Film

„Gondola“ von Veit Helmer: Queeres Märchen in Georgien

Veit Helmer begibt sich mit „Gondola“ wieder in den Kaukasus und fängt dort bezaubernde Bilder ein. Die märchenhafte Romanze zwischen zwei jungen Frauen erzählt er wie gewohnt ohne Worte.

Foto: Goga Devdariani (DOP), jip film & verleih

Mit dem Zug durch den Osten

Die ersten Geräusche, die man in „Gondola“ hört, klingen wie Eisenbahn-Geratter. Metallisches Getöse. In der ersten Einstellung dann stellt sich heraus: Stahl rattert hier tatsächlich über Stahl, es ist auch eine Bahn, die fährt. Allerdings keine Eisen-, sondern eine Seilbahn. Nicht nur die quietschende Geräuschkulisse lässt an Eisenbahnromantik denken, es ist auch der markante Stil von Veit Helmer, der diesen Schluss nahelegt. Der deutsche Filmemacher ist bekannt für seine ungewöhnlichen Filme; verrostete Züge haben es ihm besonders angetan. Und die findet Helmer vor allem im Osten, bevorzugt in Ländern der ehemaligen Sowjetunion. 

Der Kurzfilm „Uzbek Express“ spielt am Bahnhof von Taschkent, in seinem letzten Spielfilm „Vom Lokführer, der die Liebe suchte  …“ rattert ein alter Güterzug durch die engen Straßen von Baku. Die Filmtitel „Absurdistan“ und „Baikonur“ sprechen für sich. Für seinen neuen Langfilm hat sich Veit Helmer aus der Palette der Ex-Sowjetrepubliken nun ein besonders pittoreskes Motiv ausgesucht: „Gondola“ spielt in der Kaukasus-Republik Georgien, und ist, wie der Großteil von Helmers Filmen, komplett dialoglos.

Meet-Cute in der Gondel

In einem abgelegenen Tal in den Bergen verbindet eine Gondelbahn zwei Bergdörfer. Viele Passagiere befördert die Seilbahn nicht, und so freut sich die junge Schaffnerin Nino jedes Mal, wenn sie alle halbe Stunde auf halber Strecke ihre neue und gleichaltrige Kollegin Iva in der Gegen-Gondel passiert.

Zuerst besteht die Freude der jungen Frauen schlicht in der Abwechslung, die das kurze Aneinander-Vorbei-Gleiten in die eintönige Arbeit bringt. Doch je öfter Iva und Nino sich in ihren rostroten Kapseln begegnen, desto interessanter finden sie sich. Um sich die Gondelfahrten zu versüßen, denken sie sich immer ausgefallenere Gesten aus, vom erfrischenden Granatapfel-Snack bis zur als Mars-Rakete dekorierten Gondel.

Queerness im gesellschaftlich zerrissenen Georgien

Wenn es dunkel wird, lassen sie ihre Hüllen fallen, und treffen sich endlich auch außerhalb der Gondeln zu einem Rendezvous. Der Macho-Boss der Seilbahn findet das gar nicht lustig, schließlich kränkt es seine Männlichkeit doch sehr, wenn sich zwei junge Frauen gegenseitig begehren, statt ihrem schmierigen Chef ergeben zu sein. Die Romanze zwischen den beiden jungen Frauen, die außer dem gekränkten Mann erstaunlicherweise das ganze Dorf unterstützt, ist vielleicht eine kleine Parabel auf die gesellschaftlichen und politischen Einstellungen gegenüber queeren Lebensentwürfen im gesellschaftlich zerrissenen Georgien. 

Romantisierung mit Anderson-Ästhetik

Gleichzeitig reiht sich „Gondola“ mit seinem exotisierten Schauplatz ein in eine Helmersche Tradition romantisierender Verklärung. Andererseits ist eben diese wohl die logische Konsequenz aus der Märchenhaftigkeit von Helmers Filmen. „Gondola“ ist von allen Filmen nun am meisten Märchen, kommt fast ganz ohne das bekannte Grotesk-Burleske aus. Dafür sorgen auch die wirklich schönen und meditativen Bilder von Kameramann Goga Devdariani, der schon in „Taming the Garden“ bewiesen hat, dass Filme auch ohne Dialog ein Genuss sein können, wenn die Bilder stimmen. Und wären die Bilder in „Gondola“ nur etwas weniger bezaubernd, würde der Film schon nicht mehr funktionieren, würde man sich in den 80 dialoglosen Minuten doch arg langweilen.

Die roten Gondeln vor blauem Himmel, aber auch die altmodischen Schaffners-Uniformen erinnern dabei an Wes Anderson. Aber wie Anderson, dessen Filme allesamt in derselben pastellfarbenen Fantasiewelt spielen, macht Helmer keine Anstalten, sein vertrautes Märchen-Terrain einmal zu verlassen und sich an etwas Neuem zu probieren. Das ist schade, könnte er doch mit seiner Faszination und Kenntnis der Welt zwischen Osteuropa und Asien interessante Geschichten erzählen.

  • Gondola D/GEO 2023; 83 Min.; R: Veit Helmer; D: Mathilde Irrmann, Nino Soselia; Start: 7.3.

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