Berlin verstehen

Geschichte der Zeitungen in Berlin: Historische Bilder der Pressestadt

Am U-Bahnhof und auf der Straße: der kleine Kiosk, aus den Zeitungen nur so herausquillen. Natürlich auch im Zeitungsladen an der Ecke und im Supermarkt. Manch einer bekommt seine Zeitung noch vor die Haustür geliefert. Zeitungen und Zeitschriften sind allgegenwärtig in der Stadt, und Berlin blickt auf eine lange Geschichte der Zeitungen zurück. Im Bildband „Unter Druck“ spürt Oliver Ohmann auf, wie und wo die Welt der Nachrichtenblätter hier sichtbar wurde.

Ein Zeitungskiosk in Berlin-Mitte, 1934. Foto: bpk / Friedrich Seidenstücker

Die erste Fotografie geht bis ins Jahr 1864 zurück und zeigt einen adrett gekleideten, seriösen Mann, der die „Volks-Zeitung“ liest. Richtig los geht es in dem Buch um 1900, als die großen Verlage Ullstein, Mosse und Scherl sich etabliert hatten.

Zu sehen sind natürlich Redaktionen mit ihren Journalisten, die rauchend zwischen Papierbergen Fotos auswählen; Druckereien mit ihren großen Maschinen, darunter die, an denen die Texte gesetzt wurden. Dazwischen immer wieder Bilder des Zeitungsverkaufs und der Menschen, die die Lektüre in den Händen halten. Mal zu Hause im privaten Raum, mal in geselliger Runde mit anderen Lesern, mal in der U-und S-Bahn oder ganz im öffentlich Raum. So wie im letzten Bild, das 1990 datiert ist. Darin festgehalten ist eine lange Schlange von Menschen mit Zeitungen in der Hand. Sie stehen vor der Sparkasse am Alexanderplatz, um ihr Begrüßungsgeld abzuholen. Die Welt ist im Umbruch, sie scheint sich schneller zu drehen als sonst und aus der Zeitung erfahren die Berliner, was gerade um sie herum passiert.

Erfrischend an dem Bildband ist, dass zwischen all den Männern auch Frauen zu entdecken sind: In den Redaktionen, in den Druckereien, unter den Lesenden und im Verkauf.

In zwölf Bildern erzählen wir von der Geschichte der Stadt und ihrer Affinität zur Zeitung.


Um 1900 auf dem Weg zur Metropole: Zeitungsverkauf auf der Straße

Eine Zeitungsfrau am Kranzlereck. Holzstich (1886) nach einer Zeichnung von Otto Andres. Foto: bpk

Zeitungen wurden damals überwiegend im Abonnement bezogen. Der Straßenverkauf, wie die Zeitungsfrau am Kranzlereck es 1886 auf dem Bild machte, wurde nur geduldet. Berlin mauserte sich aber zunehmend zur Metropole, so dass ab 1904 der Straßenverkauf von Zeitungen offiziell genehmigt wurde. Das bezog sich nicht nur den mobilen Zeitungshandel, sondern auch auf die Errichtung kleiner Zeitungsstände beziehungsweise Zeitungshäuschen, den Kiosks.

Die Zeitungshändler und die BVG haben damals schon mitgedacht, damit die Fahrgäste auf manch langen Strecken durch die Stadt mit ausreichend Lektüre versorgt sind und stets auf dem neuesten Stand. 1902 gab es bei den ersten Bahnhöfen auf den Bahnsteigen beziehungsweise im Eingangsbereich zwar noch keine Verkaufseinrichtungen, aber häufig standen Zeitungskioske direkt neben den Eingängen. Bei den ersten Streckenerweiterungen wurden dann Kioske auf den Bahnsteigen miteingeplant. Auf dem 1906 eröffneten U-Bahnhof Bismarckstraße (heute Deutsche Oper) gab es bereits einen Zeitungskiosk. Heute kann man an 75 Bahnhöfen der BVG, von insgesamt 175, sich noch schnell etwas zu lesen holen, bevor der Zug in den Bahnhof rollt.


