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Berlins Nachtleben seit Corona: „Bei Sexpartys ist das mit Abstand schwer“

Es gibt sie, die illegalen Partys in Berlin. In Kellern, in abgelegenen Gebäuden, im Geheimen. Aber auch die genehmigten, die plötzlich Polizeibesuch bekommen – und wie die Pornceptual aufgelöst werden. Bei manchen sind Hunderte zugegen, bei anderen ist es ein kleiner Kreis, der zuverlässig zusammen feiert. Auch Sexpartys. Wer sind die Menschen, die hingehen? Was passiert dort? Wie erklären sie ihr Verhalten? Ein Blick auf die nicht immer ganz geheime Partykultur in Berlin.

Berlins Nachtleben: Party ja oder nein? Dort wird gefeiert wird, gilt meist strenges Fotoverbot. Ist ja irgendwie immer noch verboten, ob man es es glaubt oder nicht. Symbolfoto: Michael Discenza/Unsplash

Berlins Nachtleben nach Pandemie-Beginn: Die meisten auf der Sexparty kannte er nur flüchtig

Es ist ein Wochenende Mitte April, als Victoria mit ihrem Kumpel spazieren geht. Abstand und alles, na klar. Victoria spricht gern über ihre Freunde, und an diesem Tag über Stefano. Der in Berlin lebende Italiener, 30 Jahre, habe Corona, erzählt sie. Das ist damals noch halbwegs neu, beide kannten vorher niemanden, der infiziert war. Stefano ginge es schlecht, nicht lebensbedrohlich, aber eben auch nicht gut. „Der hatte einen Test, und danach war er auf einer Party, und jetzt denkt er, er könne es verteilt haben.“ – „Kein Abstand?“ – „Quatsch, war eine Sexparty, mit 30, 40 Leuten. Bei Sexpartys ist das mit Abstand schwer.“

Mitte April hatte so ziemlich alles zu, wo man für gewöhnlich Sexpartys vermuten würde. In Stefanos Fall war es dann auch ein Privatevent, im Keller einer Kreuzberger Bar, in der normalerweise keine Sexpartys stattfinden. Aber es hatte eben alles zu, hatte Stefano Victoria erzählt, dann habe man das eben dort organisiert. Für manche klingt „Sexparty, mit 30, 40 Leuten“ schon ohne Pandemie bedrohlich. Natürlich hat er seine Erkrankung keinem Amt gemeldet. Die meisten Gäste kannte er nicht oder nur flüchtig.

Irgendwann begann die Polizei, den Party-Spot Hasenheide auszuleuchten. Mit den Feiern war es dann weitestgehend vorbei. Foto: privat

Die Suche nach der Party in Berlin und die Begegnung mit der Realität

Es wurde immer mehr Frühling, die Hasenheide erwachte. An einem Abend im Mai waren dort Hunderte im Gebüsch und feierten, als wäre gar nichts. Am Tag darauf offenbarte ein Spaziergang durch die berüchtigten Hecken eine mittelgroße Pimmelparade: Dutzende waren wiedergekommen (oder immer noch da) und vergnügten sich miteinander. Kurz darauf wurde die Hasenheide dann zum Party-Hotspot hochgekocht – und das Partypublikum verzog sich.

Es war ein bisschen der Effekt, der sich in Großstädten immer einstellt: Kommt einer, um das Schmutzige, das Streitbare, das ungeschönte Leben beiseite zu scheuchen, hören die Menschen nicht auf, schmutzige und streitbare Dinge zu tun oder ihr Elend gezwungenermaßen fortzusetzen. Sie packen ihre Sachen und suchen sich neue Ecken. Die Hasenheide als Corona-Antikörper war von Beginn an eine naive Utopie: Mitten in der Stadt, vor aller Augen, wird kaum der neue illegale In-Club hochgezogen werden können.

Die Nachrichten über die neuen Party-Standorte verteilten sich schnell: Mal waren es Google-Koordinaten, die die Eingeladenen in Brandenburgs Wälder führte. Mal einfach nur an den Rosenthaler Platz. Eine Kollegin wurde auf WhatsApp einer Gruppe hinzugefügt, die „Partysommer 2020“ hieß. Fast täglich kamen neue Einladungen, sie ist zuhause geblieben, weil sie doch Respekt hatte.

„Klardenker“ sehen illegale Partys stolz als „politische Haltung“

Ein paar Monate weiter, es ist Herbst, der erste Corona-Herbst. Auf Twitter, zum Beispiel, wüten die „Klardenker“ oder „Freigeister“ – oder wie auch immer sich jene nennen, die die „alternative Wahrheit“ für sich beanspruchen. Die wettern gegen die Menschen, die „Maulkorb“ tragen und anderen Expert*innen glauben, als sie selbst.

