Murals, Wandgemälde und Street Art haben in Berlin eine lange Tradition. An vielen Fassaden, Brücken und Brandmauern haben sich Künstler und Aktivisten großflächig verewigt. Mal sind die Bilder legal entstanden, teilweise im Auftrag der Hauseigentümer oder im Rahmen von Kunstprojekten. Oft aber auch illegal, in Nacht-und-Nebel-Aktionen. Nicht alle Werke sind im aktuellem Stadtbild noch zu sehen, wer aber mit offenen Augen durch die Straßen läuft, kann manche Entdeckung machen.
Wir haben 12 besondere Murals ausgesucht, die jeder für sich eine interessante Geschichte haben. Die meisten davon existieren noch, andere sind verschwunden. Murals sind flüchtig. Und doch erzählen sie von den Entwicklungen und Veränderungen in dieser Stadt.
Der Kreuzberger Astronaut
Der Astronaut des portugiesisch-französischen Streetart-Künstlers Victor Ash in der Oranienstraße 195 in Kreuzberg. Foto: Imago/Tagesspiegel/Kitty/Kleist Heinrich
Victor Ash hat sein wandfüllendes Werk „Astronaut/Cosmonaut“ 2007 im Rahmen der im Kunstraum Kreuzberg beheimateten Street-Art-Ausstellung „Backjumps – The Live Issue“ gemalt. Die Brandmauer der Oranienstraße 195 gehört seitdem zu den wichtigsten Orten der Berliner Street Art. Das Motiv ist vom Wettstreit zwischen den USA und der Sowjetunion während des Kalten Krieges inspiriert und fand den Weg auf Poster und T-Shirts.
- Oranienstraße 195, Kreuzberg
Blauer Vogel in Tegel
Plötzlich waren Murals Kunst und kein Vandalismus mehr. Das entdeckte auch die Wohnungsbaugenossenschaft Gewobag für sich und ließ in ihrer Tegeler Wohnsiedlung zwischen Bernauer und Neheimer Straße zahlreiche Fassaden bemalen. Dieser putzige Vogel stammt von Collin van der Sluijs and Super A Berlin. Wer alle Arbeiten der beteiligten Künstler sehen will, sollte einen Blick auf die Urban Nation Art Map werfen.
- Siedlung zwischen der Bernauer und Neheimer Straße, Tegel
Charlottenburger Triptychon
Die Street-Art-Künstler Gino Fuchs und Christian “Lake” Wahle erschufen 2004 das bis dato größte Wandbild der Stadt. Im Hinterhof einer alten Tankstelle in der Uhlandstraße 187 entstand ihr Triptychon, das sich auf drei Brandmauern mit einer Gesamtgröße von mehr als 1.200 Quadratmetern erstreckte. Es war antikapitalistisch bewegt und ist doch noch eher der klassischen Malerei verpflichtet als den neuen ästhetischen Strömungen der Urban Art. Wer damals der Eigentümer der Gebäude war und wie es mit der Genehmigung ablief, weiß heute niemand mehr. 2017 wurde das Grundstück vor dem Kunstwerk bebaut.
- Uhlandstraße 187, Charlottenburg
Apollo und Daphne an der U1
Der Argentinier Bosoletti und der Kanadier Jarus, beide anerkannte Größen im internationalen Street-Art-Kosmos, begegneten sich erstmals in Mexiko. 2018 folgten sie dem Ruf des Urban Nation Museums, das sich in Berlin als wichtigster Lobbyist der gehobenen Straßenkunst etabliert hat. 2018 war das Jahr des „United“-Projekts, bei dem Künstler aus verschiedenen Ländern kooperieren sollten. So auch Bosoletti und Jarus. Das Museum besorgte dem Duo die gewaltige, 45 mal 15 Meter große Wand, die zu einem Gebäude in der Wassertorstraße 65 gehört. Es ist direkt von der Skalitzer Straße einsehbar und das Werk gut aus der vorbeifahrenden U1 zu bewundern. Das Idee zu „Apollo und Daphne“ stammt aus Ovids „Metamorphosen“.
- Wassertorstraße 65, Kreuzberg
„Coole Location“ in der Heidestraße
Das ist der Abgrund. Bedenkt man die Geschichte der Murals als politische oder künstlerische Ausdrucksform, die anfangs illegal oder halblegal, sich an Häuserwänden und Mauern entladen hat, so ist dieses Motiv hier die totale Umkehr der Ausgangsidee. Ein Werbeträger im Dienste des Kapitals. Ein bärtiger, sonnenbebrillter Wohlstands-Hipster wirbt für teure Eigentumswohnungen in der Europa City an der Heidestraße in Tiergarten. Schlimmer geht es nicht.
- Heidestraße, Tiergarten
Der Trabi, der aus der Mauer kam
Auf dem Foto oben hätte auch der „Bruderkuss“ zu sehen sein können, das vielleicht berühmteste Bild an der East Side Gallery. Honecker und Breschnew im innigen Zungenschlag vereint. Das Motiv ist ein Touristenmagnet, aber auch der Trabi, der die Mauer durchbricht steht für Ostblock, Mauer, Mauerfall. Der ganze geschichtliche Komplex, der Berlin ausmacht, wird auf dem 1.300 Meter langem Mauerstück von verschiedenen Künstlern verarbeitet. Dazu kommen Friedensbotschaften und auch thematisch unabhängige Projekte. Es gab immer wieder viel Streit um die East Side Gallery, 2009 wurde die Bilder von den Künstlern selbst grunderneuert. Eine Initiative fordert die Aufnahme der großen Freiluftgalerie auf die UNESCO-Liste.