Auf die Barrikaden: Novemberrevolution im Berliner Zeitungsviertel

Während der Revolution in Berlin 1918/19 besetzten Spartakisten im Januar 1919 das Zeitunsgviertel. Foto: bpk

Nachdem der Erste Weltkrieg vorbei war, kehrte zwar international Frieden ein, doch in Deutschland wurde bitter weitergekämpft. Der Kaiser hatte abgedankt, die Monarchie war Vergangenheit, aber wie sollte es weiter gehen? Wer sollte wie regieren? Die zersplitterte Linke hatte ihre Vorstellungen, die Anhänger der Monarchie, die Angehörigen der Armee und die Liberalen jeweils ihre eigene. Demonstrationen, Kundgebungen, Streiks und Straßenkämpfe bestimmten das Stadtbild.

Wenn es darum geht, seine Meinung kund zu tun oder anderer Leute Meinung mundtot zu machen, der richte sich an die Zeitung. So verwundert es kaum, dass auch Berlins Zeitungsviertel ins Kreuzfeuer der Revolutionäre geriet. Die Spartakisten besetzten das Zeitungsviertel. Dabei nutzten sie Papierrollen und Zeitungspacken als Barrikaden und Schießscharten. Sie hatten sich vor dem Mossehaus von Rudolf Mosse in der Schützenstraße, Ecke Jerusalemer Straße positioniert. Das war kein Zufall. Der Mosseverlag brachte das „Berliner Tageblatt“ heraus, das sich gegen den Kommunismus und eine Räterepublik ausgesprochen hatte. Am 5. Januar 1919 stürmten die Spartakisten die Redaktion des Blattes und für eine Woche war der Betrieb lahm gelegt. Als es dann zu Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Spartakisten und Militär kam, wurde eine weiße Gardine aus dem Redaktionszimmer zur Parlamentärsfahne umfunktioniert.


Tempo, Tempo: Die „B.Z. am Mittag“ war eine Innovation  

Geschichte der Zeitungen in Berlin: Während des Verkehrsstreiks liefert der Zeitungsjunge die „B.Z. am Mittag“ auf Rollschuhen, 1920. Foto: bpk/Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer/Willy Römer
Geschichte der Zeitungen in Berlin: Während des Verkehrsstreiks liefert der Zeitungsjunge die „B.Z. am Mittag“ auf Rollschuhen, 1920. Foto: bpk/Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer/Willy Römer

Auf Rädern geschwind durch die Stadt und die „B.Z. am Mittag“ schnell unter die Leute gebracht. Schließlich rühmte sich die Boulevardzeitung damit, die schnellste Zeitung der Welt zu sein. Die ersten Zeitungsjungen strömten übrigens in New York durch die Straßen, als sie ab 1833 die „New York Sun“ lauthals anpriesen. Der spätere US-Präsident Harry Truman und der Schriftsteller Mark Twain verdienten sich damit auch ein paar Pennys.

Da überrascht es kaum, dass die „B.Z. am Mittag“ sich am amerikanischen Modell orientierte. Sie war 1904 die erste deutsche Zeitung, die nur im Straßenverkauf erhältlich war. Das war in Deutschland in zweifacher Weise neu: Zum einen, weil Zeitungen oftmals über ein Abonnement bezogen wurden, zum anderen, weil sie bis dato nur morgens und/oder abends erschienen.

Entsprechend brummten die Druckereien morgens und abends. Mittags standen sie jedoch still. Der Verleger Louis-Ferdinand Ullstein erkannte die Lücke und ließ nun eine Mittagsausgabe seiner „Berliner Zeitung“ drucken, die unter dem Namen „B.Z. am Mittag“ die Stadt erorberte. Sie hatte etwas, was so schnell keine andere Zeitung hatte: Die Börsenmeldungen. Sie wurden übers Telefon an die Redaktion geliefert und schon sieben Minuten später waren sie in den ersten Ausgaben des Blattes nachzulesen. Das machte die„B.Z. am Mittag“ zur schnellsten Zeitung der Welt.

Es steckte noch mehr hinter der Publikation. Die damalige „Berliner Zeitung“ war bereits seit 1876 auf dem Markt, wenig später wurde sie Teil des Ullstein Verlags. 1898 hob Ullstein zusätzlich die „Berliner Morgenpost“ aus der Taufe, die schnell ein Renner wurde. Damit beide Blätter sich morgens nicht gegenseitig die Leser wegnahmen, wurde die Morgen- und Abendausgabe der „Berliner Zeitung“ einfach gestrichen. Die Mittagsausgabe blieb – und zwar bis Februar 1943. Danach wurde die Zeitung im Zuge des Krieges eingestellt.


