Nachtleben

Wem gehört die Nacht? Wie DJs und Partys Clubkultur neu definieren

Während die Partybranche im Corona-Schlaf ruhte, hat sich eine kleine Revolution angebahnt. Eine neue Generation DJs und Partymacher:innen will mehr als ein bisschen Teilhabe für PoC, Queers und Frauen: nämlich das Berliner Feierleben grundlegend umgestalten, Clubkultur neu machen. Spaßiger, liebevoller, sicherer für alle. Ein Rundgang durch die Nacht im Wandel.

Lotte vom Kollektiv WET, Eli von Slic Unit und Sarah Farina (v.l.n.r.): Sie gehören zu denen, die die Nacht neu gestalten. Foto: Stephanie Neumann

August 2021. In der Berliner Partyszene geht ein Video um, aufgenommen von Nicholas Rose. Der:die Choreograf:in, der:die sich weder als männlich noch als weiblich versteht, klagt darin das Revier Südost an, einen neuen Techno-Club in Schöneweide. Der Vorwurf: Die Türsteher des Clubs hätten Rose, einen Schwarzen Partygast im Fetisch-Outfit, darauf hinwiesen, dass seine:ihre Maske die Nase nicht richtig bedecke – während sie andere, weiße Gäste mit schlecht sitzendem Gesichtsschutz nicht angesprochen hätten. Es sei zum Streit gekommen, mehrere Türsteher hätten Rose aus dem Club gedrängt, berichtet er:sie im Video. Zu diesem Zeitpunkt habe Rose nichts als einen Tanga getragen.

Kaum aus der Pandemiepause zurück, hatte die Berliner Clubszene einen handfesten Skandal, der vom Nachtleben bis in die Tagespresse schwappte. Einen queeren, Schwarzen Gast spärlich bekleidet auf die Straße zu setzen, in Schöneweide, wo auch schon mal rechtsgesinnte Gäste ihr Bier trinken: Geht gar nicht, so der Tenor. Das Revier Südost schloss daraufhin die Pforten, mit dem Hinweis, man wolle den Vorfall aufarbeiten.

Spätestens jetzt war klar: Die Berliner Partylandschaft steckt im Umbruch. Lange rühmte sich die Stadt ihres Rufes, ein Refugium vor der Mehrheitsgesellschaft zu sein. Fast genauso alt wie diese Erzählung aber ist die Debatte darum, dass es vor allem hinter den Kulissen doch nicht so fair zugeht. Schon in den 90ern fiel weiblichen DJs wie Heike Suerman (siehe S. 18) auf, dass sie in der Unterzahl waren; auch Rassismus an der Clubtür ist kein neues Thema. Und schon immer war die Berliner Partyszene auch politisch: In den 70ern und 80ern prägten „Polit-Tunten“ das Nachtleben, später etablierte DJ Ipek mit „Gayhane“ eine queere, migrantische Partyreihe.

Wer ist präsent im Nachtleben, wer darf mitbestimmen?

Nie aber wurde leidenschaftlicher und vielstimmiger um Gerechtigkeit im Nachtleben gestritten als derzeit, nie konnten FLINTA-Personen (Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen) und PoC (People of Color) mehr Druck auf die großen Player in Berlin ausüben – auch dank sozialer Medien. Wie kam es zu dieser Entwicklung? Wer ist präsent im Nachtleben, wer darf gestalten und mitmischen – am DJ-Pult, auf der Tanzfläche und auf Organisationsebene?

Sarah Farina und Eli haben darauf viele Antworten. Beide sind DJs, beide sind Schwarz. Sarah Farina, die ihr Musikgenre als „Rainbow Bass“ bezeichnet, kennt sowohl das internationale Nachtlebengeschäft als auch die Berliner Szene; Eli alias DJ SENU hat 2020 das DJ-Kollektiv Slic Unit mitgegründet, um ein starkes Netzwerk für Schwarze Personen in der Partybranche zu etablieren. Im Zoom-Gespräch sind sich beide einig: Auf Repräsentation zu achten, bei Partys Awareness-Teams einzusetzen, also Aufpasser:innen, an die man sich wenden kann, wenn man sich mit einer Situation unwohl fühlt – all das ist heute normaler als früher.

