Interview

Kafka-Darsteller Sabin Tambrea über „Die Herrlichkeit des Lebens“

Es gibt wohl kein größeres Idol in der modernen Literatur als Franz Kafka. Der Schauspieler Sabin Tambrea macht in „Die Herrlichkeit des Lebens“ das letzte Glück des Dichters nachvollziehbar. Wir sprachen mit ihm über Kafka-Faszination auf TikTok, seine eigenen Romane und darüber, was wir von Kunst eigentlich wollen.

Sabin Tambrea spielt Franz Kafka in „Die Herrlichkeit des Lebens“. Neben ihm in der Hauptrolle: Henriette Confurius als Dora Diamant. Foto: Majestic/Mathias Bothor

Sabin Tambrea hat sich erst im Zuge der Filmvorbereitungen ausführlich mit Kafka befasst

tipBerlin Herr Tambrea, Sie spielen Frank Kafka, vielleicht den Inbegriff eines Autors in der westlichen Kultur. Wann haben Sie zum ersten Mal etwas von ihm gelesen?

Sabin Tambrea In der Schulzeit. Da haben wir „Die Verwandlung“ gelesen. Aber ausführlich habe ich mich mit ihm erst jetzt im Zuge der Vorbereitungen auf den Film befasst. Es brauchte wahrscheinlich diese Zeit, in der ich etwas mehr an Lebenserfahrung gewonnen habe, um diese Texte wirklich wertschätzen und mich damit identifizieren zu können.

tipBerlin Im Film sieht man ihn oft dabei, wie er Kindern etwas erzählt. Literatur entsteht gleichsam natürlich, wie von selbst.

Sabin Tambrea Was man jetzt auch beobachten kann, sei es auf Instagram oder TikTok: es gibt eine große Faszination für Franz Kafka und seine Texte gerade bei jungen Menschen. Sie befassen sich mit diesen irrationalen und dunklen Gedanken und sind weiter damit als meine Generation. Schon letztes Jahr gab es auf TikTok einen Hashtag Kafka. Da werden Texte zitiert, kurze Ausschnitte vorgelesen. Es ist ja das Tolle, dass man sein Werk aufschlagen kann, wo immer man will: jeder Satz beflügelt die Fantasie!

Kafka am Strand. Foto: Majestic/Christian Schulz

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tipBerlin Mussten Sie durch ein Casting?

Sabin Tambrea Ja, es gab ein Casting, sogar über mehrere Runden. Dafür habe ich mir den Roman von Michael Kumpfmüller besorgt, und ihn lieben gelernt. Eine Drehverschiebung aufgrund von Corona gab uns schließlich ausführlich Zeit, an dem Drehbuch zu arbeiten und unsere Vision abzugleichen.

tipBerlin Gab es Momente beim Drehen, die Ihnen besonders wichtig sind?

Sabin Tambrea Mit der Kamerafrau und Ko-Regisseurin Judith Kaufmann habe ich zwischendurch ab und zu einfach ein paar Impressionen aufgenommen. Dabei entstand auch spontan diese Szene, in der „Die Verwandlung“ bei uns gezeigt wird: Kafka, wie er daran arbeitet. Dieser Moment ist mir sehr schön in Erinnerung geblieben. Aber auch beim Heurigen in Wien. Manchmal merkt man erst vor der Kamera, welche Dimension man während der Hausaufgaben nicht beachtet hat, weil man den Moment sinnlich erleben muss, um ihn voll zu erfassen. Und bei der Szene in den Weinbergen um Wien ist mir klargeworden, dass dies der eigentliche Abschied zwischen Dora Diamant und Franz Kafka ist. Das war ein sehr berührender Drehtag, wenn man so etwas in der Szene merkt und eine zusätzliche Tiefe hineinbringen kann.

Im Roman steht die Liebesgeschichte und nicht der Autor Franz Kafka im Zentrum

tipBerlin Der Film erzählt von Kafkas letzter großer Liebe, will aber auch die wichtigsten Texte näherbringen.