- East Side Gallery, Mühlenstraße, Friedrichshain
Murals auf dem Teufelsberg
Die ehemalige Abhöranlage der Amerikaner, die vom Teufelsberg aus den Osten belauschten, ist heute ein großer Abenteuerspielplatz. Die Gebäude, Außenmauern, Treppenhäuser und Radartürme dienen Künstlern aus aller Welt als kreatives Open-Air-Atelier. Es wird gesprüht, gemalt, geklebt, collagiert und sonst wie mit der Umgebung interagiert. Die Bilder tauchen auf, verschwinden, neue tauchen auf. Immer so weiter. Wer möglichst viel tolle Street Art, Urban Art, Graffiti-Kunst und Artverwandtes auf einem Haufen sehen will, ist hier an der richtigen Adresse.
- Teufelsberg, Charlottenburg
Der Zukunft zugewandt in Mitte
Graffiti und Street Art hatten in der DDR einen eher schwierigen Stand. Wenn überhaupt, dann haben Punks und Dissidenten Parolen an die Wand gepinselt. Ansonsten blieb das Dekorieren von Fassaden, wie so vieles andere im Arbeiter und Bauernstaat auch, fest in der Hand des Regimes. Dennoch lässt sich aber in dieser Reihe auch die sozialistische Kunst am Bau einordnen. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist das das Haus des Lehrers umlaufende Mosaik von Walter Womacka. Der an traditionelle mexikanische Kunst angelehnte Fries mit dem Namen „Unser Leben“ zeigt Darstellungen aus dem gesellschaftlichen Leben in der Deutschen Demokratischen Republik.
- Alexanderstraße, Mitte
Wandbilder am Tommyhaus
Das Tommy-Weisbecker-Haus gehört zu den wichtigsten Institutionen der linken Szene und ist ein Symbol der Kreuzberger Hausbesetzerbewegung. Heute steht es gegenüber der SPD-Zentrale und fristet ein eher beschauliches Dasein. Längst ist das selbstverwaltete Jugendzentrum und Wohnkollektiv mit Kneipe und Konzertraum sozialisiert und legalisiert. In den 1980er-Jahren wurde die Sanierung des Gebäudes in der Wilhelmstraße beschlossen. In diesem Zusammenhang entstanden auch die großen Fassadenbilder, die der Künstler und ehemalige Sozialarbeiter Andreas Dornbusch verantwortete.
- Wilhelmstraße 9, Kreuzberg
Blu an der Cuvrybrache
Dieses Bild existiert nicht mehr, heute entstehen auf der Cuvrybrache luxuriöse Neubauten. Von den zwei Brandmauern, an denen der italienische Street-Art-Künstler Blu sein zweitteiliges Bild um 2007 herum malte, ist auch nichts mehr zu sehen. Entstanden ist das berühmte Werk, das zum Symbol eines neuen Berlins wurde, im Rahmen des Ausstellungsprojekts „Planet Prozess“ des Kunstvereins Artitude. Damals galt Street Art als eine innovative und subversive Kunstform, die erst kuratorisch erschlossen werden sollte. Die Arbeit von Blu kritisiert den Wandel der Stadt und genau dieser spielte sich auf der davorliegenden Brache ab. Anfangs war dort das erste Yaam, dann war es eine öde Spielwiese, zwischendurch ein Zeltdorf, als Berlins erster Slum verschrieen, und irgendwann wollte BMW dort ein „Art-Lab“ aufbauen, wozu es wegen Protesten nicht kam. Als die Investoren das Grundstück schließlich übernahmen, übermalte Blu sein Werk selbst.
- Cuvrystraße, Kreuzberg (Bild existiert nicht mehr)
Angriff der 20-Meter-Frau
Direkt am Volkspark Friedrichshain sind in den letzten Jahren viele Neubauten entstanden, an einer Außenmauer durfte sich der US-Amerikaner Tristan Eaton verewigen. Der aus Los Angeles stammende Künstler ließ sich von der Filmgeschichte inspirieren und übersetzte für sein Filmgemälde den B-Movie-Klassiker „Angriff der 20-Meter-Frau“ (1958).
- Am Friedrichshain, Friedrichshain
Wandbild des letzten Kohlenhändlers
Die Ära der Kachelöfen ist vorbei. Jahrzehntelang versorgte der Kreuzberger Kohlenhändler Machule seine Nachbarn mit der schwarzen Ware und sorgte indirekt für einen erheblichen CO2-Ausstoß über der Stadt. Um 2017 machte er dicht, lange stand das Grundstück leer und nur das grünblaue Wandbild erinnerte noch an den alten Betrieb. Ein naives Bild aus alten Zeiten, das genauso wie linke Parolen und avantgardistische Street Art, für ein Stück Kreuzberg steht, das im Begriff ist zu verschwinden. Im Frühling 2020 stellten die neuen Investoren ein Hinweisschild auf die Brache: Hier entstehen schicke Eigentumswohnungen.
- Mariannenstraße 37, Kreuzberg
Mehr Ausflüge und Architektur
Es gibt noch mehr tolle Sehenswürdigkeiten in Berlin. Hier einige Ideen: 12 Türme in Berlin, die man kennen sollte. 12 Orte in Berlin, die jeder Architektur-Fan gesehen haben muss. Die 12 schönsten Brücken Berlins – und was sie so besonders macht. Am schönsten lässt sich die Architektur Berlins mit dem Fahrrad erkunden – in diesen 22 Fahrradläden findet ihr, was ihr braucht. Zudem gibt es überall in der Stadt Leihräder. Die eignen sich auch für unsere tollen Fahrradtouren in und um Berlin.