker Michael Meyns hat das Filmporträt des Regie-Duos Philipp Fussenegger und Judy Landkammer gesehen.

In ihrer Heimat Kanada wurde Peaches immer als letzter Konzert-Act platziert – weil ihre Auftritte so anders waren. Foto: Avanti Media Fiction

„Teaches of Peaches“ zeigt den Aufstieg der Underground-Legende

„All unsere Künstler-Träume wurden über Nacht wahr. Ein kleines Märchen, ein Berliner Märchen“, so beschreibt Chili Gonzales, was sich zu Beginn des neuen Jahrtausends in der Hauptstadt ereignete, was längst zur Underground-Legende geworden ist und nun im Dokumentarfilm „Teaches of Peaches“ quasi für die Ewigkeit festgehalten wird: Der Erfolg der Kanadierin Merrill Beth Nisker, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Peaches, der gleich mit ihrem ersten Song „Fuck the Pain Away“ ein internationaler Hit gelang, von dessen Erfolg sie auch heute, mehr als 20 Jahre später, noch zehrt.

Dass der Film, den das österreichische Regie-Duo Philipp Fussenegger und Judy Landkammer über Peaches gedreht hat, nun zwar 100 Minuten Fanfutter liefert, aber auch durch und durch konventionell geworden ist, erzählt dann auch – aus Versehen, aber doch prägnant – davon, wie die Zeiten sich geändert haben.

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Im Jahr 2000 gelang Peaches mit ihrem ersten Song „Fuck the Pain Away“ ein internationaler Hit. Bell Media Inc.

Seine Premiere feierte „Teaches of Peaches“ im Februar bei der Berlinale, die inzwischen 57-jährige Sängerin erschien standesgemäß mit tief dekolletiertem Ledermantel, den sie auf dem roten Teppich öffnete, um das Statement „Fuck AFD“ auf ihrem Schritt zu offenbaren. Reflexartig bemäkelte am nächsten Tag zwar die lokale Boulevard-Presse diesen Auftritt, um einen Skandal herbeizuschreiben, reichte es aber bei weitem nicht mehr.

Peaches schockte zur Jahrtausendwende das bürgerliche Berlin

Ganz anders als früher, als Peaches gern mit Umschnalldildo und/oder halbnackt auftrat und all das durchexerzierte, wovon sich das bürgerliche Berlin eben gerne schockieren ließ. Damals ging das noch, damals hatte Berlin noch den Ruf, ein Spielplatz für Hedonisten und Exzentriker, Avantgardisten und Narzissten zu sein, wo sich in Brachen und verfallenden Häusern Räume auftaten, die für Kunst, Musik, Sex und alles dazwischen genutzt werden konnten.

Das Berlin der Jahrtausendwende war der perfekte Ort für die Künstlerin Peaches. Foto: Avanti Media Fiction

In einer der vielen Archivaufnahmen, die der interessanteste Aspekt des Films sind, erzählt Gonzales: „Als wir noch in Toronto aufgetreten sind, waren wir immer als letztes dran, weil die Veranstalter nicht wussten, was sie mit uns anfangen sollten. Dann kamen wir nach Europa, und plötzlich sind wir, die seltsamen, als erstes dran.“ Mit ihrem harten Electroclash, ihrer „Fuck you!“-Attitüde passte Peaches perfekt in den Berliner Underground, erspielte sich schnell ein treues Publikum, das seitdem mit ihr älter geworden ist.

Der Ansatz von „Teaches of Peaches“: Die aktuelle Tour mit alten Archivaufnahmen kombinieren

Aus Anlass der Jubiläumstour zu ihrem ersten und erfolgreichsten Album „The Teaches of Peaches“ entstand nun der Film. Philipp Fussenegger ist aktiver Teil der Sex-Positiv-Szene der Stadt, arbeitet gerade an einem Film über den Kit Kat-Club und gründete vor ein paar Jahren das immersive Cybrothel, das Sex mit menschenähnlichen Puppen anbietet. Produzentin und Co-Autorin Cordula Kablitz-Post hatte in den letzten Jahren mit Musik-Dokus wie „Weil Du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour“ und „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ einigen Erfolg mit dem Ansatz gehabt, die aktuelle Tour eines älteren Stars mit Archivaufnahmen aus den Anfangstagen zu kombinieren.

Lange bevor Binarität, Diversität, Queer zunehmend selbstverständlich wurde, lebten Peaches und ihre Mitstreiter diese Formeln und ebneten den Weg für vieles, was ihnen folgen sollte. Foto: Avanti Media Fiction

Diesem halb-dokumentarischen, halb-nostalgischen Muster folgt nun auch „Teaches of Peaches“, zeigt die Sängerin zusammen mit Lebensgefährte Cracker in der geräumigen Berliner Wohnung, ein Fitnessrad zeugt von der Notwendigkeit eines gesünderen Lebensstils als früher, Katzen stromern herum, die Zeiten ändern sich eben. Bei Vorbereitungen zur aktuellen Tour sieht man Peaches und Band. Die Kollegin Shirley Manson, Sängerin der Band Garbage, findet warme Worte für die Bedeutung von Peaches’ exaltierter Musik und Performance, die vor allem in den Archivbildern beeindruckend zur Geltung kommt.

„Teaches of Peaches“ taucht in die Berliner Subkultur der frühen Nullerjahre ein

In rohen, verwaschenen, verwackelten Bildern erlauben diese, in die Berliner Subkultur der frühen Nullerjahre einzutauchen. Lange bevor der gesellschaftliche Mainstream begann, über Geschlechterrollen zu diskutieren, Nonbinarität, Diversität, Queerness zunehmend selbstverständlich wurden, lebten Peaches und ihre Mitstreiter diese Formeln und ebneten den Weg für vieles, was ihnen folgen sollte.

Wenn sie das auch als Mittfünfzigerin tut, die zwar keine Großmutter ist, es aber sein könnte, mag man das als seltsam empfinden, als unangemessen, aber warum? Längst hat die Gesellschaft einen Zustand erreicht, in dem alles möglich ist, in dem es keine Tabus zu brechen gibt, in dem es kaum noch möglich erscheint, mit Sex und Nacktheit zu provozieren. Der Zeitgeist hat zu Peaches aufgeschlossen, einerseits. Ob die Gesellschaft allerdings tatsächlich so offen und liberal ist, wie es auf den ersten Blick wirkt, ist eine Frage, die auch Peaches in einem nachdenklichen Moment aufwirft. Doch für solche weiterführenden Gedanken bleibt wenig Raum, „Teaches of Peaches“ beschränkt sich darauf, klassischer Porträtfilm zu sein, der sein Subjekt wohlwollend begleitet und beschreibt. Für Fans von Peaches willkommener Anlass, in nostalgischen Erinnerungen zu schwelgen, für alle Anderen Gelegenheit zu sehen, was in Berlin einst möglich war.

  • Teaches of Peaches Deutschland 2024; 102 Min.; R: Philipp Fussenegger, Judy Landkammer; Kinostart: 9.5.

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