Ein Meilenstein waren dabei die „Black Lives Matter“-Proteste im Sommer 2020. „Es ist krass, dass wir erst mehr über Rassismus und Diversität reden, auch in der Clubkultur, seit George Floyd ermordet wurde“, sagt Sarah Farina. „Wie viel Scheiße muss passieren, damit marginalisierten Menschen mal zugehört wird?“ Gerade allerdings, sagt sie, befänden wir uns in einer „unangenehmen Übergangsphase“. Die weiße Hegemonialgesellschaft habe gelernt, was man sagen müsse, um als vorbildlich zu gelten: Diversity, Inklusion, „Black Lives Matter“. „Manche sagen das auf wie ein Skript, sie performen die Haltung – was an sich okay ist, wir fangen ja alle irgendwann an, zu lernen“, sagt Sarah Farina.

Wenn die Lieblingsparty unbezahlbar wird

Schmerzhaft werde es aber, wenn sie und andere Schwarze Künstler:innen zum „Token“ gemacht werden: zur Repräsentantin einer Community, die nicht als Musikliebhaberin angefragt wird, sondern primär in ihrer „Funktion“ als Schwarze Frau. „Ich habe das Gefühl, Slic Unit als BIPOC-Kollektiv (Anm. d. Red.: Black, Indigenous, People of Color; dt. Schwarze, indigene und Personen of color) profitiert davon, dass Leute jetzt denken: Die sollten wir buchen“, sagt Eli. Sind sie dabei, könnten Veranstalter:innen einen Haken auf ihrer Diversity-Liste setzen; die Musik sei dabei vielen egal. „Für mein Selbstwertgefühl als DJ ist das nicht cool. Ich bin ja nicht dumm – ich kenne meine Rolle, wenn ich sehe, dass ich die einzige Schwarze Frau in einem Line-Up bin und dann merke, dass sich die Anfragenden nicht mit meiner Arbeit auseinandersetzen. Manchmal kriege ich Mails wie: Kannst du ein House-Set spielen? Ich hab’ noch nie ein House-Set gespielt!“

Wir befinden uns in einer „unangenehmen Übergangsphase“ sagt Sarah Farina (links). Foto: Stephanie Neumann

Diversität, finden beide, bleibe eine oberflächliche Errungenschaft, wenn die üblichen Verdächtigen an den Chefsesseln klebten. „Am Ende geht es nur um Geld, und wenn man zynisch wäre, könnte man sagen, dass Diversität und Inklusion Teil des Programms geworden sind – und uns am Ende vom Kapitalismus wieder als Produkt verkauft werden“, sagt Sarah Farina. „Es ist wichtig, kritisch zu bleiben und sich zu fragen: Will ich in dieses System überhaupt inkludiert werden?“

Während alle nach mehr Diversity rufen, bedroht die Gentrifizierung in Berlin vor allem Clubs, die nicht extrem profitorientiert sind – und damit echte Teilhabe. Im Watergate etwa hatte sich 2019 die Miete innerhalb eines Jahres verdoppelt. Eine Folge war, dass die Partyreihe „Rise“, die als Afrohouse-Nacht viele Schwarze DJs im Line-Up hatte, auf einmal 20 Euro Eintritt kostete. „Damit werden so viele Gäste ausgesiebt, auch aus der Community“, sagt Eli. „Am Ende ist es eine weiße Party mit Schwarzen DJs.“

Der Druck, den Laden auch voll zu bekommen

Unter Druck setzt die Gentrifizierung aber nicht nur Gäste, sondern auch die Veranstalter:innen, die oft lieber Techno-DJs aus London einfliegen lassen, als sich in der lokalen Szene umzuschauen – „weil sie sonst Angst haben, dass die den Laden nicht voll kriegen und ihren Platz in einem Club verlieren“, wie Eli sagt.