Pst! Lesesäle für den vollen Genuss von der ersten bis zur letzten Seite

Geschichte der Zeitungen in Berlin: Lesesaal des Scherl-Verlags, 1925-30. Foto: bpk / Friedrich Seidenstücker

Neben Ullstein und Mosse war Scherl, genauer gesagt, August Scherl um 1900 der dritte große Verleger in Berlin. Sein Geschäftsprinzip mit dem „Berliner Lokal-Anzeiger“ beruhte darauf, das Blatt ausschließlich durch Inserate zu finanzieren. In Berlin und Umland war es quasi gratis zu haben, nur für die Zustellung erbat er einen Obolus.

Sein Imperium umfasste außerdem Titel wie „Neueste Berliner Handels- und Börsennachrichten“, die erste deutsche Sport-Zeitschrift „Sport im Bild“, die Tageszeitung „Der Tag“ sowie „Die Gartenlaube“ und die Familienzeitschrift „Praktischer Wegweiser“.

Aber was nutzt das gedruckte Wort, wenn es nicht gelesen wird? Der Scherl-Verlag richtete daher bei sich in der Zimmerstaße einen Lesesaal ein. Der bot sicher nicht nur Ruhe, sondern auch etwas Wärme. Auffällig sind die vielen älteren Männer im Bild. Es stammt aus den späten 1920er-Jahren, da war August Scherl längst nicht mehr Herr im Hause, sondern der rechts stehende Alfred Hugenberg. Dieser hatte 1916 das Zepter in die Hand genommen, da Scherl das Geld aus den Händen rann – zuviel hatte er sich außerhalb des Verlags vorgenommen. Hugenbergs Affinität zum Scherl-Verlag ergab sich dadurch, dass Scherl Monarchist war und beide ein ähnliche politische Linie vertraten.

Anders sah es übrigens 1917 im Lesesaal der avantgardistischen Zeitschrift „Sturm“ aus. In dessen Weltpressestelle in der Potsdamer Straße waren junge Männer und Frauen ganz in die Lektüre der internationalen Presse vertieft. Sie kam mitunter aus Amerika, Skandinavien, Frankreich, den Niederlanden und Spanien. Dabei war eine Palette politischer Richtungen präsent. Die sozialistische „Avanti!“ aus Italien lag aus sowie die „Rede“ aus Russland, einer parteigebunden Tageszeitung, die liberal war und die Interessen des russischen Bürgertums  vertrat. Die „Avanti! war übrigens Namensvorbild für das SPD-Blatt „Vorwärts” und wurde bis 1993 vertrieben. Die „Rede” musste bereits 1918 verstummen.  

Während des Ersten Weltkrieges war es sicher etwas Besonderes, Zugang zu solch breit gefächerter, ausländischer Presse zu haben.


Einmal „Die Dame“, bitte! Die Weimarer Republik war die Blütezeit der Presse in Berlin

Zeitungskiosk in der Kaiserallee (heute Bundesallee) mit 966 Publikationen, 1932. Foto: bpk / Friedrich Seidenstücker

Der Betreiber dieses Kiosks musste gut den Überblick behalten können. 966 Zeitungen und Zeitschriften lagen bei ihm aus. Das war 1932 und zeigte, wie die Zeitungswelt in Berlin seit den 1920er-Jahren florierte. Zu verdanken war das der Weimarer Republik, die freie Meinungsäußerung ermöglichte und Pressefreiheit schützte. Zudem war Berlins Bevölkerung zu der Zeit war vielfältig: Russen, die in Berlin im Exil waren, Kommunisten, Monarchisten, das liberale und das konservative Bürgertum, Arbeiter, Angestellte, Künstler, Kiezbewohner und viele mehr. Alle hatten etwas zu berichten, sodass bis zu 147 Tageszeitungen in Berlin herauskamen, manche davon sechs mal die Woche, andere sogar zwölf mal, wenn es eine Morgen- und Abendausgabe gab. Hinzu mischten sich die vielen Zeitschriften sowie die überregionale und internationale Presse. In Berlin war man also bestens informiert.

Der abgebildete Kiosk stand übrigens an der Kaiserallee, der heutigen Bundesallee, die durch die vornehmen westlichen Bezirke Charlottenburg, Wilmersdorf und Friedenau führt. An der Kaiserallee hatten viele Prominente ihre Adressen, etwa der Unternehmer James Simon, die Schauspielerinnen Asta Nielsen und Marlene Dietrich und der Schriftsteller Kurt Tucholsky. Sie alle schätzten sicher das breite Angebot.  


