Bericht

Melt 2023: So gut war das Festival zwischen Technokunst und Klassensprechern

Berliner Ravefans, Christian und Carsten auf Koks, Musikbegeisterte: Das Melt hat 2023 wieder einigen Zielgruppen gute Tage in Ferropolis bei Gräfenhainichen versprochen. Und: Das Versprechen auch weitestgehend gehalten. Warum zwischen Badesee und Ballerei das Festival Melt weiterhin eine Bank bleibt – trotz oder gerade wegen den Besucher:innen.

Die Main Stage des Melt liegt jetzt am Strand – und bietet weiterhin eine grandiose Perspektive auf zeitgenössische Musik und Sachsen-Anhalts Industrievergangenheit. Foto: Sebastian Scherer
Die Main Stage des Melt liegt jetzt am Strand – und bietet weiterhin eine grandiose Perspektive auf zeitgenössische Musik und Sachsen-Anhalts Industrievergangenheit. Foto: Sebastian Scherer

Melt 2023: Weniger Bühne, viel Ballerei

Erst einmal beginnt das Melt mit einer kleinen Enttäuschung: Die große Betonfläche, eine regelrecht Arena im Eingangsbereich, bleibt 2023 unbespielt. Die Big-Name-DJs, die im vergangenen Jahr noch dort auflegten, bespielten nun die Big Wheel Stage in einem der riesigen Schaufelbagger, stiller Zeuge des früher hier stattgefunden Tagebaus. Zu wenig los dieses Jahr? 

Am Big Wheel spielen die Technoszenegrößen, zum Beispiel der am Samstagmorgen grandios alles zerlegende Boys Noize und Chippy Nonstop im B2B mit DJ Hyperdrive – die da dann auch um fünf Uhr morgens, leider vergeblich, um fünf weitere Minuten für das sensationell aufpushende finale Set auf dem Festivalgelände feilschte.

Die Hauptbühne war dann den im Mainstream der Elektrowelt angelangten Namen vorenthalten. Wenn Solomun hier einen Toxic-Remix und die neue Single von Nelly Furtado droppt, ist das erquicklich und mitreißend und sicher das richtige für viele anwesende Engländer:innen auf LSD (“The lights here are so amazing, what a great DJ”, as heard during Biceps Live-Show). Im Berghain würde die DJ-Selection aber nur fürs Rümpfen gepudeter Nasen sorgen.

Gabber und Roisin Murphy: An Vielfalt mangelt es dem Melt nicht

Schön dafür: Dass hier auch Künstler:innen einen Raum fanden, die nicht auflegen, sondern auftreten: Roisin Murphy bleibt weiterhin eine grandiose Sängerin, die mit ihrer Live-Band herlichst Disco mit Pop verheiratet, die uns im fetten Bass ertränken will, nur um Minuten später aus ihrem Moloko-Klassiker The Time Is Now eine vom loungingen ins trippige abdriftete Soundcollage zu produzieren. Shygirl scheppert durch ihre Elektro-Raps, als würde es kein morgen geben. Und Sevdaliza stellt ihren Experimental-Pop zwischendurch kurz beiseite, um ein paar Remixe im drei- bis fünffachen BPM-Tempo der Originale vom Pult aus ins Publikum zu entladen.

Was auffällt: Komplett voll ist das große Feld vor der Gremmin Stage am Strand nur einmal: Als das Berliner Musikproduzenten und DJ-Duo Brutalismus 3000 ihren oft in Gabber reichende Techno abfeuert. Zwischen tutigen Dido-Remixen mit gefühlten 4000 BPM und eigenen Songs ist das sehr schnell, sehr laut und irgendwie auch sehr geil, wenngleich für ungeübte Hörer auch etwas überfordernd nach einiger Zeit.

Melt 2023: Abi-Geld für Teile auf den Kopf gehauen

Aber Hardcore und Rave ist gerade eben der hot Shit auch für die Dorfjugend und nicht mehr der Berliner Club-Elite vorbehalten. Die 90er sind an jeder Ecke zurück, stilistisch in Ton und Mode. Auch Kerstin aus Buxtehude finden Techno jetzt eben gut. Das Melt fängt die jüngeren Besucher:innen ganz zielsicher mit einer Autoscooter-Bühne nahe des Eingang ab. 

Beach Stage: Nahe dem Campingplatz geht die Melt-Party nach der Schließung des Hauptgeländes weiter - Tanzen rund um die Uhr möglich. Foto: Sebastian Scherer
Beach Stage: Nahe dem Campingplatz geht die Melt-Party nach der Schließung des Hauptgeländes weiter – Tanzen rund um die Uhr möglich. Foto: Sebastian Scherer

Gerade bei DJ Heartstring bebt da der Boden im wahrsten Sinne, und die Glückseligkeit der kleineren Bühnen für Geheimtipps und Kollektive im hinteren Teil des Geländes weicht hier einer etwas weniger zauberhaften Rummelbums-Atmo Marke “Abi-Geld von Oma und Opa für Koks und Teile auf den Kopf gehauen”, in der auch der Klassensprecher der 12b Buxtehude mal richtig aufdreht. Hier wird dann auch mehr Deutsch gesprochen, während andere Teile des Festivals fast komplett Englisch kommunizieren.

Das Melt findet sich weiter, aber die Suche bleibt ein Vergnügen

Zwischen diesen verschiedenen Zielgruppen hat das Melt nun die Aufgabe, sich eine Richtung auszusuchen: Können alle weiterhin nebeneinander existieren? Noch ist es ein Festival mit einer in den meisten Momenten brillanten Atmosphäre – die Magie des Industriedenkmals triftt ein immer noch starkes, wenn auch weniger sensationelles Line-up als 2022 und fast nur gut gelaunte, liebevolle Menschen. 

Aber es ist noch Platz auf dem Gelände, die Konkurrenz ist groß und der Wirtschaftsdruck sicher gigantisch. Dass die meisten nächstes Jahr wiederkommen, dürfte nach 2023 aber zumindest gesetzt sein.


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