Zwangspause

Fotobuch „HUSH“ zeigt die Clubkultur Berlins in Zeiten der Stille

Das Buch „HUSH: Clubkultur in Zeiten der Stille“ zeigt Fotos aus den geschlossenen Berliner Clubs. Zusammen mit Porträts der Menschen, die die Nacht an diesen Orten sonst zum Tag machen, ist ein beeindruckendes Zeugnis der Szene in einer Ausnahmesituation.

Foto: Maria Staggat
Das Buch „Hush“ zeigt die leeren Club. Das Watergate hat laut eigenen Angaben Fixkosten von 40.000 Euro im Monat. Foto: Marie Staggat

„Hush“: Ein Porträt des Stillstandes, aber auch der Hoffnung

Zahlen lügen nicht. 2019 berichtete die Clubkommission, dass im Jahr zuvor drei Millionen Clubtouristen nach Berlin reisten. Im Schnitt gaben sie am Tag 205 Euro aus. Sie sorgten für einen Jahresumsatz von 1,48 Milliarden Euro. Die Hauptstadt klebt sich das Image der Clubszene also nicht nur gerne ans Revers, sie spürt es auch in ihrem Geldbeutel. Was interessant ist, da die wenigsten Betreiber*innen mit ihren Clubs großes Geld machen möchten oder können. 

Nun sind wir bald im zweiten Jahr von Corona und die Clubs hängen seit März am Defibrillator der Stadt. Bei der ersten Soforthilfe-Ausschüttung sollen laut der Kulturverwaltung pro Club im Schnitt 81.000 Euro geflossen sein. Beim Watergate wären nach eigenen Angaben nur 25.000 Euro angekommen, das Yaam soll nur 31.000 Euro bekommen haben.

Das leere SchwuZ ist einer der gezeigten Clubs im Lockdown. Foto: Marie Staggat

Den früheren Club-Gästen fehlt gleichzeitig ein Teil ihres Lebens. Manchen mehr, anderen tut die verordnete Feierpause sogar gut. Doch für die Akteur*innen, die einen Club prägen, ist mehr als nur die Arbeitsstelle weg. Sie vermissen ein Zuhause. 

Wie es um sie wirklich steht, zeigt das neue Buch „HUSH: Clubkultur in Zeiten der Stille“. Die Fotografin Marie Staggat und der Journalist Timo Stein besuchten vom April 2020 bis Januar 2021 insgesamt 42 Berliner Clubs und lieferten ein beeindruckendes Zeitdokument der Berliner Subkultur. Sie trafen nicht nur auf die Clubmanager*innen, sondern auch auf Booker*innen, auf Barmänner und -frauen, auf DJs, Reinigungspersonal, Securitykräfte und Hausmeister. Menschen, die die Clubs zu den einzigartigen Orten machten, die wir kennen. Dass dieser Lebensmittelpunkt wegfällt, ist für sie alles andere als leicht.

„HUSH“ zeigt auch die Menschen hinter den Partys: Alex Van Hell, Türsteherin beim Suicide Club, hat im Sommer auf dem Golfplatz gearbeitet. Foto: Marie Staggat

„HUSH“: Clubs sind Orte, an denen einsame Seelen Wurzeln schlagen

„Viele kommen nach Berlin und verwurzeln sich in dieser Musik- und Clubkultur. Davon sind einige auch einsame Seelen,“ erzählt Fotografin Staggat. „Und wenn diese Orte mit den Kolleg*innen und den Gästen wegfallen, das geht nicht spurlos an einem vorbei.“

Staggat kennt sich sehr gut aus in der Szene. Sie arbeitete jahrelang für den Tresor. Die Fotografin lichtete die Leere der Räumlichkeiten ab und schoss Porträts der Menschen meist an einem Ort im Club, der ihnen viel bedeutete. Journalist Stein schrieb ihre Geschichten auf.

