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Bestenliste

Literaturjahr 2023: Unsere Berliner Romane des Jahres

Das Literaturjahr 2023 im Rückblick: Diese Romane aus oder über Berlin haben es den Literaturkritiker:innen des tipBerlin besonders angetan – unsere Top 12 des Jahres. Mit Anne Rabe, Terézia Mora und Benjamin von Stuckrad-Barre.

Berliner Romane des Jahres, wie sie die tip-Literaturkritiker:innen gewählt haben. Collage: Klett-Cotta/S. Fischer / Suhrkamp Nova

Platz 1 – Anne Rabe: „Die Möglichkeit von Glück“

Fulminanter Debütroman über das Aufwachsen im (Nord-)Osten Deutschlands, der zu Recht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand: autofiktional, generationenübergreifend tief recherchiert, mit Punch und Poesie. Über die Gewalt in der DDR-Gesellschaft, in der Schule, in der Familie. Über das Schweigen, die Selbstlügen. Das alles musste doch endlich mal raus. Erik Heier

Diesen Satz merken wir uns: „Ich erinnere mich nur an die Kopfnüsse, die es ständig gab. Dieses Knacken im Hinterkopf. Das kann ich bis heute hören.“

Klett Cotta, 384 S., 24 €

Lest hier unser Porträt der Schriftstellerin Anne Rabe.


2 – Judith Hermann: „Wir hätten uns alles gesagt”

Streng genommen gar kein Roman, aber eine faszinierende Schriftstellerinnen-Offenbarung „vom Schweigen und Verschweigen im Schreiben” aus Judith Hermanns Frankfurter Poetikvorlesungen. Mit diesem Judith-Hermann-Sound, wie nur Judith Hermann ihn beherrscht, geht die gebürtige Berlinerin so sehr ins biografische Detail wie noch nie in ihrem Werk. Erik Heier

Das merken wir uns: „Letztlich gibt es für alles, was wir tun, immer mehrere Gründe – die, von denen wir wissen, und die, von denen wir ahnen. Und die, von denen wir nichts wissen. Und letztere sind womöglich die stärksten und die triftigsten.“

S. Fischer, 192 S., 23 €


3 – Dana Vowinckel: „Gewässer im Ziplock”

Können Jüdinnen und Juden noch in Deutschland leben? Diese beklemmende Frage diskutiert eine zerbrochene deutsch-jüdische Familie in diesem hoch aktuellen, lebensklugen und mitreißenden Debüt einen erlebnisreichen Sommer lang. Thomas Hummitzsch

Das merken  wir uns: „Margarita war befremdet von ihrer eigenen Dankbarkeit dafür, Jüdin zu sein, auserwählt, vor allem: am Leben.“
Suhrkamp, 362 S., 23 €


4 – Ulrike Draesner: „Die Verwandelten“

In ihrem dritten Roman über Krieg, Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert verschränkt Ulrike Draesner grandios deutsche und polnische Mutter-Töchter-Schicksale, die sich von 1900 aus durch das gesamte 20. Jahrhundert ziehen. Und gibt diesen Frauen eine Stimme, die viele von ihnen nie hatten. Und eine Erkenntnis, wie sie schon beim diesjährigen Büchner-Preisträger Lutz Seiler gilt: Lyrikerinnen und Lyriker schreiben mitunter die besseren Romane.  Erik Heier

Das merken wir uns: „Es gibt Geschichten, die sind wie ein Krebs. Lila und gelb getüpfelt, moosig bewachsen rennt er mit dem wertvollen Geschick eines verschalten Wesens unbeirrbar seitwärts.” Penguin, 608 S., 26 €

Lest hier unser Gespräch mit Ulrike Draesner: „Ich existiere nur wegen Hitler“.


5 – Nele Pollatschek: „Kleine Probleme“

Ein Familienvater, eine To-Do-Liste des Lebens – und noch ein einziger Tag, Silvester zudem, um diese kuriose bis traurige Liste abzuarbeiten. Was Nele Pollatschek aus dieser gar nicht mal so originellen Grundidee zaubert, ist ebenso verblüffend wie intelligent – und obendrein oft unfassbar lustig. Man möchte diesen Wanna-be-Schriftsteller Lars Messerschmidt die ganze Zeit gleichzeitig ohrfeigen und tröstend in den Arm nehmen. Das wird schon, Lars. Erik Heier

Das merken wir uns: „Wenn der Tod käme, würde ich sagen, es ist mir wirklich unangenehm, aber ich muss leider noch kurz eine Kleinigkeit erledigen.”

