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Berliner Schriftstellerin

Leise Wut: „Wir, im Fenster“, der Debütroman von Lene Albrecht

In ihrem Debütroman „Wir, im Fenster“ erzählt Lene Albrecht von einer Mädchen-Freundschaft im Nachwende-Schöneberg – und wie sie zerbricht

Denn auch Schöneberg ist kein Ponyhof. Foto: STEFANIE KULISCH

Als sie zwei Mädchen in der U-Bahn sieht, die vertraut miteinander umgehen, holen Linn die Erinnerungen an Laila wieder ein. Einst waren sie ebensolche Freundinnen, Schwestern fast. Warum zerbrach das alles? Über Linn und Laila, das langsame Zur-Frau-werden und das Aufwachsen im Nachwende-Schöneberg schreibt Lene Albrecht in ihrem Debütroman „Wir, im Fenster“.

Albrecht, 33, gebürtige Berlinerin, begann schon früh mit dem Schreiben. 2007 absolvierte sie, während ihres Studiums der Kulturwissenschaften, ein Praktikum beim tip, für den sie danach freiberuflich weiterschrieb. Später zog sie erst nach Frankfurt/Oder, dann nach Leipzig, um Literarisches Schreiben zu studieren. Als sie ihre Eltern besuchte, die in der Nähe des Gleisdreieckparks leben, sagt sie, „habe ich meine Straße nicht wiedererkannt, weil sie inzwischen so zugebaut ist“. Diese Erfahrung sei eine wichtige Inspiration für ihren Roman gewesen, der in dieser Gegend spielt: dass diese Gegend nach dem Mauerfall von der Peripherie ins Zentrum der Stadt gerückt sei. Zudem habe sie über Mädchen schreiben wollen. „Es gibt nicht viele Bücher über sie, und wenn, sind sie zumeist nur Teil einer Gruppe wie bei TKKG oder auf dem Ponyhof verortet“, sagt Albrecht. „Ich wollte die Mädchen vom Ponyhof holen.“

Vor drei Jahren hatte Albrecht, die heute in der Hörspielabteilung des Deutschlandfunks arbeitet, während des Bachmann-Preises in Klagenfurt am Literaturkurs teilgenommen. Dabei lernte sie einen Literaturagenten der renommierten Berliner Agentur von Elisabeth Ruge kennen, die Albrecht später unter Vertrag nahm. Für ihre kürzliche Buchpremiere im Maschinenhaus der Kulturbrauerei wünschte sie sich Julia Franck an ihre Seite: „Für mich gehört sie zur Generation von Autorinnen, die ich viel gelesen habe, als ich mit dem Schreiben angefangen habe.“

In ihrem Debüt konzentriert sie sich ganz auf die Beziehung von Linn und Laila. Linn bewundert ihre starke, mutige Freundin. Mit der Zeit kehrt sich das Dominanzgefälle um. „Kinder spüren Unterschiede, auch wenn sie diese nicht benennen können. Sie sind offen für das ‚Andere‘ – die Wahrscheinlichkeit, auf Menschen mit anderem Hintergrund zu treffen, ist größer“, sagt die Autorin. „Im Roman spielen zunehmend aber andere Dinge mit rein, das Elternhaus zum Beispiel.“

Entsprechend ist die Frage der Herkunft relevant in „Wir, im Fenster“, auch wenn sie nur subtil thematisiert wird. So ist Linn in einer anderen Wohnung gemeldet, um nicht dieselbe Schule wie die Kids aus ihrer Straße besuchen zu müssen. Als Laila zu Linn zieht und sich gut mit deren Eltern versteht, empfindet Linn Stiche der Eifersucht. Die ersten Risse entstehen.

Feine Risse führen zum Bruch

Aus den Kindern werden junge Frauen, sie „entkommen dem Neutrum“, wie es im Roman heißt. „Als Kind nimmt man sich selbst als geschlechtslos wahr, und auf einmal bekommt man die eigene Weiblichkeit gespiegelt“, sagt Albrecht. „Die Beziehung ändert sich unter dem Blick eines Dritten.“ Und das nicht unbedingt zum Positiven: Linn wird auf der Straße als „Fotze“ beschimpft, übernimmt diesen Begriff unhinterfragt, wendet ihn gegen Laila. „Man wird zum Objekt gemacht und gibt das weiter“, resümiert die Autorin. „‚Wir, im Fenster‘ ist ein leises Buch, es ist aber auch mit Wut verbunden.“

Und, natürlich, ist es auch ein Berlin-Buch. „Ich bin in der Nähe des sogenannten Kinderstrichs in der Kurfürstenstraße aufgewachsen. Heute kann man an dieser Stelle vor allem Osteuropäerinnen beobachten, die im Schichtsystem in Bussen angekarrt werden“, erzählt Lene Albrecht. „Gleichzeitig haben in der Straße drei Galerien eröffnet.“

So prallen in Schönberg die Gegensätze aufeinander. „Einerseits das total Bürgerliche um den Winterfeldtplatz mit seinem Wochenmarkt, andererseits der Wohnblock Pallas. In einem sehr kleinen Umkreis gibt es hier sehr viele Lebenswelten“, sagt sie.

Denn auch Schöneberg ist kein Ponyhof.

Wir, im Fenster von Lene Albrecht, Aufbau Verlag, 223 S., 20 €

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