Sabin Tambrea Im Roman steht die Liebesgeschichte und nicht der Autor Franz Kafka im Zentrum. Wir wollten aber auch diese Dimension mit hineinbringen und haben Passagen aus bekannten Werken auftauchen lassen. „Die Verwandlung“ wurde zwar zehn Jahre zuvor geschrieben, aber wir zeigen, wie er an kein Ende kommt. Ich hoffe, dass Kafka-Kenner und Kafka-Liebhaber uns das nicht übel nehmen werden, da er seine Texte immer wieder aufgegriffen und bearbeitet hat.

tipBerlin Von Kafka heißt es oft, dass er in der Liebe kein Glück finden konnte, weil nur die Unerfüllbarkeit ihm entsprach. Dora Diamant wäre aber vielleicht sein Lebensmensch geworden. Er war jedoch schon todkrank.

Max Brod (links: Manuel Rubey) bewahrte die Texte von Franz Kafka (Sabin Tambrea) für die Nachwelt auf. Foto: Majestic/Christian Schulz

Sabin Tambrea Diese Krankheit macht natürlich auch etwas mit dem, wonach er im Leben sucht und welchen Wert gewisse Dinge für ihn haben. Wir wissen nicht, wie diese Liebe gewesen wäre, wenn er nicht mit den großen letzten Fragen des Lebens konfrontiert gewesen wäre. So ist es eine ideelle Liebe, die ihrer beide Horizonte erweitert.

tipBerlin Wie sehen Sie den Aspekt des Judentums, der Dora und Franz verband?

Sabin Tambrea Es ist ein Verbindungspunkt, um eine gemeinsame Sprache zu finden. Es geht aber weit darüber hinaus, weil es eine Beziehung auf Augenhöhe ist, in der sich beide respektieren und auch für das bewundern, was sie selbst jeweils nicht schaffen.

tipBerlin Sie stammen ursprünglich aus Rumänien. Wie wichtig ist dieser Umstand für Sie heute noch?

Bis heute ist in meinen Charakter eine gewisse Verlustangst eingeschrieben. Wenn man als kleines Kind auf einmal die Großeltern nicht mehr sieht oder das Umfeld verlässt, in dem man aufgewachsen ist, prägt einen das für immer.

Sabin Tambrea

Sabin Tambrea Das ist eine spannende Frage, weil ich gerade meinen zweiten Roman beende, der genau dieses Thema behandelt. Er wird „Vaterländer“ heißen und Ende August erscheinen. Es geht darin um drei Generationen: ich, mein Vater und mein Großvater. Was bringt jemand dazu, seine Heimat zu verlassen? Das ist Thema des Buchs. Bis heute ist in meinen Charakter eine gewisse Verlustangst eingeschrieben. Wenn man als kleines Kind auf einmal die Großeltern nicht mehr sieht oder das Umfeld verlässt, in dem man aufgewachsen ist, prägt einen das für immer. Man lebt dann immer in der Hoffnung, das festhalten zu können, was einem das Leben schön macht.

tipBerlin Haben Sie Erinnerungen an das kommunistische Rumänien, das ihre Eltern verließen?

Sabin Tambrea Ich war zu klein, knapp drei Jahre, als wir nach Deutschland gekommen sind. Es sind reflektierte, interpretierte Erinnerungen. Verlust ist die große Überschrift. Auch wenn der Gedanke edel ist, dass man ein Land verlässt, um seiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen, so ist es doch ein Zurücklassen von allem, was einen im Charakter ausmacht.

Als Schauspieler ist man leider immer fremdbestimmt und wartet auf den einen Anruf, der einem die Miete sichert und berufliche Erfüllung schenkt. Diese Anrufe sind weniger häufig, als man vermuten mag.

Sabin Tambrea

tipBerlin Wie fanden Sie heraus, dass Sie nicht nur Schauspieler sind, sondern auch Autor?

Sabin Tambrea Als Schauspieler ist man leider immer fremdbestimmt und wartet auf den einen Anruf, der einem die Miete sichert und berufliche Erfüllung schenkt. Diese Anrufe sind weniger häufig, als man vermuten mag. Da war es ein Befreiungsschlag, etwas nebenher selber aktiv in die Hand zu nehmen. Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich schreiben kann. Für mich ist das wie ein Handwerk. Man arbeitet so lange daran, bis es dem entspricht, was man empfindet, und irgendwann muss man einen Punkt machen und loslassen.

tipBerlin Hat sich das Gefühl der beruflichen Unsicherheit inzwischen gelegt?

