Berlin verstehen

Berlin und das Radio: 100 Jahre Rundfunkgeschichte in Stadt und Umland

Berlin und das Radio. Das ist ein Stück Stadtgeschichte, das bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts führt. Am 22. Dezember 1920 wurden erstmals Musik und Sprache von Königs Wusterhausen nach Berlin mittels Funkwelle übertragen. Berlin wurde zum Zentrum des neuen Mediums. In der NS-Zeit wurde das Radio zum wichtigen Instrument der Propaganda, nach dem Krieg teilte sich die Radiolandschaft, so wie die Stadt auch.

SFB, AFN und RIAS auf der einen Seite, der Rundfunk der DDR und DT64 auf der anderen. Seit 30 Jahren wird wieder gemeinsam gesendet und keine andere Stadt in Deutschland hat ein so vielfältiges Radioangebot wie Berlin. Diese 12 Fotos erzählen die Berliner Radiogeschichte von ihrer Frühzeit bis in die Gegenwart.


Die Anfänge in Königs Wusterhausen

Königs Wusterhausen mit den Funktürmen, Anfang der 1920er-Jahre. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-00863A/CC-BY-SA 3.0
Königs Wusterhausen mit den Funktürmen, Anfang der 1920er-Jahre. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-00863A/CC-BY-SA 3.0

Die Postangestellten in Königs Wusterhausen kümmerten sich nach dem Ersten Weltkrieg um die telegrafische Verbreitung von Börsennachrichten. Weil sie technisch begabt waren und auch gerne Musik spielten, überlegten sie sich einen Coup und sendeten am 22. Dezember 1920 mittels Welle das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ an die noch wenigen Empfangsgeräte. Es war die erste Live-Übertragung von Sprache und Musik überhaupt. Eine Sensation. Damit begann im Berliner Umland die deutsche Radiogeschichte.


Berlin bekommt einen Funkturm

Radio Berlin: Funkturm und Ausstellungshallen in Charlottenburg, Aufnahme um 1928. Foto: Imago/Arkivi
Funkturm und Ausstellungshallen in Charlottenburg, Aufnahme um 1928. Foto: Imago/Arkivi

Anfang der 1920er-Jahre wurde weltweit klar, dass dem Radio die Zukunft gehört. Die holprigen Versuche von Amateuren wichen großen staatlich finanzierten Projekten. Radiosignale sollten möglichst flächendeckend verbreitet werden. In Berlin ließ man daher zur 3. Internationalen Funkausstellung den knapp 150 Meter hohen Funkturm errichten, in unmittelbarer Nähe zu den Messehallen. Ab 1926 wurden von dort Hörfunksendungen übertragen. Der Funkturm steht immer noch an gleicher Stelle und gehört zu den wichtigsten Türmen Berlins.


Das Haus des Rundfunks

Haus des Rundfunks, 1935. Foto: Imago/Arkivi
Haus des Rundfunks, 1935. Foto: Imago/Arkivi,

Technik, spektakuläre Sendemasten und Turmkonstruktionen waren die eine Seite der Radio-Revolution. Auf der anderen Seite musste die Sendungen produziert werden. Dafür brauchte man Strukturen, unzählige neue Berufe entstanden quasi über Nacht.

Die Redakteure, Reporter, Aufnahmeleiter, Tonmeister und Moderatoren brauchten einen zentralen Ort, an dem sie arbeiten konnten. In Berlin war die Heimat des Radios das Haus des Rundfunks. Hans Poelzig, der bedeutende Architekt der Moderne, entwarf das 1929 an der Masurenallee errichtete Gebäude, das heute zu den wichtigsten Bauwerken jener Ära gehört.


Das Radio wird zum Massenmedium

Radio Berlin: Adolf Hitler während einer Radioansprache, um 1934. Foto: Imago/United Archives International
Adolf Hitler während einer Radioansprache, um 1934. Foto: Imago/United Archives International

Der Aufstieg des Radios zum Massenmedium verlief parallel zum Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Hitlers Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels erkannte die Wirkmacht des Radios und die Nazis nutzten das Medium zur Verbreitung ihrer Ideologie, wie kein anderes Regime zuvor. Auch in der Kriegszeit, ab 1939, spielte das Radio eine wichtige Rolle als Kommunikationsmedium und zur Verbreitung von Nachrichten und Durchhalteparolen.

Legendär ist der Siegeszug des Volksempfängers. Gleich nach der Machtübernahme der NSDAP ließ Goebbels ein Radiogerät entwickeln, das für jeden erschwinglich sein sollte. Damit wurde Deutschland ab 1933 massenhaft mit Radioempfängern versorgt.


