Konzertkritik

Sarah Connor live in Berlin: „Hetzerin“ mit Herz

Sarah Connor ist Deutschlands erfolgreichste Popsängerin. Zurecht! Denn auch, wenn die Haltung manchmal mit dem Holzhammer kommt, ist sie zeitweise erfreulich politisch. Es hätte den Mainstream schlimmer treffen können. Das beweist sie erneut auf ihrem Berlinkonzert in der Waldbühne. Ein Loblied.

Sarah Connor zeigt bei ihrem Berlin Konzert am 25. August klare Haltung. Foto: Imago/Jan Huebner

Sarah Connor: Seit vier Jahren auf „Herz Kraft Werke“-Tour

Etwa nach der Hälfte der mehr als zweieinhalbstündigen Show Freitagabend in der Waldbühne hält Sarah Connor inne. Ja, ein bisschen überwältigend ist es dann doch, auch nach gefühlt 500 Konzerten dieser einen Tour, vor 22.000 Menschen in ihrer Wahlheimat Berlin zu stehen. „Meine Familie, meine Freunde, alle hier, und hier, super“, sagt sie.

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Tatsächlich ist Connor die erfolgreichste deutsche Popsängerin, danach kommt lange nichts, oder man muss eben abbiegen in den Schlager, da wäre noch die Fischer, aber auch dann wieder lange nichts. „Herz Kraft Werke“ heißt das Album, mit der die 43-Jährige tourt, aber so heißt die Tour schon lange nicht mehr, auch hier in Berlin ist es einfach das „Summer Open Air 2023“.

Mag daran liegen, dass dieses besagte zweite deutschsprachige Album inzwischen vier Jahre alt ist und von Connor exzessiv (mit Corona-Pause) betourt wurde. Mehrfach schon in Berlin hat sie damit gespielt, in Willingen, auf Sylt, in Müllrose, wirklich überall. „Wird Zeit für ein neues Album, aber ihr lasst mich ja nicht“, sagt sie und meint ihren Terminplan, der bis jetzt ziemlich voll war. Eben genauso wie ihre Konzerte.

Sarah Connor: Perfekte Zielgruppenanalyse trifft Nostalgie und Herz

Aber warum eigentlich ist ausgerechnet Sarah Connor so erfolgreich? Nun ist Pop zumeist in Richtung Popularität gedacht. Die 43-Jährige hat nun den großen Vorteil, dass sie gleichzeitig extrem bodenständig und locker rüberkommt, aber eben auch eine gewisse „No-Bullshit“-Attitüde mitbringt. Dazu hat sie ein herausragendes Talent, die Gefühlslage der breiten Masse textlich einzufangen: dass das Herz immer ein bisschen am Heimatkaff hängt („Kleinstadtsymphonie“), dass früher alles leichter war („Freibadpommes“), dass Menschen sterben („Das Leben ist schön“), dass die eigenen Kinder toll sind („Wie schön du bist“) und dass man die Gedanken an den Ex nicht immer so leicht los wird, wie man das will („Kommst du mir ihr?“). Alles was fürs Herz.

Sarah Connor steht für die richtigen Sachen ein und wird dafür nicht immer von allen gefeiert. Foto: Imago/Jan Huebner

Dazu ist Connor mit ihrem Publikum aufgewachsen und bildet nicht nur die gegenwärtige Lebenswelt zwischen Kindern, Arbeitsfrust und Abenteuersehnsucht ab, sondern liefert auch den Nostalgiefaktor gleich mit: Ihre englischen Hits wie „Let’s Get Back To Bed – Boy!“, „From Zero To Hero“ und „Bounce“ hat sie im Medley zusammengeschustert (und bekommt darauf eine der stärksten Reaktionen des Abends, 22.000 Menschen zurück in den 2000er-Popclub gebeamt, quasi).

Zuhause Geflüchtete, im Text „AFD-Idioten“, um den Hals Regenbogenfahne

Das ist alles nicht absurd kreativ, aber eben nah dran. Und irgendwie ist Sarah Connor auch die, bei der man das Gefühl hat, dass dieser ganze Erfolg nicht nur Ergebnis einer Zielgruppenanalyse und einer wirklich starken Stimme ist, sondern auch wirklich verdient ist. Denn es hätte das Land wirklich schlechter treffen können in Sachen Mainstreammusik. Connor hat schon vor Jahren syrische Geflüchtete aufgenommen, nun beherbergt sie nach eigener Auskunft zwei ukrainische Familien.

Sie schreibt Songs über „AFD-Idioten“ (wofür sie zum Beispiel in Willingen auch von Teilen des Publikums ausgepfiffen wurde) und darüber, dass Gott nicht die Entschuldigung für jedes Fehlverhalten sein kann. Hartnäckig behängt sie sich zum Mitsinghöhepunkt „Vincent“ eine Regenbogenfahne um den Körper und spricht bei so ziemlich jeder Show darüber, dass doch einfach alle machen sollen, wie sie wollen, und dass das keinen zu stören hat. Die letzten Shows der Tour beendete sie mit „Augen auf“, einem Antikriegssong, die Erlöse einiger T-Shirtverkäufe gehen an Ukraineprojekte.

Antikriegssongs für „Systemlinge“: Sarah Connor macht alles richtig

Ja, Tocotronic schreiben die clevereren Texte, und Hannes Wader hat den Krieg schon vor Jahrzehnten musikalisch verkopft. Und ja, als erfolgreiche, heterosexuelle Cis-Frau hat die Connor leicht reden. Aber, und das ist ein großes Aber: In einer Zeit, in der sich die politische Mitte mit Schwung nach rechts ausdehnt, ist es durchaus bemerkenswert, dass die Sängerin Haltung mitbringt. 

Sarah Connor live in der Berliner Waldbühne. Foto: Imago/Jan Huebner

Man mag ihr dabei teils Holzhammerlyrik vorwerfen, aber die, gegen die sie singt, nutzen auch eher Parolen denn Poesie. Und in dem Markt, den Connor besetzt, ist die politische Positionierung oft eher Ausnahme – es könnt ja Kundschaft verprellen. Und ganz oberflächlich betrachtet sind das deutsche Debüt „Muttersprache“ und der Song „Deutsches Liebeslied“ schon so betitelt, dass es bedarfsgerecht auch nach rechts ausgelegt werden könnte. Das Gegenteil ist der Fall.

Sarah Connor: Die „Hetzerin auf allen Ebenen“? Gut so!

Entsprechend wird Connor in Kommentarspalten auch stets gut angegangen. Unter einer Konzertkritik der „Berliner Zeitung“ beschimpft bei Facebook der Mob Connors Fans gerade wieder als „Systemlinge“, weil sie sich für Corona-Impfungen eingesetzt und, oh nein, die AFD offenbar scheiße findet. Eine „Hetzerin auf allen Ebenen“ sei sie, schimpft ein anderer.

Gut so! An seinen Feinden erkennt man eben auch oft die Werte eines Menschen. Und am langen Applaus erkennt man an der Waldbühne, dass volksnah auch mit Rückgrat funktioniert. Klar, vieles war gefällig. Aber nicht gefallsüchtig.

  • Eine Ehrenrunde dreht Sarah Connor 2023 noch: Am 3. Dezember gibt es die „Not So Silent Night“ in der Mercedes-Benz Arena, Tickets gibt es ab 80 Euro, weitere Infos hier

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