Geschichte der Zeitungen in Berlin: Die Presselandschaft war international

Ein Zeitungsverkäufer der „Basler Nachrichten“ an der Friedrichstraße, 1934. Foto: bpk

1934 die „Basler Nachrichten“ in Berlin zu repräsentieren, war sicher eine ehrwürdige Aufgabe, wenn man dafür mit Firmen-Käppi und gepflegten Anzug ausgestattet wurde. Das Blatt vertrat eine bürgerlich-konservative Meinung, die zu diesem Zeitpunkt unter der Naziherrschaft wohl akzeptabel war. Insgesamt schien in dem Jahr noch ein weltoffener Wind durch die Stadt zu wehen, blickt man auf die Mischung ausländischer Zeitungen am Samstag des 9. Junis: der linksorientierte „Manchester Guardian” aus England, das liberale „Algemeen Handelsblad“ aus Amsterdam, die rechte „Gazetta del Popolo“ aus Italien und die Wochenzeitung „Le Journal“ aus Frankreich. Das kosmopolitische Publikum der Stadt war gut bedient, denn die wenigsten Einheimischen beherrschten fremde Sprachen.  

Interessant im Bild sind auch die jüdischen Blätter „Jüdische Rundschau“ und „C.V.-Zeitung“, Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Beide unterrichteten ihre Leser noch bis 1938, was sich in der bedrohten jüdischen Gemeinde und der Welt abspielte.


Die NS-Presse nutzte auch die Pressefreiheit der Weimarer Republik

Die NS Propagandawoche stand 1936 in Berlin an. Foto: bpk

Auch die NSDAP ließ es sich nicht nehmen, von der Pressefreiheit der Weimarer Republik Gebrauch zu machen. Bereits 1920 ließ die Partei den „Völkischen Beobachter“ verbreiten: keine Zeitung im klassischen Sinne, die informierte, sondern ein „Kampfblatt“, das zur Agitation aufrief. Es wurde in München produziert und im Reich vertrieben. Bis 1929 waren die Auflagen eher mau, aber nur ein Jahr später überschritt sie die 100.000er-Schwelle und positionierte sich zwischen den großen Blättern.

In Berlin richtete die Partei übrigens erst 1932 eine eigene Druckerei ein; in der Zimmerstraße, wo ab 1. Januar 1933 zwei Regionalausgaben produziert wurden: Eine norddeutsche und eine Berliner. Das Ende des Zweiten Weltkrieges war auch das Aus der Hetzschrift. Seit dem 30. April 1945 floss dafür keine Druckerschwärze mehr.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 folgte auch die „Gleichschaltung“ der Presse, die eigentlich die Ausschaltung derselben war. Jüdische Verleger wie Ullstein und Mosse wurden enteignet, ihre Glaubensgenossen unter den Mitarbeitern entlassen. Wer Glück hatte, konnte sich ins Ausland retten. Kommunistische und sozialdemokratische Blätter wurden verboten. Die übrigen Publikationen wurden unter die Kontrolle der NSDAP gestellt und auf Parteilinie gebracht. Vielfalt und Pressefreiheit waren nur noch schöne Erinnerungen. Die Presse wurde nun zu Propagandazwecken und Verbreitung der NS-Ideologie eingesetzt.


Die „Berliner Zeitung“ brachte die ersten gedruckten Nachrichten nach Kriegsende

Am 21. Mai 1945 war die „Berliner Zeitung” die erste Zeitung nach Kriegsende fast zwei Wochen zuvor am 8. Mai. Foto: bpk

Nachdem Berliner in der Vorkriegszeit aufgrund der Pressevielfalt stets auf Nachrichten aus Nah und Fern zugreifen konnten, waren sie in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges völlig von der Nachrichtenwelt abgeschnitten. Fehlende Elektrizität ließ das Radio verstummen und Druckmaschinen standen still, als in den letzten Apriltagen 1945 sowjetische Panzer begannen, durch die Straßen zu rollen und Schüsse aus allen Richtungen die Stadt unsicher machten.