Das Anita Berber, ohne Gäste dokumentiert im Fotobuch „HUSH“ – seit Monaten kein Betrieb. Foto: Marie Staggat

Der schreibt eigentlich politische Texte in renommierten Medien. Feiern gehen ist seine Sache nicht. „Ich lebe seit zehn Jahren in Berlin und kann an einer Hand abzählen, in wie vielen Clubs ich war,“ erzählt Stein „Doch ich muss nicht die Begeisterung für die Musik teilen, um von diesen Menschen fasziniert zu sein. Menschen, die mit einer Idee, mit Leidenschaft durchs Leben gehen – mehr geht nicht.“

In der größten Krise ihres Geschäftsmodells hätten sie „immer Verständnis für die politischen Maßnahmen gegen die Eindämmung des Virus‘ gezeigt und alles versucht, um minimal weiter zu existieren: Außenbereiche wurden geöffnet, Food-Safaris angeboten, Clubs zu Bars umgebaut oder virtuell geöffnet.“

Der KitKat-Club, ganz ohne Menschen. Fotos: Marie Staggat

Einer der Menschen, die Platz in dem Buch bekommen haben, ist Kirsten Krüger, die legendäre Besitzerin und Türsteherin des KitKat-Clubs. Sie erzählt im Buch ihre Geschichte, wie sie als Schulversagerin von der Schwäbischen Alp nach Berlin kam und mit Simon Thaur das KitKat aufzog. Heute hat sie bei einer monatlichen Miete von 20.000 Euro einen Haufen „Scheißschulden“ (Zitat Krüger) angehäuft. Zum Interview erschien sie in Gummistiefeln. Sie kam gerade aus dem Harz, wo sie auf einem alten Industriegelände eine Stadt baut, samt „Technohöhle“.

Clubmanagerin und DJane Lilly eröffnete Anfang 2020 hoffnungsvoll das Christa Kupfer. Dann kam Corona. Foto: Marie Staggat

Berliner Clubs: Weitermachen, obwohl der Stecker schon gezogen ist

Viele Besitzer und Manager kämpfen, auch wenn für einige Clubs der Stecker schon vor Corona gezogen war und nur noch der Reststrom durch die Leitungen läuft. „Wir haben auch zwei Clubs besucht, deren Ende schon besiegelt beziehungsweise absehbar ist“, erzählt Stein „Das ://about blank und die Rummels Bucht. Ersteres wird irgendwann einem Autobahnausbau zum Opfer fallen, die Rummels Bucht muss spätestens im Herbst einem Wasserpark und Neubauten weichen. Die wissen, dass die Party endlich ist und trotzdem stecken sie unglaublich viel Energie und Geld rein, hangeln sich von Mietvertrag zu Mietvertrag, in der Hoffnung, doch noch weiter zu machen.“

Der Tresor. Foto: Marie Staggat

Nicht nur die Party ist endlich. Auch das Durchhaltevermögen der Menschen. Diese Befürchtung hat zumindest Staggat: „Ich habe Sorge, dass irgendwann die Luft raus ist bei den Leuten. Dass sie in eine Ohnmacht verfallen und keine Kraft mehr haben weiterzukämpfen und sich neu zu erfinden.“ Diese Befürchtung ist jetzt schon real. In der Szene gab es bereits Fälle von Akteur*innen, die sich das Leben nahmen.

Und die Prognosen sind eher düster. Pamela Schobeß, Vorsitzende der Berliner Clubkommission und Chefin des Gretchens, glaubt nicht, dass vor Ende 2022 der Zustand vor Corona erreicht werden würde.

Die Palomabar, Foto: Marie Staggat

„HUSH — Berliner Clubkultur in Zeiten der Stille“ ist aber mehr als das Mahnmal einer ganzen Szene. Es ist ein zeitgeschichtlich höchst reichhaltiges Dokument von Schicksalen und Anekdoten, von Menschen und Institutionen, die selbst in Berlin einzigartig sind.

  • Das Buch erschien im Parthas Verlag. Es hat 360 Seiten und kostet 30 Euro. Alle Einnahmen kommen beteiligten Berliner Clubs zugute.
Das Gretchen, Foto: Marie Staggat

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Im ersten Corona-Jahr wurde an vielen Orten in der Stadt illegale Partys gefeiert. Ein Blick auf die nicht immer geheime Partykultur in Berlin. Immer wieder bemühte sich die Szene, bei der Pandemieeindämmung zu helfen, ein Vorschlag waren Soforttests fürs Nachtleben. Schon im Frühjahr 2020 hatte ein Fotograf die verwaisten Clubtüren dokumentiert.

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