Galiani Verlag, 208 S., 23 €

Lest hier unser Porträt über die Schriftstellerin und Journalistin Nele Pollatschek.


6  – Ulrike Sterblich: „Drifter“

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Den Roman um einen mysteriösen Autor namens „Drifter“ zusammenzufassen, ist eigentlich unmöglich – wer ihn liest, lässt sich auf einen wilden Ritt durch Raum und Zeit ein und kann irgendwann nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Ein brillantes Spiel mit unseren Lesegewohnheiten! Julia Schmitz

Das merken wir uns:  „Die Weltherrschaft ist mir persönlich gar nicht so wichtig.“

Rowohlt Verlag, 288 S., 23 €


7 – Stephanie Bart: „Erzählung zur Sache“

Stephanie Bart hat einen wagemutigen und unwiderstehlichen Roman geschrieben, der die Konsequenz des Handelns der RAF aus dem Kopf von Gudrun Ensslin heraus verständlich macht, ohne die Taten zu rechtfertigen. Thomas Hummitzsch

Das merken wir uns:  „Wir haben nicht angefangen mit der Gewalt. Aber wir fangen an, sie mit Gegengewalt zu beenden.“

Secession, 550 S., 28 €


8 – Terézia Mora: „Muna oder Die Hälfte des Lebens“

Dieser Roman ist ein brutales Biest. So wie Magnus, der nur sich liebt und das Muna spüren lässt. So, wie er ihr Leben langsam zur Hölle macht, nimmt dieser düster funkelnde Text über eine toxische Beziehung seine Leser:innen in den Bann. Thomas Hummitzsch

Das merken wir uns: „Schluchzend knüllte ich alles zusammen, steckte es in die Waschmaschine und setzte mich unter den Duschstrahl, dort konnte ich etwas lauter weinen, mir schien, stundenlang.“

Luchterhand, 441 S., 25


9 – Felix Stephan: „Die frühen Jahre“

Felix Stephan, Jahrgang 1983, erzählt die Geschichte einer linientreuen Familie, die sich nach dem Zusammenbruch der DDR komplett neu orientieren muss. Einer der besten Romane der „Wendegeneration“ über das Aufwachsen im wiedervereinten Deutschland.  Julia Schmitz

Das merken wir uns:  „Im Januar 1990, als unsere Nachbarn und Arbeitskollegen die Archive der Staatssicherheit stürmten, Türen und Fenster zertrümmerten, versammelte sich meine Familie vor dem alten Ofen im Haus meiner Großeltern und verbrannte sämtliche Akten, die das Ministerium für Staatssicherheit über sie angelegt hatte.“

Aufbau, 255 S., 22 €


10 – Benjamin von Stuckrad-Barre: „Noch wach?”

Der große Enthüllungsroman über Springer ist es zwar nicht geworden. Aber ein Mediencoup. Wie ein ADHS-Kind auf Speed erzählt Benjamin von Stuckrad-Barre von Macht und Machtmissbrauch. Eitelkeiten und Enttäuschungen. MeToo. Und dem Ende einer Freundschaft. Welf Grombacher

Das merken wir uns: „Deutlich älterer Chef KÜMMERT SICH um die junge hübsche Auszubildende, knick-knack, haha.“

Kiepenheuer und Witsch, 384 S., 24 €


11   Tomer Dotan-Dreyfus: „Birobidschan“

Kurz vor China entstand unter Stalin die autonome jüdische Region Birobidschan. Nahezu vergessen, lässt Tomer Dotan-Dreyfus dieses Schtetl wieder aufleben und führt mit jiddischem Witz an den Rand der Wirklichkeit. Thomas Hummitzsch 

Das merken wir uns: „Eine Welt ohne Kunst ist wie eine Uhr ohne Zahl und ohne Richtung. Sie misst die Zeit und zeigt sie, aber ohne auf das Jetzt zu verweisen.“

Voland & Quist, 318 S., 24 €


12 – Necati Öziri: „Vatermal”

Ein sterbender Sohn schreibt an seinen verschwundenen Vater, damit der nicht behaupten kann, ihn nicht gekannt zu haben. Dieser umwerfende Text erzählt von der Einsamkeit, die verlassene Kinder umgibt, und dem unbändigen Willen zu leben. Thomas Hummitzsch

Das merken wir uns:  „Ihr seid vielleicht abgehauen, aber wir konnten euch nicht entkommen. Ihr wart beides, weg und trotzdem da.“

Claassen, 291 S., 25 €


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