Rund 120 Kilometer südöstlich von Berlin wurde in Göritz das zweite Wochenende in Folge gefeiert: auf dem Festival Milde Möhre – legal und draußen. So funktioniert ausgelassenes Feiern in der Pandemie. TipBerlin-Autorin Klaudia Lagozinski war dabei.
Die Macher*innen der Milden Möhre beweisen: Es geht. Auch während einer Pandemie kann ausgelassen gefeiert und getanzt werden – wenn sich alle an die durchdachten Regelungen der Veranstalter*innen halten. Und das taten sie. „Wir sind sehr froh, dass wir sagen können: Feiern, Ekstase und selbst drei Tage Festival sind mit dem entsprechenden Infektionsschutz vereinbar“, sagt Alexander Dettke, Mitbegründer des Festivals.
Während die meisten Musik- und Tanzfestivals in Deutschland dieses Jahr abgesagt wurden, hat das Team hinter dem Festival, das eigentlich „Wilde Möhre“ heißt, dieses in „Milde Möhre“ umgetauft und auf fünf Wochenenden ausgeweitet, an denen jeweils maximal 1.000 Personen teilnehmen dürfen. In den letzten Jahren besuchten bis zu 7.000 Menschen das elektronische Musikfestival.
Im Juni hatte das Bundesland Brandenburg beschlossen, Musik- und Tanzveranstaltungen mit dieser Maximalanzahl an Gästen und einem von den Veranstaltern vorgelegten Hygienekonzept zu erlauben. Ursprünglich hätte die Wilde Möhre vom 6. bis zum 10. August stattfinden sollen.
Infektionsschutz auf Campingplatz und Dancefloor
Bei der Milden Möhre sah die Umsetzung des Hygienekonzept wie folgt aus: genügend Abstand auf dem Campingplatz, ein „Rave-Shield“ zu jedem Ticket, Stationen mit Desinfektionsmittel und viele Schilder, die Besucher*innen überall auf Festival- und Campinggelände daran erinnerten, ihren Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wenn der Mindestabstand von 1,5 Meter nicht eingehalten werden könne.
Ein Achtsamkeitsteam lief an allen Festivaltagen auf dem Gelände herum und verwies auf den Mindestabstand und die Maskenpflicht. „Das Team hat auf den vorherigen Veranstaltungen gelernt, wie man in diese Situation reingehen muss. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, in dem es Probleme mit dem Infektionsschutz gab“, erzählt Dettke. Festivalbesucher*innen, deren Maske abhandengekommen war, bekamen eine neue – oder eben ein Face-Shield. Besonders wichtig war dem Festivalmitgründer, dass auf den zwei Dancefloors eine gute Stimmung herrscht.
Bei Missachtung der Maskenpflicht geht die Musik aus
„Andere Veranstalter dachten über Metallkäfige oder Abstandsmarkierungen auf den Floors nach – das macht die Stimmung kaputt. Wir haben uns mit dem Gesundheitsamt darauf verständigt, dass wir überall dort, wo es vorkommen könnte, dass sich Menschen zu nahekommen, zum Tragen einer Maske verpflichten“, erklärt Dettke. Hierfür dachte sich das Team ein Ampelsystem aus, sichtbar in der Nähe des DJ-Pults. Grün bedeutet: Alle halten sich an die Maskenpflicht. Gelb: Einige wenige missachten sie. Rot: Zu wenige mit Maske, die Musik geht aus und erst wieder an, wenn sich alle an die Verordnung halten.
Was dieses Jahr auf der Möhre anders ist: kein Warten, kein Anstehen, immer genug Desinfektionsmittel und genug liebevoll gestaltete Orte auf dem Gelände, um sich auszubreiten. Vor der Bühne, auf der Performances aufgeführt wurden, sorgen Europalletten, Polster und Sofas für gemütliches Sitzen auf Abstand. Um unnötige Kontakte zu vermeiden, kann auf dem gesamten Gelände nur mit „Möhries“ – die gültige Währung auf dem Festival – bezahlt werden, die man zuvor auf eine Geldkarte läd.
