Der Berliner Zeichner Felix Pestemer führt in seiner Graphic Novel Im Auge des Betrachters durch die Alte Nationalgalerie und die preußische Geschichte
Mit den Eltern ins Museum, für viele Kinder fühlte sich der bildungsbürgerliche Zeitvertreib an wie eine unermessliche Qual. Statt mit Freunden zu spielen, schlurfte man durch endlose Säle und starrte mit leerem Blick auf alte Gemälde in schweren Rahmen, die genau eines gemeinsam hatten, sie waren stinklangweilig. Kunsthistorisch ambitionierte Väter respektive Mütter gaben zu den ollen Schinken auch noch Erläuterungen, die man sofort wieder vergaß.
Auch Paula und Remo sind anfangs bei ihrem Rundgang durch die Alte Nationalgalerie mäßig begeistert. Nicht zuletzt, weil ihr Großvater auf, nun ja, großväterliche Weise seinen Senf zu Bild X und Künstler Y dazu gibt.
So erfahren wir, dass Schadow die preußischen Kronprinzessinnen (fast) nackt Modell stehen ließ und welcher Friedrich Wilhelm da auf dem Pferd reitet. Es ist der Vierte. Oder aber wie der berühmte Affe hieß, der gut 100 Jahre vor Knut im Zoo lebte und den die Berliner feierten. Er hieß Missie.
Felix Pestemers mit realistischem Strich gezeichneter Familienausflug in die heiligen Hallen der preußischen Kunst und Kultur ist ein in erster Linie lehrreicher Comic, ein belehrender sogar. Das Projekt geht schließlich auf eine Initiative von Sigrid Wollmeiner von den Staatlichen Museen zurück.
Dort überlegte man sich vermutlich, wie die Jugend für die alten Werke gewonnen werden kann. Neben Internet mit Youtube und Instagram ist Comic das Medium schlechthin, das auf Innovation bedachten Kunstvermittlern schnell in den Sinn kommt. Richtig, Comics sind doch die bunten Heftchen, die Kinder so gerne lesen! So einfach geht die Rechnung aber nicht auf. Kinder mögen zwar Comics, das ja, auf der anderen Seite merken sie schon, wenn der vordergründige Sinn eines Comics der Lerneffekt ist. Das mutet schnell verschult, spröde und erzwungen an. Auch Pestemers „Im Auge des Betrachters“ entgeht nicht dieser Problematik, obwohl gut gemacht und gut gemeint.
Raum für Interaktion
So muss man die jungen Leser wohl auch zur Lektüre dieses Comics überzeugen, etwa im Kunst- oder Geschichtsunterricht könnte das funktionieren. Denn lehrreich ist der gut 100 Seiten starke Band, der auch in einer englischen Version erschienen ist, allemal. Nur eben nicht wirklich spannend. Dabei macht Pestemer vieles richtig. Er lässt Großvater und Enkelkinder viel Raum für Interaktion jenseits von Schadow, Schinkel, Menzel und Caspar David Friedrich. So flechten sich kleine Eigenheiten und Geschichten der Protagonisten in den ernsten Stoff. Und auch die kunsthistorischen Hintergründe zu den einzelnen Exponaten sind mit viel Witz und Einfallsreichtum erzählt.
Comics können Fakten erstaunlich gut transportieren. Dadurch hat dieser schöne Lerncomic durchaus das Potential, die Generation Tic Toc für Preußens Glanz zu interessieren. Man muss sie nur drauf stoßen und darf keine Jubelrufe erwarten.
Vielleicht dankt der Nachwuchs es einem irgendwann einmal, so wie man selbst im Rückblick doch ganz dankbar ist, dass die Eltern einen damals ins Museum schleppten.
Im Auge des Betrachters von Felix Pestemer, Avant, 112 S., 25 € 16