Pussy Riot sind genau die Revolutionsband, die es in Zeiten der russischen Ukraine-Invasion braucht. Kaum eine Musikgruppe hat in ihrer politischen Radikalität mehr internationales Aufsehen erregt. Feministisch, regimekritisch, schonungslos: Für ihren Einsatz mussten die russischen Musikerinnen sogar in Haft. Am 12. Mai spielten Pussy Riot nun im Rahmen der Performance „Riot Days“ im Funkhaus Berlin. Sängerin Marija Aljochina war erst wenige Tage vorher in einem filmreifen Coup aus dem russischen Hausarrest nach Europa geflohen. Die Show war kein Konzert, sondern eine performative Verarbeitung von Trauma, Schicksal, Wut und dem unerbittlichen Kampf gegen ein Unrechtsregime. Ein Event mit Durchschlagskraft – unser Autor war dabei.
Pussy Riot: Radikal zwischen Kathedrale und Gitterstäben
Pussy Riot machen nicht nur Musik, sie befeuern die Revolution. Die russische Band katapultierte sich 2012 mit einer waghalsigen Aktion in die weltweite Berichterstattung. So stürmten die Musikerinnen am 21. Februar den Ambo der russisch-orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, um mit einem illegalen „Punk-Gebet“ gegen die Allianz von Kirche und Staat zu protestieren. Ein Protest mit Konsequenzen: Die Bandmitglieder Nadeschda Tolokonnikowa, Marija Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch wurden festgenommen, zwei Jahre Freiheits- und eine Bewährungsstrafe wurden von der Richterin Marina Syrowa ausgesprochen.
Es folgten Haft, Gefangenenarbeit und Hungerstreiks. „Der erste Hungerstreik ist wie die erste Liebe, man weiß nicht, was passiert“, rezitiert Aljochina ihr 2017 erschienenes Buch „Tage des Aufstands“ während der Show im Funkhaus Berlin. Das Publikum zuckt zusammen, Fäuste werden geballt, Beifall, Bewunderung. Stoische Beats, schwindelerregende Saxofonimprovisationen von Anton Ponomarjow, die „Riot Days“-Performance transportiert die Menge und die Band selbst in einen Rausch aus Verständnislosigkeit, Schmerz und Wut. In dieser Nacht im Funkhaus gibt es keine Zuhörerenden, keine Musizierenden sondern Leidenspartner:innen, Mitstreiter:innen.
Das Schicksal von Pussy Riot markiert einen Umbruch, die Etablierung einer gnadenlosen Härte, mit der das russische Gericht mit Systemkritiker:innen bis heute umgeht. Vor mehr als zehn Jahren löste die Inhaftierung der Aktivist:innen einen internationalen medialen und politischen Aufschrei aus. Politische Akteure wie US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel, Prominente und Menschenrechtsorganisationen solidarisierten sich mit Pussy Riot. Ende 2013 wurden Aljochina und Tolokonnikowa vorzeitig freigesprochen. Jekaterina Samuzewitsch war bereits vorher auf Bewährung entlassen worden, da sie bereits vor dem Auftritt aus der Kathedrale gebracht worden war.
Während der Performance im Funkhaus Berlin am 12. Mai flackern minutenlang Fotos von politischen Gefangenen in Russland über die Leinwand. Der solidarische Applaus und die Bilder von Menschen hinter Gittern bleiben auch Stunden nach dem Konzert und hoffentlich lange in den Gedanken verankert.
Der Pussy Riot ist wichtiger denn je
Die aktuellen Ereignisse in Russland und der Ukraine machen erneut schmerzhaft klar: Der Pussy Riot ist wichtiger den je und stellvertretend für sämtliches Unrecht. Seit ihrer Freilassung sind Aljochina und Tolokonnikowa weiterhin künstlerisch aktiv. Außerdem gründeten sie das russische Menschennrechtsprojekt MediaZona und ein Hilfszentrum für Häftlinge in der Region Mordwinien, wo auch Tolokonnikowa im Straflager IK-14 harte Arbeit hatte verrichten müssen.
Die „Riot Days“-Performance, die an diesem Abend wie eine Keule durch das Funkhaus schwingt, startete Aljochina Ende 2016 gemeinsam mit dem Musikproduzenten Alexander Cheparukhin. Regie führt der einflussreiche russische Theaterregisseur Yury Muravitsky.
Show mit Schlagkraft: „Riot Days“ mit Pussy Riot im Funkhaus
Besonders spannend: Sängerin Aljochina war noch eine Woche vor dem Konzert im Hausarrest in Russland, der ihr im Zusammenhang mit einem Instagram-Post von 2015 und einem Demonstrationsaufruf für den inhaftierten Kreml-Gegner Nawalny auferlegt worden war. Der Musikerin und Aktivistin gelang die Flucht, indem sie sich von dem elektronischen Tracking-Armband löste und als Essenslieferantin getarnt die Polizeibeamten vor ihrer Tür täuschte. Über Belarus, Litauen und Island gelangte sie schließlich nach unzähligen Strapazen in Berlin. „Wir haben es geschafft, und das ohne gültigen russischen Pass“, sagt Produzent Cheparukhin. Pussy Riot seien die Stimme all der mutigen Menschen, die nicht gehört werden und deren Rechte geraubt wurden. Ob Aljochina jemals nach Russland zurückkehren kann, bleibt ungewiss.
Das Konzert im historische Funkhaus Berlin am 12. Mai war der Auftakt der Anti-Kriegs-Tour des Pussy-Riot-Kollektivs, die unter anderem in Rostock, Amsterdam, Zagreb und Barcelona gastieren wird. Die gesamten Einnahmen werden an minderjährige ukrainische Flüchtlinge gespendet. „Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich für sie kämpft“, schreit Aljochina. Paralysiert bleiben die Leute noch einige Zeit vor dem Funkhaus stehen, bevor sie die Tram aus diesem so wichtigen Alptraum zurück in die Innenstadt fährt.
Nicht nur Pussy Riot solidarisieren sich mit der Ukraine: So könnt ihr Menschen aus der Ukraine in Berlin unterstützen. Ihr wollt euch zusätzlich einbringen? Soziales Engagement in Berlin: Von Sprachcafé bis Straßenfeger. Wenn ihr etwas abgeben wollt, findet ihr hier Berliner Einrichtungen, die sich immer über Sachspenden freuen. Alles, was Berlin bewegt, findet ihr in unserer Stadtleben-Rubrik. Immer Aktuelles zu Musik in Berlin findet ihr hier.