Ausstellungen

„In den Falten das Eigentliche“ – Johanna Diehl im Haus am Waldsee

Im Namen der Familie: Im Haus am Waldsee überzeugt Johanna Diehl mit der emotional dichten Schau „In den Falten das Eigentliche“

Courtesy Johanna Diehl und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Da sitzt auf einer Bank diese Wirtschaftswunderfrau im perfekten Faltenrock, neben ihr hockt ein tadellos getrimmter Königspudel. Dazu ein Foto mit einer Perücke auf einem Styroporkopf. Schnappschüsse aus einem Familienalbum der 50er- und 60er-Jahre in der Bundesrepublik. Darum herum gruppiert an der Wand hängen Bilder von seltsamen Prothesen. Doch wie steht das alles in Zusammenhang?

Die Collage „Dead Dad Wild Country“ ist Teil einer beeindruckenden Gesamtinstallation, die die Fotokünstlerin Johanna Diehl im Erdgeschoss des Hauses am Waldsee ausbreitet wie einen dichten Erinnerungsteppich. Zwei Filme gehören dazu, neue und alte Fotos und Objekte aus dem Nachlass ihrer Großmutter väterlicherseits – Ausgangspunkt für eine persönliche Tiefenrecherche. Ihre erste institutionelle Schau in Berlin ist Diehls wohl privateste Präsentation, sie leuchtet ihre eigene Familiengeschichte aus. Dazu gehört der Tod des Vaters, der sich mit 39 Jahren das Leben nahm, während sein eigener Vater wiederum im Krieg sein Leben verlor. 2010 übernahm sie den Nachlass ihrer Oma, er beinhaltet auch deren Notizbücher von 1936 bis ins Jahr 2009. Als sie begann, darin zu lesen, merkte sie schnell, dass es „sehr wenig Persönliches darin gibt, nur Termine, Reisen und Treffen“, so Diehl. Irritierend auch ein maschinengeschriebener „Fragebogen“ ihres Vaters an seine Mutter: Fragen nach Klistieren, Zärtlichkeit und Krankheiten, bald so, als ob der junge Mann über die Antworten Selbstvergewisserung suchte. Diehl realisiert, dass es ein Beziehungsmuster gibt und das heißt: verdrängen, schweigen. Und wie im Falle ihrer Großeltern die Flucht in teure Reisen nach Afrika, die USA und Asien. Eine Art neue Freiheit nach dem Nationalsozialismus, meint Diehl.

Nachkriegs-Traumata

Für die 42-Jährige sind es die Traumata des Zweiten Weltkriegs, spürbar als „emotionaler Mangel“, der – wie in ihrer eigenen – in den meisten Nachkriegsfamilien herrschte. In Deutschland war es über Jahrzehnte ein Tabu der Eltern-Kinder-Generation, über ihre Erfahrungen im Nationalsozialismus zu sprechen, erst in den letzten zehn Jahren ist das ein Thema geworden. Die Prothesen, die Diehl fotografiert hat, stammen aus dem Fundus von Johann Kresniks dunklem Märchen „Hänsel und Gretel“ (1995). Diese martialischen Teile beschränkten die Tänzer in ihrer Bewegung.  Ein Symbol für diese eingefrorene Zeit der 50er- und 60er-Jahre, wo die Eltern gelähmt und liebesunfähig und die Kinder seelisch „amputiert“ und häufig verloren waren.

Eine überzeugende, starke Ausstellung. Diehl, der Enkelin, gelingt es am „Fall“ der eigenen Familie, die atmosphärische Dimension, den seelischen Abgrund von damals offenzulegen. Ohne zu richten und Schuld zuzuweisen. „In den Falten das Eigentliche“ so nennt sie ihre Schau – frei nach Walter Benjamin. Basierend auf der Idee, dass sich zwischen den Falten das Vergessene der Jahrzehnte versteckt. 

Mit der Vergangenheit hat sich die Fotokünstlerin auch bereits zuvor beschäftigt: Unter anderem mit architektonischen Hinterlassenschaften, die durch neue Funktionen über die Zeitenwende hinweg „umgeschrieben“ wurden und als Leerstelle wieder aufscheinen. Dazu gehört die im ersten Stock ausgestellte „Ukraine Series“: ehemalige Synagogen, die heute zu Fitnessräumen oder Kinos umgewidmet sind. Die verlorene Geschichte schwebt wie eine Patina über den maroden Räumlichkeiten.

Haus am Waldsee Argentinische Allee 30, Zehlendorf, bis 23.2., Di–So 11–18 Uhr 

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