Die Berliner Radiogeschäfte

Menschen vorm Radiogeschäft von Ernst Kauffmann, Winter 1946. Foto: Imago/Horst Müller
Menschen vorm Radiogeschäft von Ernst Kauffmann, Winter 1946. Foto: Imago/Horst Müller

Die Radiogeschäfte waren in Berlin so etwas wie der Apple-Store heute, oder MediaMarkt und Saturn. Sie waren die High-Tech-Händler schlechthin. Vor dem Krieg wurden dort vor allem Volksempfänger verkauft. Nach dem Krieg öffneten recht bald die Radiogeschäfte in der zerstörten Stadt. Neben der Tageszeitung war das Radio die einzige Quelle, sich mit aktuellen Nachrichten zu versorgen. Aber die Berliner sehnten sich auch nach Unterhaltung und „leichten“ Themen, wie Musiksendungen und Konzerten.


Sender Freies Berlin – Der SFB sendet aus West-Berlin

Radio Berlin: Der SFB nimmt am 31. Mai 1954 das Programm auf. Alfred Braun spricht zu den Berlinern und sagt die Zeit an. Foto: Imago/ZUMA/Keystone
Der SFB nimmt am 31. Mai 1954 das Programm auf. Alfred Braun spricht zu den Berlinern und sagt die Zeit an. Foto: Imago/ZUMA/Keystone

Die Berliner Rundfunkanstalten wurden ab den frühen 1920er-Jahren in öffentlichen Einrichtungen organisiert. Anfangs sendete man unter dem Label „Radio-Stunde Berlin“, die Nazis tauften die Hörfunkanstalt in Reichssender Berlin um. Nach Kriegsende und der Teilung der Stadt sendete man in West-Berlin unter britischer Verwaltung anfangs als Berliner Satellit des in Hamburg ansäßigen NWDR.

Spätestens nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 wurde klar, dass West-Berlin neben dem im amerikanischen Sektor angesiedelten RIAS eine eigene öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt braucht. Am 1. Juni 1954 nahm der SFB das Programm auf und existierte bis zur Fusion mit dem ORB im Jahre 2003, woraus der rbb hervorgegangen ist.

Der SFB prägte nachhaltig das West-Berliner Selbstverständnis, viele Sendungen und Moderatoren wurden legendär. Auch in Ost-Berlin wurde der SFB, neben anderen Westsendern gehört.


American Forces Network – Der Sender der Alliierten

Studio des US-amerikanischen Soldatensenders AFN, 1968. Foto: Alliierten Museum Berlin
Studio des US-amerikanischen Soldatensenders AFN, 1968. Foto: Alliierten Museum Berlin

In den 1950er- und 1960er-Jahren waren die deutschen Radiosender noch relativ konservativ, vor allem was die Musikauswahl anging. Der RIAS war da eine Ausnahme in der Mauerstadt, wer aber den wirklich heißen Scheiß hören wollte, schaltete zu AFN rüber. Der US-Sender versorgte die in Deutschland stationierten GIs mit neustem Rhythm and Blues, Rock’n’Roll und Soul. Das bekam man sonst nicht zu hören. Auch mit ihrer Popkultur prägten die „Amis“ die Mauerstadt.


Funkhaus Nalepastraße: Der Rundfunk der DDR

Radio Berlin: Funkhaus in der Nalepastrasse, Aufnahme von 1992. Foto: Imago/Rolf Zöllner
Funkhaus in der Nalepastrasse, Aufnahme von 1992. Foto: Imago/Rolf Zöllner

Während in West-Berlin die Radiolandschaft zwischen SFB und RIAS aufgeteilt wurde und kleinere Sender wie der AFN dazwischen funkten, wurde in der Hauptstadt der DDR der Rundfunk zentral organisiert. 1949 wurde unter sowjetischer Ägide der Rundfunk der DDR gegründet. Es war bis zur Wiedervereinigung die zentrale Radioanstalt im SED-Staat.

Sitz des DDR-Rundfunks war das Funkhaus Nalepastraße, das über hervorragende Aufnahmestudios und Konzertsäle verfügte. Es gehört zu den ungewöhnlichsten Gebäuden Berlins, die man auf jeden Fall kennen sollte.


RIAS – Radio im amerikanischen Sektor

RIAS-Haus am Hans-Rosenthal-Platz in Schöneberg, Aufnahme von 2010.  Foto: Imago/Schöning
RIAS-Haus am Hans-Rosenthal-Platz in Schöneberg, Aufnahme von 2010. Foto: Imago/Schöning

Das Radio im amerikanischen Sektor, kurz RIAS, wurde bereits 1946 von der amerikanischen Militärverwaltung gegründet. Bis 1993 strahlte der Sender zwei Programme aus und hatte in West-Berlin Kultstatus. Vor allem RIAS 2 war bei den Berliner beliebt, und nicht wenige, die in der Mauerstadt ihre Jugend verbracht haben, erinnern sich etwa an den alten Ami Rik De Lisle und viele andere Moderatoren wie Lord Knud, Barry Graves – und auch der legendäre Hans Rosenthal war einst RIAS-Moderator.