Mit wem bekommt man an einem Samstagabend den Laden voll? Der Booker und Promoter Michael Müller muss es wissen. Wir treffen ihn in den loftigen Räumen der „Triangle Agency“ in Mitte. Er ist einer der Geschäftsführer:innen der Berliner Künstleragentur für Techno-DJs und Producer:innen. Als Künstlermanager ist er viel in Europa unterwegs, aber auch seit Jahren in der hiesigen Technoszene. „Damit ein Club überleben und sich auch als Community-Space weiterentwickeln kann, muss er eben Einnahmen generieren und dementsprechend viele Leute anziehen“, sagt er. Und das gehe selbst in Berlin, wo im Vergleich zu anderen deutschen und europäischen Städten deutlich diverser gebucht wird, zur Zeit noch mit meist weiß und männlich dominierten Line-Ups. Hier gäbe es noch einiges zu tun, aber gerade in Berlin sei man erkennbar auf dem Weg.

Dass es etwas voran geht, wenn auch in Minischritten, zeigt die 2020 veröffentlichte FACTS-Studie von female:pressure, einem internationalen Netzwerk für weibliche, trans und nicht-binäre Kunstschaffende aus der elektronischen Musikszene. Darin wurde der Anteil weiblicher Acts bei fast 400 Festivals elektronischer Musik von 2017 bis 2019 untersucht. Der Studie zufolge betrug der Anteil an weiblichen DJs in diesem Zeitraum um die 20 Prozent. Zum Vergleich: bei der ersten Untersuchung 2013 waren das gerade mal zehn Prozent.

Die neuen Netzwerke sind oft noch filigran

Bei Triangle, das große Namen wie Ellen Allien, DVS1 oder Juliana Huxtable im Portfolio hat, schauen sie bei neuen Acts in erster Linie auf den künstlerischen Wert, aber auch darauf, wo sie herkommen und wofür sie stehen. Dennoch sind die Bookingagenturen den Marktstrukturen unterworfen. „Klar, können die sagen: Wir verbuchen 80 Prozent weibliche Artists. Aber das muss auch finanziell aufgehen“, sagt Müller.

Mit wem man den Laden voll bekommt, ist auch eine Frage der Netzwerke und der Community. Die bekannten Vorreiter der Berliner Techno-Szene sind weiß und männlich, die aktuellen Strukturen haben sich über Jahrzehnte aufgebaut. Die Netzwerke der FLINTA und PoC seien vielleicht noch zu filigran, würden eher zerreißen, auch weil es so anstrengend sei, sich die bereits besetzten Räume zu nehmen, sagt Müller. Wenn man diese Räume aber nicht bekommt, kann man keine Events veranstalten, seine Community nicht aufbauen, sich einen Namen machen.

Die Berliner Clublandschaft gilt als Place to be für Menschen, die ihre Sexualität erkunden möchten, völlig egal, ob sie hetero oder homo sind, trans oder cis-geschlechtlich sind. Aber stimmt das so? Nicht, wenn du eine lesbische Frau bist, sagt Lotte, 30. Sie selbst ist lesbisch und Co-Veranstalterin der WET, einer von zwei Partyreihen in Berlin, die sich explizit nur an Lesben, trans Personen, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen richten. Vor drei Jahren ist sie aus Wien nach Berlin gezogen und hat zusammen mit ihren Mit-Veranstalterinnen Anna und Saskia die WET nach Berlin importiert. Zusammen mit der „Girls Town“ steht die Party einsam hunderten nicht-queeren Veranstaltungen gegenüber, Dutzenden für die LGBTQI-Community im allgemeinen – und einigen wie dem Lab.oratory im Keller des Berghain, die nur schwule Männer betreten dürfen.

DJs und Veranstalter:innen denken die Clubkultur neu, darunter: das Kollektiv WET
Das Kollektiv WET veranstaltet eine der wenigen Lesbenpartys in Berlin. Foto: privat

Lesben wollen ihre eigenen Räume

„Viele von uns brauchen diese Räume, um erst einmal ihr Begehren entdecken zu können“, sagt sie. „Und um zu merken, dass sie sich nicht dafür schämen müssen. Und dass lesbisches Begehren super aktiv und lustvoll sein kann.“ In Bezug auf Lesben sei das Klischee, dass sie in ihrer Freizeit hauptsächlich mit der Partnerin auf dem Sofa sitzen, immer noch weit verbreitet. „In meiner Generation gab es lange keine Vorbilder.“

Bei ihren Partys achten die Veranstalterinnen der WET darauf, dass alle Schlüsselpositionen von Frauen, trans oder nicht-binären Personen besetzt sind: die Tür, die Bar, die der DJs und des Awareness-Teams. Das Booking übernehmen sie selbst. Und auch die Mehrheit der Gäste muss weiblich oder weiblich gelesen sein.

