Jakob jobbt als Fleischhauer, wie man in Wien sagt, und manchmal sind die Schlachtszenen parallel montiert zu seinen Abenteuern im Sex-Video-Chat
Viele ikonische Filme der letzten Jahre mit jungen schwulen Hauptfiguren waren geprägt von einer lebensbejahenden, nahezu heiteren bis märchenhaften Grundtonalität, von „Call Me by Your Name“ bis „Love, Simon“. Ebenso die Netflix-Serien „Special“ und „Bonding“. Und das ist auch gut so, zumal nach all den Storys traumatisierender Coming-Outs in den Jahren und Jahrzehnten zuvor – die ihrerseits ja auch unbedingt erzählt werden mussten.
Gregor Schmidinger, Jahrgang 1985 und drehbuchdiplomiert in Los Angeles, hat nun ein Langfilmdebüt vorgelegt, das mit besagten Feel-Good-Movies (im positivsten Sinn des Wortes) so gar nichts zu schaffen hat: Er führt uns in einen Schlachthof (Vegetarier*innen: bitte Augen zuhalten!), wo Tiere samt Knochen zersägt werden.
Alleine schon der Sound in diesem Film tut weh. Jakob, 17 und sehr sensibel, jobbt als Fleischhauer, wie man in Wien sagt, und manchmal sind die Schlachtszenen parallel montiert zu seinen Abenteuern im Sex-Video-Chat – über den er aus der trostlosen Wohnung ausbricht, wo er zusammen mit Opa und Papa (Josef Hader) haust, die es gut meinen, aber ihn nicht gut verstehen. Psychotische Angststörungen lauern Jakob im Nacken und bestimmen seine Wahrnehmung; der übergriffige Therapeut schafft auch keine Abhilfe. Hoffnungsschimmer: als Jakob den geheimnisvollen Künstler Kristjan im Sexchat kennenlernt – und der ihm eine ungewöhnliche Droge anbietet.
Das klingt etwas nach Haudrauf, wenn man die Handlung kurz zusammenrafft, aber Autor und Regisseur Gregor Schmidinger findet langsame Einstellungen, in denen der Berliner Newcomer Simon Frühwirth glänzt – dafür wurde er beim renommierten Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Die Chemie zwischen den Jungs ist der Wahnsinn, und die Bilder (Kamera: Jo Molitoris) sind so perfekt komponiert, dass man den Film auf einer möglichst großen Leinwand schauen sollte. Die Stimmung (nicht der Plot) hat etwas von Lars von Triers „Melancholia“ und dem Michael Haneke zur Zeit von „Benny’s Video“. In dieser Liga spielt Schmidinger nun schon, bravo!
Nevrland A 2019, 90 Min., R: Gregor Schmidinger, D: Simon Frühwirth, Paul Forman, Josef Hader, Wolfgang Hübsch, Start: 17.10.