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transmediale 2020

„Die Spontaneität ist weg“ – Gespräch mit dem transmediale Kurator Kristoffer Gansing

Neun Jahre hat Kristoffer Gansing das Digitalkultur-Festival transmediale geleitet. Zum Abschluss kuratiert er die Schau „The Eternal Network“ – über das mögliche Ende der Netzkultur als Gesellschaftsutopie

Kristoffer Gansing, Foto: Laura Fiorio, transmediale, CC BY-SA 4.0 Some rights reserved

tip Kristoffer Gansing, das ist Ihre letzte transmediale. Haben Sie schon den nächsten Job über Ihre Netzwerke gefunden?

Kristoffer Gansing Nein, und zwar ganz bewusst. Nach neun Jahren brauche ich eine Pause, um mich neu zu orientieren. Ich will mich wieder mehr meiner Forschung widmen.

tip Im letzten Jahr gab es keine Kunstausstellung zur transmediale, in diesem Jahr machen Sie den großen Aufschlag mit „The Eternal Network“. Der Titel ist maximal.

Kristoffer Gansing Der Begriff „The Eternal Network“ kommt aus der Fluxus-Bewegung der 60er-Jahre, der französische Künstler Robert Filliou hat ihn zusammen mit George Brecht und vielen anderen entwickelt. Im Sinne von Fluxus, das alle Künstler sein können, haben sie dann auf einer internationalen und zunehmend auch globaler Ebene miteinander kommuniziert, damals hauptsächlich durch Post, der so genannten Mail Art, später auch mit anderen Kommunikationsmitteln. Der Begriff taucht auch in unterschiedlichen Kontexten in der Geschichte des Internets auf.

tip Die Ausstellung stellt die Frage nach dem Ende des Netzwerkbegriffs. Warum?

Kristoffer Gansing In den 90er-Jahren hat Manuel Castells die These von der „The Network Society“ aufgestellt. Damals wurden die Gesellschaft, die Kunst, die Ökonomie usw. als Netzwerke gedacht und analysiert. Heute wird dieser Begriff viel weniger gebraucht. Man spricht dagegen mehr über zentralisierte Plattformen, über Social Media, Künstliche Intelligenz oder Big Data. In dieser Sphäre der digitalen Kultur kommt der Netzwerkbegriff nur als die technische Infrastruktur vor, aber nicht mehr als Metapher für unsere Gesellschaft insgesamt.

tip Wie spiegelt sich das in der Kunst wider?

Kristoffer Gansing Viele Künstler arbeiten heute mit neuen Formen von Gemeinschaften, wie man das früher in kleineren digitalen Netzwerken gemacht hat, am Beginn des Internet-Zeitalters. Zum Beispiel mit Safe Spaces. In der Ausstellung dreht sich ein Werk um eine queerfeministische Wikipedia, die gebaut wird, aber nicht der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Es geht dabei um einen geschützten Raum online, der eng mit einer geschützten Offline-Community verbunden ist. Es ist vorbei mit der alten, utopischen Hoffnung, dass wir, sobald alle mit allen vernetzt sind, frei sind und unsere Identität ausleben können.

AIDOL by Lawrence Lek, Film still from AIDOL by Lawrence Lek, Foto: Lawrence Lek, Courtesy Sadie Coles HQ, London

tip Warum ist ein globales Netzwerk keine soziale Utopie mehr?

Kristoffer Gansing Es hat sich herausgestellt, dass das große Netzwerk nicht neutral ist und alle gleich darin einsteigen können. Es gibt einen gigantischen backlash durch Alt-Right, Hate Speech, Fake News, Trolling und Filterblasen. Durch diese Entwicklungen wird der Begriff des Netzes heute oft mit etwas Gefährlichem verbunden.

tip Die Ausstellung erzählte also eher von Zukunfts-Skepsis und Dystopie?

