Wir reisen zurück in die 1980er-Jahre: Architektonisch und stadtpolitisch eine ziemlich ereignisreiche Zeit in Berlin, die wir anhand von wichtigen IBA 84/87-Projekten nacherleben können.
Die internationale Bauausstellung, kurz IBA, war ein Konzept in Deutschland, das vom Berliner Senat ins Leben gerufen und finanziert wurde, um soziale, kulturelle sowie ökologische Impulse hinsichtlich der Stadtplanung zu setzen. 1984/87 hatte die IBA Berlin die Themenschwerpunkte „kritische Rekonstruktion” und „behutsame Stadterneuerung”, es ging also um weitesten Sinne um Widerstand gegen die Flächensanierung alias Kahlschlagsanierung. Unterteilt wurde die Ausstellung in IBA-Neubau und IBA-Altbau.
IBA Berlin 1984/87 unter dem Thema „kritische Rekonstruktion“ + behutsame Stadterneuerung“
Die IBA-Neubau Gruppe, entwickelte unter der Leitung von Josef Paul Kleihues die innerstädtischen Ansätze zur kritischen Rekonstruktion und konzentrierte sich auf die Entwurfsgebiete: südliche Friedrichstadt, südliches Tiergartenviertel und den Tegeler Hafen. Im Gegensatz zu der IBA-Altbau Gruppe, die unter dem Slogan „Rettung der kaputten Stadt“, sich die Umnutzung und Modernisierung der Bestandsbauten als Ziel gesetzt hatten. Auch mit dem Ansatz, auf die Wohnungsnot und die vielen illegalen Hausbesetzungen in Kreuzberg Ende der 1970er-Jahre zu antworten
Die als ursprünglich Experiment angelegten Leitbilder und Instrumente zur Entwicklung einer nachhaltigen und gleichzeitig modernen Stadt schrieben damit tatsächlich europäische Geschichte – und dienen auch heute noch als Grundsätze für ein vielfältiges Berlin. Wir stellen IBA-Projekte vor, die so gelungen sind, dass sie sich unsere Architekt:innen von Morgen hin und wieder mal vor Augen führen sollten.
IBA 84/87: Das Ökoprojekt Block 6
Den Block 6 könnt ihr direkt um die Ecke vom Anhalter Bahnhof erkunden. Das Projekt wird als Pionierleistung für den ökologischen Städtebau bezeichnet, es stellt einen Zusammenschluss aus einem Wohnkomplex der 1960er-Jahre, einem Altbau und sechs im Zuge der IBA 84/87 errichteten Neubauten dar. Der 900 Quadratmeter große Innenhof wurde genutzt, um eine lokale Wasserver- und -entsorgung zu gewährleisten, indem hier das aus den Wohnungen entstehende Grauwasser wieder aufbereitet wurde und schließlich für Freiflächenbewässerung und häusliche Bedarfe weiter zirkulierte. Heute ist der Block als ein technisches Denkmal eingetragen. Auch die gegenwärtigen ökologischen Standards wie Mülltrennung, extensive Dachbegrünung und Wasserspareinrichtungen wurden in diesem Modellprojekt erstmalig ausprobiert.
- Block 6 Dessauer Straße/Bernburger Straße, Kreuzberg
IBA 84/87: Block 70 an der Admiralbrücke
Nach dem Zweiten Weltkrieg bröckelte der Block zwischen Fraenkelufer und Kohlfurter Straße aufgrund von Vernachlässigung und Überbelegung buchstäblich auseinander, weshalb neue Infrastrukturen her musste. So entstanden expressive Neubauten Des Architektenpaars Hinrich und Inken Baller sowie rund 200 Wohnungen am Erkelenzdamm und Fraenkelufer, in Kombination mit sozial orientierten Altbaumodernisierungen.
- Block 70 Kohlfurter Straße, Admiralstraße, Fraenkelufer, Erkelenzdamm, Wassertorplatz in Kreuzberg
Das IBA-Selbstbauexperiment „Wohnregal“
Ein Regal, das bewohnbar ist? Es ist eines der wohl spannendsten Projekte im Rahmen der IBA-Modellprojekte. Es befindet sich in der Admiralstraße, als Fortsetzung der bekannten Admiralbrücke, und wurde von den damals 22 zukünftigen Bewohner:innen selbst entworfen und gebaut. Es war die erste Genossenschaftsgründung für gemeinschaftliche Neubauprojekte nach dem Krieg, mit dem Ziel innovativ und modern zu wohnen und gleichzeitig Immobilienspekulationen zu entgehen. Es entstanden zwölf einzelne Wohnungen, die wie Regalfächer, meist zweigeschossig, in den Stahlskelettbau gewissermaßen eingeschoben wurden und den Wohnungstypus generell neu definieren sollten. So entstanden im Rahmen der IBA sozusagen Einfamilienhäuser mitten in der Großstadt, mit großem Augenmerk auf der Gemeinschaft.
- Wohnregal Admiralstraße 16 in Kreuzberg
Das Wohn- und Geschäftshaus am Checkpoint Charlie entstand für die IBA 84/87
Das voluminöse Bauwerk mit den vielen Ein- und Ausblicken, überzogen von einem prachtvollen Liniennetz, befindet sich genau an der Schnittstelle von Koch- und Friedrichstraße, direkt am Checkpoint Charlie. Die grundsätzliche städtebauliche Idee war es, die Innenstadt wieder als Wohnort zurückzugewinnen und die komplette Umgebung attraktiver und lebenswerter zu gestalten. Für die IBA-Neubaugruppen galt es als Voraussetzung, sich mit der Geschichte des Ortes kritisch auseinanderzusetzen. Der Architekt Peter Eisenmann hat sich das hier hier formensprachlich zu Wort genommen: Die Gestaltung bezieht sich auf die rechtwinklige historische Stadtstruktur, verwoben mit einem darüberliegenden Gitternetz, das das Mercator-Netz der Erdvermessung (Breitenkreise und Meridiane werden zu Geraden) markiert.
- Haus am Checkpoint Charlie Rudi-Dutschke-Str. 28 (früher Kochstraße)/Friedrich Str. 43, Kreuzberg
Die IBA84/87-Kindertagesstätte in der Dresdner Straße, Kreuzberg
Vom Parkhaus zur Kita mit 136 Plätzen: ein sehr gelungenes IBA-Konversionsprojekt in Berlin. Ausgehend von der damals geplanten und nicht realisierten Autobahn entstand das ungenutzte Parkhaus. Danach wurde es zu einem sozialökologischen Umbau mit Dachterrasse, Solar-Speicheranlage und begrünter Fassade – wir sagen Chapeau und wollen bitte mehr davon.
- Kindertagesstätte Dresdener Str. 128, Kreuzberg
Im Zuge einer früheren IBA entstand das Hansaviertel – ein Überblick. Sie prägten die halbe Stadt: DDR-Architekten in Berlin. Ost-Berlin satt gesehen? Dann gibt es hier ikonische Bauten in West-Berlin und einen Blick hinter die Fassade der 1920er-Jahre-Architektur mit Hans Poelzigs expressionistischem Haus des Rundfunks in Charlottenburg. Und mit mehr Eleganz und Funktionalität beflügelt uns Star-Architekt Hans Scharoun mit seinen Werken. Wenn ihr generell mehr zum Thema Architektur in Berlin erfahren wollt, empfehlen wir euch unsere Architektur-Rubrik mit immer neuen Texten.