Aya Velázquez ist so jemand, sie bezeichnet sich als Anthropologin, Aktivistin und Escort auf Twitter und kritisiert jene, die Corona eben ernst nehmen. In Tweets berichtete sie auch, wie ein „Zeit“-Journalist von ihr auf eine Kellerparty habe mitgenommen werden wollte, die in Berlin stattfinden. Und bei denen Velázquez auch verkehrt. „Ich fand ihn ja grundsätzlich sehr sympathisch, also sagte ich erstmal lässig: ja. Warum auch nicht?“, berichtete sie, um dann Reue zu formulieren.

Junge Leute im Treptower Park feiern eine Party – wohin verlagert sich die Party im Winter? Sicher ist: Aufhören werden viele nicht. Foto: Imago Images/Travel-Stock-Image

„Wenn wir Partys veranstalten in den Kellern Berlins, dann ist das diskursiv hart erarbeitet, politisch brandgefährlich und gleichzeitig sehr intim. Es ist für those who know. Es ist für die, die einen harten Preis zahlen mussten für ihre politische Haltung“, schreibt Velázquez in einem Tweet und will damit dem radikalen Nichtbefolgen der Corona-Verordnungen wohl etwas Heldenhaftes verleihen. So wie manch einer in den Raves in der Hasenheide und in Brandenburg etwas Subversives sehen will, den Spirit der Freiheit und des Aufbruchs nach dem Mauerfall gar.

Selbsterhöhung durch Regelbruch – oder einfach nur Naivität

Die Sexarbeiterin bezieht sich in ihrem kleinen Exposé über die Doppelmoral von „Zeit“-Redakteuren entsprechend auch auf eine besondere, exzessive und gleichermaßen auch schwierige Zeit: „Nein, die wilden Zwanziger in Berlin gibt es nicht für umsonst.“ In den Kommentaren finden viele das alles ohnehin maßlos egoistisch. Ist es auch: Die eigene Wahrheit ist mehr wert als die andere – und sollte sie doch nicht die richtige sein, gefährdet sie eben andere Menschen, Existenzen. Beifall.

Gegenüber dem Verborgenem, der Selbsterhöhung durch Regelbruch, aber auch einfach nur der Naivität und dem Unsterblichkeitsgefühl junger Menschen steht der Versuch, in Berlins Clubs eine legale Plattform zum Feiern zu bieten. Immer mehr Betriebe – zumindest die mit Garten – machten mit Hygienekonzepten auf. Das ging auch weitestgehend gut. Weitestgehend.

Wie viel geschieht wirklich – und wer ist schuld an Ausbrüchen?

Denn gemunkelt wurde viel, und tatsächlich haben auch uns zwei Clubbetreiber gesagt: es gab auch Ansteckungen bei legalen Events. „Mit den steigenden Zahlen war das ja unvermeidbar – wir tun alles, aber spätestens auf der Toilette hat nicht jede Kabine Sicherheitspersonal“, erklärt uns einer. Aber: „Dass da niemals vier Leute fürs Theater zusammen Karten kaufen, die sich dann da zu nahe kommen, und dass nie in manchen Berliner Bars das Glas rumgereicht und aufm Klo gekokst wird – das kann mir auch keiner erzählen.“

Zwischenzeitlich gab es dann doch einen öffentlichen Fall, jemand war krank zur Party gegangen, weil er sein Ergebnis (positiv) nicht abwarten wollte – wobei hier der Club uns gegenüber sofort erklärte, die Party habe quasi davor stattgefunden und man habe damit gar nicht so richtig was zu tun und so weiter. Immerhin: Viele Szene-Leute hatten am Einlass der Party doch die richtige Mail-Adresse hinterlassen und Warnungen bekommen – die sie dann auch in einem Anflug von Anstand hektisch bei Instagram und Co. teilten – um tags darauf doch wieder irgendwo im Nebel zu raven. Das Gewissen war ja beruhigt.

Polizei beendet Pornceptual-Party

Mit (wahrscheinlich) großer Freude zeigte dann Berlins Boulevard-Presse Fotos aus Clubs, auf denen Menschengruppen auf der Tanzfläche zu sehen waren, wohl auch zu nah. Die „taz“ schickte jemanden ins Ritter Butzke, auch da waren vielleicht am Ende nicht alle weit genug auseinander. Und der „Tagesspiegel“ hatte gar einen DJ gefunden, der die Szene in den Dreck zog und von Bars berichtete, die einfach ihre Partys nicht öffentlich machten – wenn vorne die Polizei klopfte, flüchteten die Feiernden hinten aus der Tür.