Die Sowjets hatten Berlin von der Naziherrschaft befreit und übernahmen vorerst die alleinige Macht in der Stadt. Die Alliierten, das heißt die Amerikaner, Briten und Franzosen, die ebenfalls das NS-Regime zu Fall brachten, kamen erst später. Die Berliner wussten nicht, was in ihrer Stadt los war. Die sowjetische Militäradministration hatte schnell die Bevölkerung im Blick und brachte die Druckmaschinen wieder zum Laufen. Am 21. Mai 1945 versorgten 100.000 Exemplare der „Berliner Zeitung” die Städter erstmalig wieder mit Informationen. Die Schlagzeile lautete “Berlin lebt auf!”. Die Ausgabe hatte gerade mal vier Seiten, aber man riss sie den Verkaufenden aus den Händen.

Für die Sowjets war der schnelle Aufbau der Presse wichtig, um die Bevölkerung für ihren Sozialismus zu gewinnen. Diese „Berliner Zeitung” hatte übrigens nichts mir ihrer Vorgängerin aus dem Hause Ullstein zu tun. Sie war ein Kind des neu gegründeten Berliner Verlags.


Berliner Zeitungsgeschichte geht weiter – trotz Trümmerhaufen wird gedruckt

Ein Zeitungskiosk in Westberlin vor einem Trümmerhaufen, 1950. Foto: bpk / Jochen Moll

1950 mag in Berlin noch manch Trümmerhaufen gestanden haben, doch der Pressebetrieb war wieder voll im Gang. Einerseits mag die Fülle der Publikationen überraschen, denn Verleger brauchten eine Lizenz der Siegermächte, andererseits waren die Lizenzgeber im Westen am Aufbau der Demokratie in Deutschland interessiert und die ergab sich nun mal aus einer Vielstimmigkeit.

Seit 1949 war Deutschland offiziell geteilt: Es gab den demokratisch regierten Westen, die BRD, und dem Sozialismus unterstehenden Osten, die DDR. Nachdem im Mai 1945 die „Berliner Zeitung“ im Ostteil der Stadt von den Sowjets abgesegnet war, erhielt im September 1945 „Der Tagesspiegel“ seine Lizenz von den Amerikanern. Im Westen durfte sich das politische Spektrum der Presse zwischen einem konservativen und einem linken Liberalismus bewegen. Im Osten war die Politik auf den Sozialismus beschränkt. Die politische Rechte sollte weder in Ost noch West zu Wort kommen.


Ist das Blatt neu? Die „B.Z. am Abend“ erscheint im Ostsektor

Eine Zeitungsverkäuferin der „B.Z. am Abend“ in der U-Bahn in Ostberlin, 1952. Foto: bpk / Herbert Fiebig

Wir schreiben das Jahr 1952. Eine Frau verkauft Zeitungen in der U-Bahn. Das Besondere: ihre Uniform und ihre Zeitung. Es ist die „B.Z. am Abend“, sie stammt aus dem Berliner Verlag, der 1945 im Ostteil der Stadt gegründet wurde und in dem auch die „Berliner Zeitung“ erschien. Bis zur Berliner Blockade 1948/49, als sich die politischen Fronten zwischen Ost und West verschärften, war die Zeitung in beiden Teilen der Stadt zu lesen. Die „B.Z. am Abend“ ging erstmalig kurz nach dem Ende der Blockade in den Druck, im Juni 1949. Wie die „B.Z. am Mittag“ damals ist sie nur im Straßenverkauf erhältlich. Aber sonst haben beide Blätter nichts miteinander zu tun, denn der „Berliner Verlag“ untersteht der staatlichen Kontrolle der DDR-Regierung.

An die Geschichte der „B.Z. am Mittag“ knüpft 1953 erst die im Westteil publizierte „B.Z.“ an – allerdings ohne den Zusatz „am Mittag“, da sie bereits am Morgen zu haben war. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde aus der „B.Z. am Abend“ der „Berliner Kurier“.

Die Uniform der Verkäuferin verrät allerdings nichts über ihre Verbindung zur „B.Z. am Abend“ – anders als beim Herren von den „Basler Nachrichten“ 1934. Ihre Uniform trägt das Logo der Deutschen Post. 1952 wahrscheinlich noch nicht offiziell, aber ab 1959: In der DDR hatte die Deutsche Post das alleinige Recht zur Nachrichtenbeförderung und Nachrichtenübermittlung, das schloss den Vertrieb von Presseerzeugnissen mit ein.