Sabin Tambrea Ich war am Berliner Ensemble fest unter Claus Peymann. Dann kam die erste Kinorolle Ludwig II, wonach ich dachte, dass es nun entspannter weitergehen könnte. Doch dann stand das Telefon ein Jahr lang still. Also, es passierte nichts. Eine Garantie, dass man auf der sicheren Seite ist, gibt es für Künstler nicht.

tipBerlin Welche Rollen auf Ihrem Weg bedeuteten Ihnen besonders viel?

Sabin Tambrea hat in „Nackt unter Wölfen“, „Ku’damm“ und „Deutsches Haus“ gespielt

Sabin Tambrea Natürlich Ludwig II, das erste große Projekt, womit ich mich etablieren konnte. „Nackt unter Wölfen“ war meine erste Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Die ZDF-„Ku’damm“-Reihe hat mir zu einer breiten Popularität verholfen, ich verdanke ihr wirklich sehr, sehr viel. Dann, auch mit der Autorin Annette Hess, die Serie „Deutsches Haus“. Und in diese Aufzählung gehört „Die Herrlichkeit des Lebens“ definitiv ganz vorne mit dazu. 

tipBerlin In „Deutsches Haus“ spielen Sie einen Anwalt, der NS-Verbrecher verteidigt. Sind negative Figuren für einen Schauspieler interessanter?

Sabin Tambrea Das war nie mein Wunsch und spielte nie eine ausschlaggebende Rolle für mich. Es ist durchaus angenehmer, positiv auf das Publikum zu wirken, doch bei gewissen Projekten geht etwas über die eigene Eitelkeit hinaus. Ich habe Annette Hess gesagt, ich wäre gern bei diesem Projekt dabei, egal wie klein die Rolle auch sein mag. Die Verantwortung, einem Thema gerecht zu werden, ist wichtiger als eine Figur, die sich populär etablieren kann.

tipBerlin Im Vergleich zu einer Riesenproduktion wie „Deutsches Haus“ ist „Die Herrlichkeit des Lebens“ ein intimes Projekt.

Sabin Tambrea Der Ensemblegedanke bei „Deutsches Haus“ war bereichernd. Diese zwanzig Tage, die wir gemeinsam im Gericht verbracht haben, um ein Gefühl entstehen zu lassen für das, was da Unfassbares behandelt wurde, haben sich tief in meine Erinnerung eingegraben.

tipBerlin Wie sehen Sie im Rückblick die Zeit mit Claus Peymann am Theater?

Sabin Tambrea Ich habe aus eigener Erfahrung wenig Einblick in die heutige Theaterwelt, denke aber schon, dass ich Zeuge eines auslaufenden Theaterbegriffs war, der heute wahrscheinlich so nicht mehr denkbar wäre. Claus Peymann habe ich die ersten Schritte zu verdanken, da er mir viel größere Rollen anvertraut hat, als ich zu der jeweiligen Zeit erfüllen konnte. So konnte ich daran wachsen, ohne großes Augenmerk auf Wirkung und Popularität.

tipBerlin Ist unsere Kultur zu kommerziell?

Sabin Tambrea Es ist wie in jedem Bereich so, dass Zustimmung auch die Mittel sichert, mit denen Projekte finanziert werden. Deshalb bin ich dankbar für Stoffe, die nicht allzu gemütlich mit dem Strom schwimmen, die Fragen stellen und vielleicht auch keine Antwort haben. Unsere Kultur befindet sich gerade im Umbruch, und wir müssen neu definieren und denken, was wir von Kunst eigentlich wollen.


Zur Person

Sabin Tambrea kam im Alter von drei Jahren aus Rumänien nach Deutschland, nachdem seine Eltern aus der kommunistischen Diktatur geflüchtet waren. Er wuchs in Nordrhein-Westfalen auf. 2006 wurde er an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin angenommen. Am Berliner Ensemble war er unter Claus Peymann Teil des Ensembles. Seit 2009 zahlreiche Film- und Fernsehrollen.


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