Angesichts der großen Sichtbarkeit schwuler Männer sagt Lotte: „Ich beneide die Schwulen schon um ihre Bars und Clubs. Aber ich will sie ihnen auf gar keinen Fall streitig machen. Wir, also die LGBTIQ-Community, sollten uns nicht um das eh schon kleine Stück vom Kuchen streiten, sondern uns zusammen ein größeres Stück von der Mehrheitsgesellschaft erkämpfen.“

Gibt es einen Generationenkonflikt?

Darum, ein größeres Stück vom Kuchen für Queers zu erkämpfen, dürfte es auch ihm gehen: LCavaliero Mann, 41, ist seit fünf Jahren Künstlerischer Leiter des SchwuZ – der schwulen Berliner Club-Institution schlechthin, seit 1977. Mit Partys wie „Hot Topic“ und „Tasty“ hat er Partyreihen im SchwuZ kreiert, die sich ausdrücklich an ein queeres Publikum richten, das nicht weiß und nicht cis-schwul ist, wie es das traditionelle SchwuZ-Publikum vor gar nicht mal so langer Zeit noch größtenteils war.

LCavaliero Mann ist selber trans. Die Kritik von FLINTA-Personen, dass sie in Berlin noch zu wenige Spaces in der Clubkultur haben, findet er berechtigt: „Als eine sich als queer-schwul identifizierende trans Person, die oft durch die stereotype Wahrnehmung meines Gegenübers nicht als Mann gelesen wird“, sagt er, „kann ich das auf jeden Fall nachvollziehen. Ich komme auch in manche schwulen Orte nicht rein – oder muss mich erst mal selber erklären.“ Das kenne er im SchwuZ allerdings nicht, „Weil wir eine sehr offene Tür haben.“ Doch auch das SchwuZ arbeite weiter daran, dass sich FLINTA dort (noch) wohler fühlen. LCavaliero Mann sieht es so: „Es reicht nicht, einfach zu sagen: ,Hier ist eure Party, kommt rein!‘ Der Raum muss, so gut es eben geht, diskriminierungssensibel mit Übergriffen und Ausschlüssen umgehen.“

DJs und Veranstalter:innen denken die Clubkultur neu, darunter: Booker LCavaliero
LCavaliero ist Booker beim SchwuZ und achtet auf Diversität bei den DJs, die dort spielen. Foto: Privat

Wer sich in der queeren Feierszene umschaut, könnte fast meinen, es gebe einen Generationenkonflikt: Auf der einen Seite stehen (inzwischen etablierte) Schwulen-Aktivisten der ersten Stunde; auf der anderen Millennial-Queers, die andere Probleme sehen und Vorlieben haben, mit der harten Schwulen-Ästhetik im Berghain etwa nichts anfangen können. „Es gibt diese Szenen unabhängig voneinander“, sagt LCavaliero, „aber ich glaube auch, dass sich über den Queer-Begriff viele Menschen vereinen konnten. Das ist eine schöne Entwicklung, dass die Communitys so aufeinander zugegangen sind.“

Dann erzählt er von Daisy, einer der Gründungstunten vom SchwuZ, die auch den ersten Berliner CSD mitgemacht hat: „Sie hat eine ganz große Offenheit, sich diesen neuen Strömungen zu öffnen und mit ihnen zu arbeiten. Es gibt allerdings auch einige, die nicht so sind, sondern Vorbehalte und auch Ängste haben – übrigens auf allen Seiten.“

Das SchwuZ hat seine Hausaufgaben gemacht

Das SchwuZ, so scheint es, ist ein Ort, an dem Grabenkämpfe in der queeren Szene überwunden werden. Um Rassismus gab es aber auch dort schon Debatten. 2017 stieg im SchwuZ eine Beyoncé-Party, bei der einige Schwarze Menschen an der Clubtür abgewiesen wurden. Das Tür-Team im SchwuZ zerfiel danach – weil der Druck so groß war. „Wir haben dann ein neues Tür-Team aufgebaut und ganz viel darüber gesprochen: Wie gehen wir mit solchen Situationen um? Wie können wir es besser machen? Das hört nie auf. Ich finde, dass man natürlich auch Fehler macht – wichtig ist, dass man daraus lernt und Verantwortung übernimmt“, sagt LCavaliero. Seit dem Vorfall finden verstärkt Schulungen zu Diskriminierung und Diversity im Team statt.

