Wenn Elizabeth Acevedo die Bühne betritt, kehrt Stille ein. Dann greift ihre Stimme Raum und mit der Zeit bekommt man das Gefühl, der weiblichen Reinkarnation von Martin Luther King zuzuhören. Doch es sind keine Gebete, die die amerikanische Autorin mit dominikanischen Wurzeln ihrem Publikum präsentiert, sondern Geschichten und Gedichte. Als Poetry-Slammerin ordnet sie das Chaos der Welt mit Worten.
„Ich stehe auf der Bühne und spreche mein Gedicht. In den Worten liegt Macht“, wird sich die Hauptfigur in ihrem mit dem National Book Award ausgezeichneten Debütroman bewusst. Zuvor muss sich die 15-jährige Xiomara Batista jedoch von ihren strengreligiösen Eltern emanzipieren, dem Geheimnis ihres Zwillingsbruders auf die Spur kommen, Liebe und Begehren empfinden und lernen, sich zu vertrauen. Ermuntert von einer Lehrerin wird sie schließlich ausbrechen und im Poetryclub ihrer inneren Stimme folgen. Die spricht nun in der Übersetzung von Poetry-Slammerin Letitia Wahl kraftvoll zu uns, über Weiblichkeit, Identität und Selbstbehauptung. Stilistisch irgendwo zwischen Jay Z, Drake und Kanye West holt dieser rasante Sprechgesang selbst lesemüde Teenager ab. Mit „Poet X“ gewann Acevedo als erste schwarze Autorin überhaupt die britische Carnegie Medal für den besten Jugendroman. Bei der Preisverleihung sagte sie, der Roman sei verfasst für „uns Mädchen, die wir uns selbst nie in Buchregalen fanden und doch Gedichte schrieben, wenn wir sprachen“.
Alle anderen dürfen, nein, sollten ihn erst recht lesen.
Poet X von Elizabeth Acevedo, aus dem amerikanischen Englisch von Leticia Wahl, Rowohlt, 351 S., 15 €
Lesung: HAU 1, Stresemannstr. 29, Kreuzberg, Mi 11.9., 11 Uhr, Eintritt 8, erm. 6 €