Berlin verstehen

Aus für das Heizkraftwerk Wilmersdorf: Ein Berliner Wahrzeichen verschwindet

Das Heizkraftwerk Wilmersdorf kennen alle. Die Silhouette der drei orangefarbenen Kesselhäuser mit den silberfarbenen Schornsteinen steht direkt an der A100. Jeden Tag rauschen zigtausende Autos an dem Monument der Berliner Energieversorgung vorbei. Jetzt ist Schluss. Im April 2021 nahm Vattenfall die Anlage vom Netz, im Juni 2021 beginnt der Rückbau der Anlage. Damit verschwindet ein Wahrzeichen aus dem Stadtbild. In 12 Fotos erinnern wir an den Koloss, dessen Geschichte bis ins Jahr 1911 zurückgeht. Mach es gut, altes Heizkraftwerk!


Sehenswürdigkeit an der A100: Heizkraftwerk Wilmersdorf

Luftbild des Wilmersdorfer Heizkraftwerks. Foto: Vattenfall/Andreas Friese
Luftbild des Wilmersdorfer Heizkraftwerks. Foto: Vattenfall/Andreas Friese

Der Standort wurde bereits 1911 für die Berliner Energieversorgung erschlossen. Nach Plänen des Architekten Hans Liepe, errichtete die E-Werk Südwest AG auf dem Gelände an der Forckenbeckstraße das Elektrizitätswerk Südwest. Ab 1938 hieß der Betreiber die Berliner Kraft und Licht AG, die später in Bewag umbenannt wurde. Nach der Schlacht um Berlin demontierte die Rote Armee große Teile der technischen Anlagen, die historischen Gebäude, darunter das Beamtenhaus und das Schalthaus, stehen bis heute unter Denkmalschutz.


Aufschwung in West-Berlin: Ein Kraftwerk wird neu gebaut

Aufziehen der Richtkrone, 1975. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv
Aufziehen der Richtkrone, 1975. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv

Nach der Demontage der Hochdruckanlage direkt nach dem Kriegsende, sank die Kraftwerksleistung auf 25 MW. Wilmersdorf spielte in den Nachkriegsjahren dennoch eine wichtige Rolle bei der Sicherung der Stromversorgung in der Mauerstadt. Doch West-Berlin benötigte in den 1960er-Jahren immer mehr Energie. 1964 ging das alte Kraftwerk daher endgültig vom Netz und 1974 begann der Aufbau des neuen Heizkraftwerks Wilmersdorf. Die Leistung stieg auf mehr als 300 Megawatt, das reichte für die Versorgung von 50.000 Haushalten mit Fernwärme.


Strom und Wärme für Berlin

Einziehen von Edelstahlrohren in die Schornsteine. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv
Einziehen von Edelstahlrohren in die Schornsteine. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv

1975 ging das neue Heizkraftwerk Wilmersdorf ans Netz. In den mittlerweile 45 Betriebsjahren wurden die drei Gasturbinen der Anlage knapp 12.000 mal gestartet. In nahezu 100.000 Betriebsstunden wurde Strom und Wärme für die Berliner ausgekoppelt und dabei mehr als sechs Millionen Megawattstunden Strom geliefert.


Ein markanter Bau

Montagearbeiten an den Schornsteinen, 1975. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv
Montagearbeiten an den Schornsteinen, 1975. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv

In West-Berlin entstand spätestens seit dem Mauerbau im August 1961 eine ganz eigne Architektur. Futuristisch, bunt und modern gab sich die Stadt. Ob die alte Kongresshalle (heute Haus der Kulturen der Welt), Hans Scharouns Philharmonie, die Neue Nationalgalerie oder der Steglitzer Bierpinsel, die Mauerstadt wurde von markanten Bauwerken geprägt. Auch das Heizkraftwerk Wilmersdorf mit den drei gewaltigen Schornsteinen und den orangefarbenen Sockeln passte sich gut in das neue Stadtbild ein.


Im Inneren der Maschine

Heizkraftwerk Wilmersdorf: Reparaturarbeiten an einer Gasturbine, 1992. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv/Ludwig Preiß
Reparaturarbeiten an einer Gasturbine, 1992. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv/Ludwig Preiß

Millionen Berliner und Berlinerinnen sahen jedes Jahr immerzu das Heizkraftwerk, man fuhr an den drei Türmen vorbei und schon bald gehörte der Koloss zum Alltag. Doch das Innere der Maschine sah bis auf einige Spezialisten der Bewag niemand. Das Foto aus dem Jahr 1992 zeigt einen Reparatureinsatz an einer Gasturbine.


Technik, die begeistert

Gasturbinenhäuser, 1990. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv/Ludwig Preiß
Gasturbinenhäuser, 1990. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv/Ludwig Preiß

Die Anlage wurde in Stahlbeton-Massivbauweise mit weißen Sichtbetonflächen errichtet. Die Wärmehalter erhielten ein Stahlskelett, das mit den von weit gut sichtbaren orangegelben Aluminiumplatten verkleidet wurde. Die Heizzentrale befand sich an der mittleren Gruppe und auf den Dächern wurden die Kühltürme angebracht. In den Höfen der Anlage befanden sich die Heizöl-Tanks, mit denen das Kraftwerk betrieben wurde. Ein großer Teil der Wärmeenergie aus den Turbinenabgasen wurde in Fernwärme umgewandelt, so lag der Brennstoff-Ausnutzungsgrad bei etwa 70%.