Auch zwischen Nicholas Rose und dem Revier Südost gab es eine Aussprache: Das Team hat sich entschuldigt und sich mit Expert:innenhilfe zu struktureller Diskriminierung weitergebildet. Und es gibt weitere, konkrete Änderungen, wenn der Club jetzt, am 20. November, wieder öffnet: In Zukunft wird ein Awareness-Team bei den Partys anwesend sein. Auch bei den Türsteher:innen gab es Konsequenzen. Chef-Bouncer ist nun die Türsteher-Legende Smiley Baldwin, der – selbst Schwarz – für mehr Sensibilität im Team sorgen dürfte. Baldwin bringt sein eigenes Team mit, die Türsteher, die Rose bedrängt hatten, sind also nicht mehr im Dienst.

Dass es eine tolerante Fehlerkultur braucht in diesem Lernprozess, in dem wir uns alle befinden, glaubt Lutz Leichsenring vom Lobbyverband Clubcommission (CC). In Zusammenhang mit diskriminierenden Vorfällen in Clubs beobachte er eine Tendenz, mit Social-Media-Kampagnen die Orte und Veranstalter:innen zu brandmarken. Wie in den beschriebenen Fällen sichtbar, nehmen die Läden und die Künstler:innen Schaden. Für die CC seien sogenannte „Call-Outs“ und Cancel-Aktionen keine Option, so der Sprecher. „Unsere Aufgabe ist es, mit den Clubs zu reden, Strukturen zu verändern und das ist ein langfristiger, harter Kampf.“

Utopien brauchen Finanzierung

Die CC steht mit dem „Arbeitskreis Awareness“ beratend zur Seite. Daraus ist auch die vom Senat finanzierte „Awareness Academy“ hervorgegangen – mit der Idee, dass Leute aus den Communitys befähigt werden, in ihren eigenen Räumen für Diskriminierung zu sensibilisieren. „In der Reggaeszene hast du andere Herausforderungen und Probleme als in der Technoszene“, sagt Leichsenring.

Im nächsten Projektantrag der CC ist auch ein bezahlter Anti-Diskriminierungsbeauftragter vorgesehen. Bisher kümmern sich die meist ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen der CC um Beschwerden. Leichsenrings Einschätzung nach stehen die Chancen gut, dass die kommende Regierung eine Senatsstelle schafft, die sich allein um die Clubkultur kümmert. „Man hat gemerkt, wie relevant das Thema für die Stadt und die Senatsverwaltung ist“, sagt er. Das würde mehr Geld und dementsprechend neue Budgets bedeuten. Und damit auch: mehr Mittel, um Clubs zu sichereren Räumen für Gäste und Künstler:innen zu machen.

Überhaupt ist das Stichwort: Geld. Denn gute  Finanzierung braucht es auch für Utopien. Und von denen haben etwa Sarah Farina und Eli jede Menge. „Ich bin müde vom Reden, ich will jetzt mal was machen“, sagt Sarah Farina. „Ich möchte schauen, wie wir uns anders organisieren können. Ein Anfang wäre, DJ-Gagen transparent zu machen. Wenn ich auf einem Festival gebucht wurde und die einzige Schwarze Person im Line-Up bin, sieht mein Auftritt für die Veranstalter:innen vielleicht ganz gut aus – aber wenn ich dann weniger Geld als die weißen Männer bekomme, die einen ähnlichen Bekanntheitsgrad haben wie ich: Ist das wirklich Diversität und Inklusion? Ich weiß ja nicht.“

Sollten DJs mit fetten Gagen etwas abgeben?

