Geknüpfter Widerstand im Wohnzimmer: Die Bumiller Collection zeigt, wie der Krieg auf den Teppich und in die Wohnzimmer kam
Die Angreifer kommen aus der Luft. Ein Dutzend Kampfjets zerschneidet den Himmel. Ihr Ziel ist eine Moschee. Panzer rollen auf dem Landwege an. Auf einer über eine Treppe zu erreichenden Plattform sind drei Gräber zu sehen. Der Krieg, das Monster der Zerstörung – eindrucksvoll herausgearbeitet auf einem „war rug“, einem Kriegsteppich, entstanden nach der Invasion der Russen in Afghanistan Ende der 70er-Jahre. Handgefertigt wurde dieser von einem Nomadenstamm im Westen des Landes.
Der rund 1,30 Meter große Teppich gehört zur Sammlung des Berliner Filmemachers Till Passow, die er in der Ausstellung „Wie der Krieg auf den Teppich kam“ in der Bumiller Collection präsentiert. 2002 stieß er erstmals auf einen Kriegs-Kelim, den er als Schlafunterlage benutzte. Das Goethe-Institut hatte ihn während einer Filmrecherche in Karatschi bei einem englischen Künstler untergebracht.
Dazu sollte man wissen, dass viele Afghanen während des Krieges nach Pakistan geflüchtet waren und dort ihren Lebensunterhalt mit Teppichknüpfen sicherten. Als Passow das Teil am Morgen einrollte, traute er seinen Augen nicht. „Es war ein wunderschöner Teppich mit Bergziegen in verschiedenen Farben, doch unter den Tieren waren Handgranaten und Kampfjets eingearbeitet“, erzählt er. Doch wie kamen die Bomben darauf? Sein Gastgeber erklärte ihm, dass traditionell der Alltag in der nomadischen Teppichknüpfkunst verarbeitet wird, die Motive den Widerstand des afghanischen Volkes darstellen. „So kam der Krieg in die Wohnzimmer“, erzählt Passow.
Sein Interesse war geweckt, er graste fortan Teppichläden in Karachi, Lahore, später in Kabul ab. Seine Kontakte und sein Wissen sind so weitreichend, dass er sogar die Pinakothek der Moderne in München dabei unterstützte, eine eigene Sammlung von Kriegsteppichen zusammenzustellen. Heute, so der Filmemacher, gäbe es so kaum noch „war rugs“, höchstens Billigware auf Märkten. Die Originale sind längst in den Händen von Sammlern.
Ursprünglich entstanden diese Teppiche nicht für den Export, sondern fungierten für die Afghanen als eine Form der seelischen Bewältigung des Krieges. Kaum zu glauben, selbst auf Hochzeitsteppichen, die als Geschenk für das Brautpaar gedacht sind, gibt es einen brutalen Angriff. Till Passow zeigt in der Ausstellung auf einen farblich gedeckt gehaltenen, knapp drei Meter langen Läufer. Auf den ersten Blick scheint die Ornamentik mit Medaillons, Schmuckelementen und Blüten als Verheißung des Paradieses, auf den zweiten erkennen wir mittendrin winzige Kalaschnikows und Hubschrauber, die mit Kreuzen versehen sind.
Die Ikonografie auf den Teppichen ist reduziert: Neben Panzern, Granaten, Raketen und Maschinengewehren gehören Hubschrauber zu den Hauptmotiven. Die Zusammenstellung ist unterschiedlich, als Einzelmotive eingearbeitet, nicht selten mit comichaften oder abstrakten Zügen, oft formieren sich auch ornamentale Reihungen zu riesigen Schlachtfeldern. Da wird eine Moschee unter Beschuss genommen, dort ein ganzes Dorf angeflogen. Highlight ist ein Teppich mit neongelben Einsprengseln aus den 90er-Jahren. Offenbar entstand er nach einem Luftangriff bei Nacht, bei dem Leuchtmunition verschossen und die Umgebung in knallige Farben getaucht wurde.
Der Tod ist omnipräsent, mal in Märtyrergräbern, mal bei kopflosen schwarzen Figuren, die zwischen Kriegsgeräten und Gebäuden herumgeistern. Makaber: Die abgeschlagenen Köpfe tauchen anderswo im Teppich wieder auf. Manche Motive gibt es spiegelverkehrt, Symbol für eine Welt, die auf dem Kopf steht. In vielen Teppichen ist neben der Bedrohung zugleich die Hoffnung auf ein normales Leben fest mit eingeknüpft – in Gestalt von Lebensbäumen, Tieren und Blumen.
Nach dem Angriff auf die Twin Towers des World Trade Centers gibt es eine neue Entwicklung in der Teppichproduktion. Szenen mit 9/11-Motiven werden geknüpft, sehr schablonenhaft angelegt: „Sie wurden häufig nach Darstellungen von Flugblättern gestaltet, die die US-Army zur Begründung ihres Angriffes über Afghanistan abwerfen ließ“, weiß Passow zu berichten. Sie sind als „Souvenirs“ für die Soldaten und Mitarbeiter von NGOs gedacht.
Till Passow verkauft auch Teppiche seiner Kollektion. Die Preise bewegen sich zwischen 200 und 8.000 Euro. Einige liegen in seiner Wohnung, der Rest lagert in Metallkisten. „Mir geht es darum, mit ihnen zu leben, ich versuche, sie zu verstehen. Nach einer gewissen Zeit kann ich mich wieder von ihnen trennen“, meint er. „Es ist gut, wenn sie unter Menschen kommen. Wenn ihre Geschichten in anderen Wohnungen weiter erzählt werden. Auch wenn es nicht jedermanns Sache ist, den Krieg im Wohnzimmer zu haben.“ Wie heißt es so schön in einem Eintrag im Gästebuch: Es ist gut, dieses Thema nicht unter den Tisch zu kehren.
Bumiller Collection Naunynstr. 68 (HH, 3. OG), Kreuzberg, bis 27.7., Do–Sa 14 bis 18 Uhr, Eintritt frei
Collectors Talk 13.7., ab 20 Uhr, Till Passow spricht über seine Sammelleidenschaft