Die in Zürich lebende Schriftstellerin Sibylle Berg ist die Fachfrau für fröhliche Misanthropie und gutgelaunten Hass. Ihre hellsichtigen Diagnosen laufen zielsicher darauf hinaus, dass der Menschheit nicht zu helfen ist und ihr baldiger Untergang, das Verschwinden der lästigen Gattung von diesem Planeten, für alle Beteiligten das Beste und die sauberste Lösung wäre
Angesichts des Elends der Menschen wie ihrer unübersehbaren Bösartigkeit wäre ihr Rückzug aus der Weltgeschichte zudem nur gerecht und ohne Zweifel ein über die Maßen verdientes Schicksal. Das ist in Bergs Welt kein Grund für Kulturpessimismus oder depressive Klagegesänge, im Gegenteil. Wenn man weiß, dass ohnehin alles sinnlos und dem gnädigen Untergang geweiht ist, kann man sich in der verbleibenden Zeit ja amüsieren.
Ersan Mondtag bringt freundlicherweise am Maxim Gorki Theater das neue Werk von Frau Berg zur Uraufführung. Es handelt sich um ein Theaterstück mit dem viel versprechenden Titel „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“, angeblich eine „Therapie in drei Flügeln“, allerdings eine Therapie für Leute, denen mit Therapien nicht zu helfen ist. Oder nur mit der finalen Therapie einer kleinen Apokalypse. In diesem Fall erfolgt die unvermeidliche Selbstabschaffung der Menschheit in Form der allgemeinen Bewaffnung. Der Hass wird entsichert, aufeinander zu schießen wird zur üblichen und beliebten Kommunikationsform. Der Bürgerkrieg findet auf der Mikroebene statt, er kommt praktischerweise ohne ideologischen Überbau aus. (Wer in Berlin am Straßenverkehr teilnimmt, weiß, wovon die Rede ist). Die allgemeine Gereiztheit genügt völlig, um die Mitmenschen zur Hölle zu wünschen und mittels funktionstüchtiger Handfeuerwaffen dorthin zu befördern.
Im ersten Teil des Abends wird in Form einer illusionslosen Bilanz des Alltagselends im real existierenden Kapitalismus (wie auch des Überdrusses der Menschen an sich selbst und aneinander) Anlauf auf dieses erlösende Gemetzel genommen. Wie immer bei Berg sind die Bilder dabei detailscharf. Wir begegnen dem älteren homosexuellen Mann (Bruno Cathomas), dem infolge der Jugendfixiertheit seiner sexuellen Zielgruppe nur die einsamen Tage in der kleinen Wohnung bleiben („an Wochenenden im Frühling ist es besonders schlimm, da möchte man so gerne und weiß nicht was“), der Frau, die am Autobahnzubringer wohnt oder dem Muskelpaket, das sich schon lang nichts mehr vormacht: „Ich bin ein Mann in den besten Jahren, die fühlen sich geht so an. Ich hatte Ambitionen, jetzt habe ich nur noch ein Beschäftigungsverhältnis.“ Da geht es ihm nicht anders als dem lustigen Dicken (Benny Claessens), der nicht zu Optimismus neigt („an eine Verbesserung der Laune glaube ich nicht“) oder der Dame im lila Kleid. Es ist der ältere Homosexuelle mit Kummerspeck, der die Wahrheit ausspricht: „Manchmal denke ich, die Welt gibt es nur, um mich zu kränken, aber wahrscheinlich weiß sie nicht einmal, dass es mich gibt.“ Wer könnte das nicht mitfühlen.
Ersan Mondtag inszeniert das dankenswerterweise als bunten Comic mit lustigen Anleihen beim Weltraum-Pyjama-Personal des Raumschiffs Enterprise und mit Spock-Ohren. Benny Claessens führt als Nervensäge durch den Abend, erst im weißen Guru-Gewand, dann mit viel Flitter auf den nackten Speckrollen. Der Inszenierung gelingt es kongenial, Frau Bergs Menschheitsabrechnung mit Melancholie und guter Laune zu verbinden, so dass man sich nach dem Theaterbesuch beschwingt auf die Apokalypse freut. Was will man mehr.
Termine: Hass-Triptychon – Wege aus der Krise im Maxim Gorki Theater, 10–38 €