Sarah Farina selbst hat eine Klausel in ihrem Vertrag, die ihr zusichert, einen Gig abbrechen zu können, wenn sie Diskriminierung erlebt. In der Pflicht zur Solidarität sieht sie aber nicht nur Veranstalter:innen, sondern auch einflussreiche Kollegen. „Ein paar männliche DJs haben angefangen, in ihren Vertrag zu schreiben, dass sie nur auf Partys spielen, auf denen es eine bestimmte Anzahl weiblicher DJs gibt“, sagt sie. Eine weitere Idee von ihr: Vielleicht könnte etwa ein weißer DJ, der Afrohouse auflegt, fünf Prozent seiner 10.000 Euro-Gage in die Schwarze Community fließen lassen, aus der diese Musik ja kommt?

Ob in New Yorker Ballrooms oder Londoner Dub-Clubs, Clubkultur wurde geprägt von BIPOC und queeren Menschen – die heute oft wenig von dem Geld sehen, das in der Branche gescheffelt wird. „Man könnte der Community etwas zurückgeben, indem man Clubs tagsüber als Jugendeinrichtung nutzt, in der Kids sich Dokus über Detroit und Motown Music angucken können“, sagt Sarah Farina.

DJs und Veranstalter:innen denken die Clubkultur neu, darunter: das Kollektiv Slic Unit.
Denken Clubkultur neu: das DJ Kollektiv Slic Unit. Foto: Joanna Le Grid

So eine Form von Community-Arbeit könnte dazu ein weiteres Problem der Partyszene mildern: die mangelnde Zugänglichkeit dieses vermeintlichen Freiraums, der doch so oft auf Distinktion bedacht ist. „Man kann nicht einfach mal loslegen und eine Afrohouse-Night aufbauen, sondern muss die richtigen Leute kennen“, sagt Eli. „Mit Jugendarbeit könnte man dafür sorgen, dass Menschen außerhalb der privilegierten Zirkel früh mit Themen wie Auflegen oder Veranstalten in Berührung kommen.“

Viele Geschichten müssen erst erzählt werden

Sarah Farina glaubt, dass es wichtig ist, Wissen zwischen den Generationen auszutauschen. „Es gibt Literatur über die Geschichte der Berliner Technoszene, aber was ist mit der Sicht der Schwarzen Community auf die Techno-90er?“, sagt Sarah Farina. „Wie groß war der Einfluss der GI-Discos in Westberlin? Da sind viele Geschichten noch nicht erzählt und gehört worden.“

Eine Möglichkeit zum Austausch bietet der von der Clubcommission initiierte Tag der Clubkultur, der dieses Jahr zum zweiten Mal stattfand, gefördert vom Senat. Bei einer Preisverleihung im Rahmen der Veranstaltung wurden 40 Clubs und Kollektive mit je 10.000 Euro ausgezeichnet. Zwei Drittel der Preisträger:innen waren Kollektive. „Für mich war es überraschend, wie viele Namen da aufgepoppt sind, die ich bisher nicht kannte“, sagt Leichsenring. PoC-, queer- und trans-geleitete Kollektive wie „House of Living Colors“, „Grrrl-Noisy“ oder „Heartqore“ und Reihen wie „Emergent Bass“ gehören zu den Motoren der neuen Berliner Szene.

Ausgerechnet die Corona-Krise könnte dabei etwas Positives angestoßen haben. Denn im Sommer öffneten einige Clubs wieder, das Reisen war aber noch eingeschränkt. Veranstalter:innen haben sich intensiver in der Stadt umgeguckt, weshalb auch undergroundigere DJs und Partyreihen ins Blickfeld rückten. Einen weiteren Ansatz, um vom Druck wegzukommen, immer nur berühmte DJs einzuladen, bringt Sarah Farina ins Spiel: Die befreundete DJ Gîn Bali erzählte ihr kürzlich von der Idee, Feierfans eine Art jährlichen Clubbeitrag zahlen zu lassen – dann kämen die Leute vielleicht auch zu Partys, wenn die DJs keine Superstars sind.

Noch klingen solche Ideen utopisch. Aber wenn man eintaucht in diese neuen Berliner Nächte, sich umspülen lässt von der Solidarität, zu „Rainbow Bass“ tanzt und träumt – dann wächst zumindest die Hoffnung darauf, dass alles auch ein wenig anders laufen könnte.

Autor:innen: Julia Lorenz, Stefan Hochgesand, Ina Hildebrandt und Xenia Balzereit


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