Nach der Wiedervereinigung und dem Abzug der Alliierten wurde der Sender abgewickelt. Der Privatsender r.s.2 ging aus dem zweiten RIAS-Programm hervor und das markante RIAS-Haus bezogen die Redaktionen vom Deutschlandradio.


DT64, das Radio der Ost-Jugend

Radio Berlin: Die Eiskunstläuferin Katarina Witt hat anlässlich des Nationalen Jugendfestivals der DDR ihren Namen auf die Autogrammwand des Jugendsenders DT64 gesetzt, Sommer 1984. Foto: Imago/Günter Gueffroy
Die Eiskunstläuferin Katarina Witt hat anlässlich des Nationalen Jugendfestivals der DDR ihren Namen auf die Autogrammwand des Jugendsenders DT64 gesetzt, Sommer 1984. Foto: Imago/Günter Gueffroy

Um 1964 wurde auch den DDR-Bonzen klar, dass die sozialistische Jugend einen eigenen Radiosender braucht. 1964 wurde DT64 gegründet, als Sparte des Rundfunks der DDR. In den 1980er-Jahren wurde daraus ein eigenständiger Sender, der ganze Generationen von DDR-Jugendlichen prägte.

Die Arbeit der Redakteure und Moderatoren von DT64 war stets überschattet von den Spannungen zwischen Zensurbestrebungen seitens des SED-Regimes und dem Bedürfnis nach einer eigenen Stimme. West-Platten waren rar und oft auch nicht gern gesehen, trotzdem fanden viele DT64-Mitarbeiter Wege, auch weniger gern gesehene Sounds über den Äther zu schicken.

Vor allem in den letzten Jahren vor der Wende, gewann der Sender an Bedeutung. 1993 wurde DT64 aufgelöst, der Nachfolgesender ist seitdem MDR Sputnik.


Kiss, Energy, Paradiso: Die Privatsender kommen

Nora, Moderatorin der Kiss FM Morningshow Knallwach, 2010. Foto: Imago/Thomas Lebie
Nora, Moderatorin der Kiss FM Morningshow Knallwach, 2010. Foto: Imago/Thomas Lebie

Erste private Rundfunksender entstanden, neben wenigen Vorläufern, in den 1980er-Jahren. Eine richtige Flut neuer Sender, die den etablierten und vom Staat oder einst den Alliierten verwalteten Hörfunkanstalten Konkurrenz machte, erfolgte allerdings erst in den 1990er-Jahren. Seit dem hat sich die Berliner Radiolandschaft radikal verändert.

BB Radio, Berliner Rundfunk 91.4, r.s.2, Klassik Radio, 104.6 RTL, Energy Berlin, Radio Paradiso und Radio B2 senden in Berlin und Brandenburg. Allein für Berlin kommen noch FluxFM 100,6, Spree Radio 105,5, Jam FM, STAR FM 87.9, Kiss FM, JazzRadio, Radyo Metropol FM, Radio Teddy und Radio Russkij hinzu. Damit hat Berlin, denkt man die lokalen Internetsender sowie die freien Radiosender und Radioprojekte aus der linksalternativen Szene hinzu, das vielfältigste Radioangebot des Landes.


Der rbb

Radio Berlin: Zentrum der Sendeanstalt Rundfunk Berlin-Brandenburg rbb am Theodor-Heuss-Platz, 2020. Foto: Imago/Frank Sorge
Berlin und das Radio: Zentrum der Sendeanstalt Rundfunk Berlin-Brandenburg rbb am Theodor-Heuss-Platz, 2020. Foto: Imago/Frank Sorge

Und auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat in in Berlin einen guten Stand. Regulär kann man in der deutschen Hauptstadt folgende Sender empfangen: Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, Antenne Brandenburg, Radio Eins, Fritz, Kulturradio, infoRADIO, radioBerlin und das Funkhaus Europa. Hinzu kommen noch fremdsprachige Angebote von BBC World Service, Radio France Internationale und National Public Radio sowie der Offene Kanal.


Mehr Berlin verstehen

Eine Story über „Schwarzhörer“, glanzvolle Jahre während der Goldenen Zwanziger sowie barbarische Nazis: Wie mit dem Radio in Berlin ein Massenmedium geprägt wurde. So sah Berlin in der Anfangszeit des Radios aus: 12 Farbfotos aus Berlin in den 1940er-Jahren. 12 Fotos aus einer anderen Zeit: So sah Prenzlauer Berg in den 1980er-Jahren aus. Wie war es, in der DDR jung zu sein? Wir zeigen euch die Jugend in Ost-Berlin in 12 Fotos von FDJ über Punks zu Gruftis. Noch mehr Nostalgie? Wer in den 1980er-Jahren in Ost-Berlin gelebt hat, kennt diese 12 Dinge. Ihr lebt schon immer oder zumindest seit einer halben Ewigkeit im anderen Teil der Stadt? Diese 12 Dinge kennt jeder, der in West-Berlin der 1980er gelebt hat.

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