Am vergangenen Freitagabend überwiegt die Vorfreude. Nur zum Trinken oder Rauchen setzen Festivalbesucher*innen kurzzeitig den Mundschutz ab, doch es scheint, als würde niemand den Fortbestand des Festivals sowie der kommenden drei Wochenenden in Göritz gefährden wollen. Und auch das Ampelsystem bestätigt diese Vermutung: Bisher leuchtete die Ampel nie rot. Allen ist klar, dass das Festival nur weitergehen kann, wenn sich alle gemeinsam an die Hygieneverordnungen halten.
Eine kontrollierte Umgebung statt Privatfeiern
Und laut Mitgründer Dettke sieht das auch das Gesundheitsamt so, das an beiden vergangenen Festivalwochenenden vor Ort war: „Die freuen sich, weil sie bei anderen Veranstaltungen, Fußballspielen oder Demos, teilweise ausgebuht oder beschimpft werden. Hier kommen sie hin und die Leute sind unheimlich dankbar, dass das Festival ermöglicht, erlaubt wird.“
Vom Campingplatz bis zum Festivalgelände läuft man je rund zehn Minuten. Der Weg führt auf einer ruhigen Straße vorbei, links und rechts ein lichter Wald. Bei jedem Gang zum Festivalgelände blickt man in lächelnde Gesichter: Viele haben wahrscheinlich seit Monaten keine offizielle, legale Tanzveranstaltung besucht. Der Weg ist breit genug, hier kann die Maske unten bleiben.
Beim Betreten des Geländes erblickt man vor der Security zunächst ein Schild, das erneut auf die Maskenpflicht hinweist. Nicht nur aus finanziellen Gründen entschied sich das Team, die Veranstaltung umzuplanen: „Es hat sich abgezeichnet, dass die Leute trotzdem rausgehen und dann Privatfeiern machen, das ist natürlich viel schlechter, als wenn man eine kontrollierte Umgebung schafft“, erklärt Dettke.
Keine Schlangen und viel Pragmatismus
Durch die besonderen Umstände fielen einige Unterschiede auf, die die Festivalerfahrung sogar verbesserten. Fast nie musste man warten, um sich an einer der Holzbuden mit Essen, Mate oder Bier zu versorgen. Am vergangenen Samstagmittag herrschte so wenig Barbetrieb, dass zwei Bars einfach eine Zeitlang geschlossen blieben. Auf den Dixis war immer genügend Klopapier da – und auch hier: keine Schlangen. An Orten, an denen es zu einem Warten auf engem Raum hätte kommen können, wurde so aufgestockt, dass sich keine Schlangen bildeten.
Auch bei der Stornierungsfrist fand das Planungsteam pragmatische Lösungen. „Wir wollen vermeiden, dass jemand krank aufs Festival kommt“, erklärt Dettke. Aus diesem Grund entschied er, Tickets auch nach Ablauf der Stornierungsfrist zurückzunehmen, wenn sich jemand meldete und mitteilte, dass er sich unwohl fühle.
Die Milde Möhre als Blaupause für andere Festivals
Alexander Dettke hofft, dass die kommenden drei Veranstaltungen wie geplant stattfinden können. Er will ein Zeichen setzen. Der Mitgründer geht davon aus, dass die Milden Möhren als Blaupause für zukünftige Festivals verwendet werden. Jedoch schwingt auch bei ihm die Sorge mit, dass aufgrund von sich änderndem Pandemiegeschehen die kommenden Festivals abgesagt werden.
Für das kleine Festival, das jährlich Kosten von 1,2 Millonen Euro hat, wäre das fatal. Doch so wie es aussieht, haben vor allem die Besucher*innen den Ernst der Lage verstanden und sind dankbar für die ihnen gebotene Möglichkeit. Er hätte sich gewünscht, dass mehr Festivals umgedacht und nicht abgesagt hätten. „Aus meiner Sicht haben wir jetzt nur ein valides Projekt, was man im nächsten Jahr als Blaupause verwenden kann“, so Dettke.
- Tickets für die Milden Möhren am 4.-6.9, 11.- 13.9, 18.-20.9 sowie gibt es unter www.wildemoehrefestival.de
Mehr zu Clubs und Musik:
Was machen eigentlich die Berliner Clubs? Hier erfahrt ihr es. Egal, wo man feiert, sollte man keine anderen gefährden. Von einem Infizierten, der feiern ging. Und außerdem: Eine Übersicht der besten Berliner Clubs.