Gleichgewicht der Kräfte: Es ist ein Schock für die Nachbarschaft, als Joan Stanley im Jahr 2000 von der Polizei aus dem Reihenhäuschen abgeführt wird. Sie soll Jahrzehnte lang Geheimnisse an die Sowjets verraten haben?
Undenkbar! Dass auf der Kaffeetasse der alten Dame ein Bildnis von Che Guevara prangt, deutet allerdings an, dass der erste Eindruck täuschen könnte.
Szenen, die Sachverhalte knapp und lakonisch auf den Punkt bringen, hätte man sich gern noch mehr gewünscht von diesem Film, der auf einem Roman der Autorin Jennie Rooney basiert. Sie ließ sich von der Geschichte der britischen Physikerin Melita Norwood inspirieren.
Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die 1938 bei ihrem Studium in Cambridge politisiert wird: durch eine Vorführung von Eisensteins Revolutionsfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ und das Engagement gegen die Faschisten im spanischen Bürgerkrieg. Aber auch das Charisma zweier emigrierter russischer Juden spielt dabei eine Rolle: Während Sonya die Erfüllung des Parteiauftrags mit einem Bohème-Lebensstil in Einklang bringt, entpuppt sich ihr Cousin Leo als enthusiastischer Redner, in den sich Joan sofort verliebt. Als sie einige Jahre später Mitarbeiterin eines geheimen Regierungsprojektes wird, kann sie ihre Standfestigkeit unter Beweis stellen. Dabei ist sie keine überzeugte Kommunistin, sondern der Auffassung, dass der Frieden im sich abzeichnenden Kalten Krieg nur durch das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ost und West aufrechterhalten werden kann. Das hätte aus der Perspektive von heute ein Nachdenken über Gewissensentscheidungen in Gang setzen könne. Doch Regisseur Trevor Nunn, eigentlich ein Theatermann, inszeniert das Ganze eher als gepflegte Dreiecksgeschichte und verschenkt damit auch die knappen Auftritte von Judi Dench.
Geheimnis eines Lebens GB 2019, 102 Min., R: Trevor Nunn, D: Judi Dench, Sophie Cookson, Stephen Campbell Moore, Tom Hughes, Start: 4.7.