Und manchmal gab es dann auch die offiziellen Partys, die von der Polizei beendet wurden – am 24. Oktober etwa eine „Pornceptual“-Party in der Alten Münze, eine sexpositive Partyreihe mit Fetisch-Motto. Gäste sollten in passenden Outfits kommen, oder eben nackt. 600 Menschen feierten bei dem – genehmigten – Event. Allerdings wohl nicht so, wie sich die Polizei das vorstellte. Sie beendete das Vergnügen vorzeitig. Von der Polizei hieß es, Abstände seien nicht eingehalten worden, unter anderem.

Mit 50 Leuten feiern – glaubte der Senat wirklich an „Abstand“?

Die großen Namen, etwa das Berghain, gaben sich betont eisern: Drinnen wird mit Boros Kunst ausgestellt, im Sommer ließen die Türsteher um Sven Marquardt (der jetzt Kunst im Friedrichstadtpalast macht) nur wenige in den Garten, dort galt: Abstand. Die Schließung wegen Fahrlässigkeit – die wollte dort niemand. Inzwischen denkt die Clubcommission über Tests an der Clubtür nach.

Sven Marquardt sortiert sonst an der Berghain-Tür das Publikum, vertraut derzeit bei anderen Veranstaltungen auf Maske. Im Sommer durften nur einige wenige in den Garten des Clubs, der Rest machte wohl anderswo trotzdem Party. Foto: Imago Images/Contini

Szenenwechsel – Geburtstag in einer mietbaren Bar in Wedding. 50 Leute hat das Geburtstagkind vorgegeben bekommen, der Berliner wird 30, ihm wären 300 Gäste lieber gewesen. Er geht sonst viel in die Panorama Bar, kennt da irgendwie alle. Bei Facebook hat er vor seinem Jahrestag eine Gruppe gegründet und genau 49 Menschen eingeladen. „Bitte feste Zusagen, keine Freunde mitbringen, und Absagen so früh wie möglich.“ Das war zu der Zeit, als 50 Menschen feiern durften – zusammen. Wobei der Senat sich das vielleicht anders vorgestellt hat. Was aber wohl auch naiv gewesen wäre.

Denn 50 Leute sind eine ganze Menge, wenn diese auf engem Raum, teils leicht bekleidet, zu großen Teilen betrunken und/oder high, bis frühmorgens zusammen tanzen. Und dann danach noch ein Dutzend zum Geburtstagskind weiter nach Hause zieht, um dort nicht nur Skat zu spielen. 50 Menschen, die am Montag danach in Supermärkte laufen, Stadtbahn fahren, andere Freunde, die Familie treffen.

In der Schweiz wurde im Juli wild gefeiert, überall in Europa gab es immer mal wieder Bar- und Cluböffnungen. Nun ist die zweite Welle da. Foto: Imago Images/Lucas

Die Gäste halten dicht und zusammen – und feiern zwei Tage am Stück

Schon vor Wochen hat uns ein Dealer erzählt, dass das Interesse an Drogen kaum versiegt sei während der Pandemie: „Die Leute ballern jetzt daheim.“ Und es war nicht schwer, im Dunstkreis der Berliner Partyszene DJs zu finden, die fernab vom Schlag in Brandenburg auflegten, dann auch mal in einer Kellerbar in Prag und zwischendurch für einen der legalen Raves aufgelegt haben. „Gelangweilt hab‘ ich mich bisher am Ende kaum“, sagt eben jener, dessen Engagements nicht auf Berlin beschränkt waren.

Er hat Videos von einem Rave, Industriebrache am Stadtrand, er schätzt 200 Leute in der Spitze, über den Tag verteilt mehr: „Das ging zwei Tage, in einem großen Verschlag. Die Leute gingen erst, als Alkohol und Drogen komplett alle waren.“ Die Gäste hielten öffentlich dicht: „Bei Instagram wurden dann verwackelte Videos gepostet – oder nur Ton, damit jeder mitbekommt, dass man cool genug ist, um die geheimen Raves zu kennen. Also wenn du das halt geil findest.“ Er habe für Geld und gute Worte aufgelegt: „Muss jeder sehen, wo er bleibt.“ Das Netzwerk funktioniere da auch.

Und so wird es auch weitergehen, wenn es für das letzte legale Open Air zu kalt ist. Corona-Leugner*innen werden sich am Verbotenen berauschen, andere brauchen den Rausch der Musik so dringend, dass sie sich dem besseren Wissen nicht widersetzen können. Oder sie denken einfach: Wird schon nichts passieren. Gerade spricht sehr vieles gegen diesen frommen Wunsch.


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Statt Party einfach mal Besinnung: An diesen Orten seid ihr in Berlin (fast) ganz allein. Und wer feiern war und nun ein bisschen frische Luft braucht, kann ja einen schönen Waldspaziergang machen. Kateressen gibt es übrigens auch in vegan – das beste Comfort Food ohne tierische Produkte.

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