Wie war das mit der Pressefreiheit? Die Presse in der DDR

Ein Zeitungsgeschäft im Scheunenviertel in Ostberlin, 1960. Foto: bpk / Konrad Hoffmeister

Mai 1960 im Scheunenviertel: Ein kleiner Kiosk mit Titeln der DDR. Allen voran das Parteiblatt der SED „Neues Deutschland“, für die jüngeren Leser die „Junge Welt“ der Jugendorganisation FDJ, und der FDGB (Freie Deutsche Gewerkschaftsbund) verbreitete seine Nachrichten über die „Tribüne“. Interessant ist auch die „Chemie Rundschau“, die etwas über den sich etablierenden Arbeiter- und Bauernstaat, wie sich die DDR gern nannte, erzählt. Daneben noch Sport und leichte Lektüre in Form von Magazinen.

Die Mehrzahl der regional und überregionalen Zeitungen wurden in Berlin, das heißt im Ostteil der Stadt, der Hauptstadt der DDR gedruckt. Die Regierung konnte von dort auch gleich ihre „Anleitungen“ geben, was berichtet werden durfte und was nicht, und wie welche Sachverhalte öffentlich zu argumentieren waren.


Zeitungen im Glanz des Westens am Kurfürstendamm

Ein Zeitungsstand am Kurfürstendamm, 1962. Foto: bpk / Liselotte und Armin Orgel-Köhne

Im Vergleich zum bescheidenen Kiosk im Scheunenviertel sah ein Zeitungskiosk im Winter 1962 am Kurfürstendamm ganz anders aus: Eine Fülle von Zeitungen, Zeitschriften und Hochglanzmagazinen. Dazwischen Comics und Groschenromane. Aber auch weiteres was, Passanten und Touristen nützlich sein könnte: Vivil-Bonbons, Zigaretten, Souvenirs, Postkarten, Reiseführer und mehr.

Der Zeitungskiosk, vermutlich nahe der Joachimsthaler Straße, steht nicht mehr. Historische Fotos vom Kurfürstendamm zeigen wir euch hier. Geht man die Straße weiter entlang zur Uhlandstraße, hat ein Kiosk aus den Anfangszeiten noch überlebt: Ein kleines sechseckiges Häuschen mit spitzen Dach. Die ausgehängten Zeitungen sind eher spärlich: „Le Monde“, „The Financial Times“ und zwei russische Blätter richten sich an internationale Gäste. Dazwischen auch „Die Zeit“, „Der Freitag“ und die „Jüdische Allgemeine“. Gegenüber ausgehängt: diverse Hochglanzmagazine und Comics; Berliner Tageszeitungen und Zeitschriften sind im Häuschen selbst untergebracht, das mit Postkarten, Schlüsselanhängern und zahlreichen Souvenirs im Angebot Berlinbesuchern an ihre Zeit in der Stadt erinnern soll.

Was den mobilen Verkauf aus der Geschichte der Zeitungen in Berlin betrifft: „Der Tagesspiegel“ unterhält heute noch Zeitungsverkäufer:innen, die abends die druckfrische Zeitung von morgen an die Leserschaft bringt. Es ist doch etwas Schönes, eine Zeitung Seite für Seite zu entdecken und vielleicht interessante Artikel auszuschneiden und am Schreibtisch vor sich aufzubewahren.

Mit dem Bildband „Unter Druck – Die Zeitungsstadt Berlin in historischen Fotografien“ taucht Oliver Ohmann ins Zeitungsleben der Stadt ein. Dazu hat er gemeinsam mit der bpk-Bildagentur der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf 124 Seiten rund 150 Bilder zusammengetragen.

  • Unter Druck – Die Zeitungsstadt Berlin in historischen Fotografien Oliver Ohmann (Hrsg.), 124 Seiten, 24,90 Euro, Edition Braus

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Es muss nicht immer Zeitung sein, eine spannende Vergangenheit hat auch das Radio. Wir zeigen euch 100 Jahre Rundfunkgeschichte in Berlin. Wie die Stadt vor einem Jahrhundert aussah, seht ihr hier: Historische Fotos aus den 1920er-Jahren in Berlin. Die Metropole lässt sich ebenso gut über kulturelle Stadtführungen in Berlin erkunden, eine führt sogar durchs Zeitungsviertel. Falls ihr vom Sofa aus auf die Reise geht wollt, haben wir Euch einen Führer durch Berlins berühmte Straßen zusammengestellt. Bon Voyage! Übrigens: Immer neue Texte findet ihr in unserer Geschichte-Rubrik.

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