Kristoffer Gansing Viele Arbeiten gehen davon aus, dass wir uns in einer tiefen Krise befinden, beispielsweise durch den Klimawandel und das gestörte Verhältnis von Mensch, Natur und Technologie. Timur Si-Qin zum Beispiel, früher in Berlin, jetzt in New York, der ganz eng mit der so genannten Post-Internet-Bewegung verbunden war, versucht über die Dualität Natur/Kultur und Mensch/Technologie hinaus zu kommen. Er zeigt einen essayistischen Film, bei dem man über eine Virtual Reality Simulation in eine neue, ganzheitliche Kosmologie einsteigt. In der Arbeit „Feel My Metaverse“ von Keiken und George Jasper Stone geht es um die Möglichkeit, verschiedene Identitäten anzunehmen in einer Welt, die schon komplett durchdrungen ist von Technologie. Ihr Film spielt in einer Post-Klima-Desaster-Welt. Die Menschen leben in VR-Simulationen, die von einem Unternehmen gesteuert werden. Aber das ist trotzdem keine dystopische „Blade Runner“-Situation, sondern eine wunderbar bunte und spielerische virtuelle Realität.

tip Die Berliner Netzkunstpioniere Blank & Jeron sind auch auf Ihrer Künstlerliste.

Kristoffer Gansing Ja, sie haben mit einer größeren Gruppe, Handshake, Mitter der 90er-Jahre das Projekt Clubnetz gemacht. Das war eine Reihe von Internetterminals in Berliner Clubs wie Tresor und WMF und man konnte durch diese Chat-Terminals mit Clubgängern in anderen Clubs kommunizieren. Das basierte auf der sehr basalen Software IRC, Internet Relay Chat, die gibt es noch, das ist purer Text. Frühes Instant Messaging also. Für viele war das Clubnetz 1994 die erste Begegnung mit dem Internet. Dann haben Blank & Jeron im letzten Jahr das Clubnetz als App herausbracht, in Zusammenarbeit und im Auftrag von Sakrowski/panke.gallery. Wir machen am Eröffnungsabend eine kollektive Live Chat Performance mit dem Publikum. Die Nachrichten werden mit einem Laser auf eine Nebelwolke im Raum projiziert und als Dokument im Raum verfügbar sein durch Augmented Reality. Wenn man eine bestimmte Stelle im Ausstellungsraum durch sein Smartphone betrachtet, sieht man die Texte. Und diese Virtuelle Skulptur kann potentiell für ewig im Haus der Kulturen der Welt bleiben.

tip Es liegt nahe, das Ende des utopischen Potenzials der Netzwerke mit dem Wiedererstarken der Nationalstaaten und mit der Konzentration der digitalen Technologien auf einige wenige Firmen in Verbindung zu bringen. Also: Großbritannien verlässt das Netzwerk EU. Apple, Microsoft und Huawaii versuchen, den Markt zu beherrschen.

Kristoffer Gansing In Europa haben wir es nicht geschafft,  das große zivilgesellschaftliches Engagement, das es im digitalen Feld gibt, zu nutzen und unabhängige digitale Infrastrukturen und Netzwerke aufzubauen. Man hat das Internet stattdessen durchbürokratisiert. Digitalisierung heißt in Deutschland, in die Industrie zu investieren, die Industrienation muss durch die digitale Technik wachsen. Die Idee einer allgemeinen, egalitären Teilnahme am Digitalen ist weitgehend verloren gegangen. Auch die Teilnahme in den Sozialen Medien passiert eher in der Logik der alten Medien, zum Beispiel durch Influencer, denen man folgen kann. Die Rollen sind klar verteilt. Social Media ist in der Logik von Repräsentation strukturiert und nicht primär, wie man ursprünglich gedacht hat, ein End-to-End -Austausch. So wie die großen Plattformen es heute anbieten, ist das Internet eine Delivery-Plattform für audiovisuelle Inhalte. Es gab Ende der 90er-Jahre eine Idee von Streaming als Freiraum. Heute ist Streaming fast immer von einer großen Plattform gesteuert, mit Copyrights und kommerziell. Fernsehen 4.0. Die utopische Spontaneität ist ein verlorenes Moment des Eternal Network.

transmediale 2020 28.1.–1.3., 2020.transmediale.de

Die Ausstellung „The Eternal Network“ findet vom 28.1.–1.3. im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten, statt; Eröffnung Di 28.1., 19 Uhr, 29.1.–2.2. 11–20, Do bis 22 Uhr, 3.2.–1.3. Mi–Mo 12–19, Do bis 22 Uhr, Eintritt 5/3 €

Mehr zur transmediale 2020:

http://www.tip-berlin.de/the-eternal-network-im-haus-der-kulturen-der-welt/

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