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Investigatives Theater

„Hotel Utopia“: In diesem Theaterstück werden Zuschauer:innen zu Asylsuchenden

Regisseurin Christiane Mudra versetzt in einem investigativen Theaterstück das Publikum in die Rolle von Asylsuchenden. Im Tower des Tempelhofer Flughafens verwischen bei „Hotel Utopia“ die Grenzen zwischen Spiel und Realität.

Im Hotel Utopia sind Zuschauer:innen und Schauspieler:innen Teil des Stücks. Foto: Verena Kathrein
Im „Hotel Utopia“ sind Zuschauer:innen und Schauspieler:innen Teil des Stücks. Foto: Verena Kathrein

„Hotel Utopia“: Irrsinn in der Ausländerbehörde

32 oder 48 Seiten, schnöder, weinroter Kunststoffeinband und vorne aufgedruckt das goldene Wappen, ein Adler: Wie groß das Privileg des Besitzes eines deutschen Passes ist, zeigt das interaktive Theaterstück „Hotel Utopia“ von Christiane Mudra. Darin versetzt die Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Mudra ihr Publikum in die Rolle von Asylsuchenden – und jagt sie durch den Irrsinn einer Ausländerbehörde.

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„In meinem Umfeld stelle ich immer wieder fest: ein Thema ist erst dann verständlich, wenn es mit einer Erfahrung verknüpft ist“, sagt Mudra. Das sich die in Berlin und München lebende Künstlerin mit dem Erzeugen eindrücklicher Erfahrungen auskennt, hat sie schon im September dieses Jahres mit dem mobilen Theaterstück „Selfie & Ich“ bewiesen: Dort führte sie ihr Publikum durch den Alltag psychisch Erkrankter und betrat mit den Zuschauer:innen vier Neuköllner Wohnungen, in denen sie der personifizierten Depression, Schizophrenie und Magersucht ein Zuhause gab.

Mit „Hotel Utopia“ geht es nun in den Tower des Flughafen Tempelhof. Es ist der Wunschspielort Mudras, schließlich passt der als „Berlins Tor zur Welt“ bekannte, in der NS-Zeit gebaute monumentale Stein- und Betonbau perfekt zu einem Stück über Migration, Asyl und der Frage nach dem Wert von Staatsangehörigkeiten. „Außerdem hat der Tower mit seinem gedoppelten Treppenhaus schon an sich etwas kafkaeskes“ ergänzt die Theatermacherin. Am 8. November betraten die ersten Gäste das „Hotel Utopia“ – allerdings in München. An der Isar diente ein leerstehendes Gebäude der Gesundheitsbehörde als hochrealistischer Aufführungsort.

„Hotel Utopia“: Fieberwahnartiger Transitraum

Ein Abend im Hotel funktioniert dabei wie folgt: Zu Beginn bekommt jeder Gast einen individuellen Pass mit den typisch trockenen Daten wie Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit etc. in die Hand gedrückt. Diese neue Biografie markiert den Startpunkt der „Fiktion der Nichteinreise“ in den fieberwahnartigen Transitraum eines Behördengebäudes. Das Ziel ist es, einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Die „Willkommenskultur“ des Hotels ist dabei realitätsnah und dementsprechend ungemütlich, ein Happy End, so viel sei verraten, gibt es meistens eher nicht.

Damit das Stück gut funktioniert, ist von den Asylsuchenden Mitarbeit gefordert: sie müssen in ihrer Rolle Fragebögen ausfüllen und Gespräche mit von Schauspieler:innen gemimten Behördenmitarbeitenden führen. Als Abwechslung zum Amtsstubenalltag kommt es auch immer wieder zu  improvisierten Dialogen und Szenen zwischen den Darsteller:innen. Dann darf sich das Publikum auch mal zurücklehnen und so manchem Exkurs zum Thema Migrationsgeschichte und der Geburt des Staatsbürgers lauschen. Typisch für Christiane Mudra und ihr „Investigatives Theater“, ist sie doch bekannt für exzessive, teils ausufernde Recherchen.

Ein Aufenthalt im „Hotel Utopia“ wird sicherlich eine eindrückliche Erfahrung – sofern die Staatsangehörigkeit (West-)Europäisch, eine Ausländerbehörde ein Fremdort und Lust am Mitmachen vorhanden ist.

  • Flughafen Tempelhof genaue Adresse wird bei Ticketkauf bekannt gegeben, Mi 29.11. (Premiere), Do 30.11.–So 3.12. jeweils drei Slots um 20, 20.15 und 20.30 Uhr, Karten 10–15 €, weitere Infos und Tickets hier

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