An der Autobahn gebaut

Das Heizkraftwerk Wilmersdorf an der A100, 1992. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv/Ludwig Preiß
Das Heizkraftwerk Wilmersdorf an der A100, 1992. Foto: Vattenfall/Bewag Archiv/Ludwig Preiß

In gewisser Weise wirkte das Heizkraftwerk Wilmersdorf unerreichbar, man rauschte auf der A100 an der Anlage vorbei oder stand in ihrem Schatten im Stau. Wie man auf das Werksgelände gelangte, war den meisten egal. So gehören Autobahn und das Kraftwerk untrennbar zusammen und damit ist es auch ein Teil der Berliner Autobahngeschichte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die West-Berliner Verkehrsplaner auf den Autoverkehr. Die Straßenbahnen wurden abgeschafft, zwar wurde zeitgleich das U-Bahnnetz ausgebaut, doch dem Auto sollte die Zukunft gehören. Ein Kernprojekt dieses Vorhabens war die Stadtautobahn A100. Der erste Abschnitt wurde 1958 eröffnet, er verband die Ausfahrten Kurfürstendamm und Hohenzollerndamm. Ab 1975 dominierte das an der Ausfahrt Schmargendorf (Abzweig Steglitz) gelegene Heizkraftwerk Wilmersdorf diesen Autobahnabschnitt.


Bewag wird zu Vattenfall

Bewag-Logo am Heizkraftwerk Wilmersdorf, 2002. Foto: Imago/Christian Ditsch
Bewag-Logo am Heizkraftwerk Wilmersdorf, 2002. Foto: Imago/Christian Ditsch

Miete, Bewag, Gasag und Telefon. Das musste man früher in Berlin bezahlen, wenn man hier wohnte. Der Markt der Strom- und Wasseranbieter war noch nicht offen und die Bewag war jenes Unternehmen, das den Strom lieferte. So war das. Im Jahre 1884 wurden die Berliner Städtischen Elektrizitätswerke gegründet, bis 2009 versorgte man die Stadt mit Strom, dann wurde ein Deal mit dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall abgeschlossen. Die gute alte „Bewag“ wurde Teil des neuen Unternehmens und die Marke verschwand, auch vom Heizkraftwerk Wilmersdorf.


Nur noch eine Nebenrolle

Berliner Skyline mit dem Heizkraftwerk Wilmersdorf. Foto: Imago/photothek.de

Bei der Strom- und Wärmeversorgung Berlins spielte das Heizkraftwerk Wilmersdorf in den letzten Jahren eher eine Nebenrolle. Die Anlage wurde nur noch temporär – in Spitzenlastzeiten – betrieben oder wenn andere Kraftwerke wegen Revisionen nicht am Netz waren.


Feuer im Heizkraftwerk

Feuer im Heizkraftwerk Wilmersdorf, 2017. Foto: Imago/Olaf Wagner
Feuer im Heizkraftwerk Wilmersdorf, 2017. Foto: Imago/Olaf Wagner

Zu größeren Katastrophen, von denen es in Berlin immer wieder welche gab, kam es in den gut 40 Jahren Betrieb zum Glück nicht. Doch ein Heizkraftwerk ist ein durchaus gefährlicher Ort. 2017 brach auf dem Gelände ein Feuer aus, bei dem eine Person schwer verletzt wurde. Ein Hubschrauber des Unfallkrankenhauses Marzahn wurde gerufen und hat den Mann abtransportiert.


Das Ende einer Ära

Heizkraftwerk Wilmersdorf: Die letzten Wochen des heizkraftwerks Wilmersdorf, März 2021. Foto: Imago/Joko
Die letzten Wochen des Heizkraftwerks Wilmersdorf, März 2021. Foto: Imago/Joko

Dass das alte Heizkraftwerk Wilmersdorf vom Netz genommen wurde, ist keine Überraschung, sondern Teil einer von langer Hand geplanten Strategie hin zu Berlins Klimaneutralität. Mit der Entscheidung endet eine Ära und eine neue beginnt. Bereits 2018 sind an dem Standort drei erdgasbasierte Heißwassererzeuger in Betrieb gegangen, die über eine thermische Leistung von rund 120 Megawatt verfügen, zudem spielt der Standort weiterhin eine wesentliche Rolle für die Verteilung von Fernwärme.


Klimaneutralität für Berlin

Heizkraftwerk Wilmersdorf: Plan mit den zum Rückbau vorgesehenen Objekte. Foto: Vattenfall
Plan mit den zum Rückbau vorgesehenen Objekte. Foto: Vattenfall

Das große Ziel heißt Klimaneutralität für Berlin. Der 2017 beschlossene Braunkohleausstieg machte den Anfang, es folgten zwei neue Gas- und Dampfturbinenanlagen in Lichterfelde und Marzahn. Als nächste Etappe (bis 2030) steht der Ersatz der Steinkohle bei der Wärmeerzeugung im Fokus. Letztlich geht es um eine fossilfreie Strom- und Wärmeversorgung für die Stadt. Der Rückbau (Beginn im Juni 2021) des Heizkraftwerkes Wilmersdorf ist ein notwendiger Schritt auf diesem Weg. Doch so wie der aus dem Verkehr genommene Flughafen Tegel vielen Berlinern und Berlinerinnen noch lange fehlen dürfte, werden nicht wenige auch die drei Schornsteine auf den orangenen Sockeln an der A100 vermissen.


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